Unter einem merkwürdigen, weil überhaupt nicht auf den Inhalt referierendem Buchdeckel verbirgt sich ein rasend spannender Wissenschafts-Thriller. "In der Schwebe", so der Titel, und er stammt aus der Feder der amerikanischen Autorin Tess Gerritsen. Bioalarm in der Schwerelosigkeit: Auf der internationalen Raumstation ISS, die mit einer Geschwindigkeit von 28.000 Stundenkilometern um die Erde rast, läuft ein Experiment aus dem Ruder. Eine an sich harmlose Kultur mit Archäen - bakterienähnliche Mikroorganismen, die aus hydrothermalen Tiefseespalten entnommen wurden - flippt unter den Bedingungen der Mikrogravitation aus.Die Menge der Zellen nimmt unerwartet rapide zu, und die Probe verwandelt sich von einer Flüssigkeit in eine gallertartige Masse.Unbemerkt kommt ein japanisches Besatzungsmitglied der ISS mit der Masse in Kontakt, erkrankt und stirbt binnen kurzer Zeit einen elendigen Tod. Um Aufschluss über die Todesursache zu erhalten, soll die Leiche zur Autopsie zur Erde zurückgebracht werden. Doch ein Space-Shuttle macht man nicht startklar, wie man mal eben seinen Wagen aus der Garage holt. Wertvolle Zeit verrinnt, und die Kultur wächst und gedeiht weiter - in der Leiche des Astronauten, die sich nach wie vor mit fünf weiteren Besatzungsmitgliedern in der Station befindet...Die Chimäre in der griechischen Mythologie ist ein bizarres, feuerspeiendes Wesen, das sich aus drei unterschiedlichen Organismen zusammensetzte: Die Kreatur hatte den Kopf eines Löwen, den Körper einer Ziege und den Schwanz einer Schlange. In der Biologie bezeichnet eine Chimäre eine Lebensform, die sich von einem Wirt zum nächsten bewegt, und sich in jedem Wirt um ein Stück DNS bereichert. Die Chimäre muss nicht den langen Weg der Evolution gehen, um sich an die Umwelt anzupassen, sondern zwackt diese Fähigkeit von seinem Wirt ab. Gegen Viren und Bakterien sind - zumindest theoretisch - Gegenmittel denkbar. Gegen Chimären auch - nur dass diese Gegenmittel auch den Wirt töten, deren DNS sich die Chimäre einverleibt. Was es bedeutet, wenn sich das Wesen erst einmal auf den Menschen übertragen hat, braucht man nicht weiter zu erläutern...Tess Gerritsens Roman ist erschreckend gute Unterhaltung. Sie hat ein phantastisches Szenario entwickelt und bringt ihre Geschichte wegen ihrer immensen Detailkenntnis glaubhaft rüber - nicht nur medizinisches Wissen, das die ehemalige Internistin gleichsam von Haus aus mitbringt. Eindrucksvoll sind vor allem ihre genauen Raumfahrtkenntnisse: Beschreibt Tess Gerritsen das Andock-Manöver eines Shuttles an die Station, kann sie jede noch so kleine Feder benennen, die bei diesem heiklen Begattungs-Tanz der Giganten beansprucht wird.Wenn Sie das Buch lesen, empfehle ich Ihnen: Halten Sie ein Handtuch bereit, damit Sie sich den Angstschweiß abreiben können. Ach was, lesen Sie den Thriller am besten gleich in der Badewanne.Jan Christian Schmidt© www.titel-magazin.de