Ich verließ Amerika, die Taschen vollgestopft mit den Listen der Namen von Männern und Frauen, die ich retten müßte, und den Kopf voller Ideen, wie ich das bewerkstelligen wollte. Es waren mehr als zweihundert Namen, und viele Hundert kamen später dazu. (Zitat Seite 11)
Inhalt und Thema
1935 besucht Varian Fry Deutschland und erlebt in Berlin bereits die ersten großen Judenverfolgungen mit. Als daher vergeblich jemand gesucht wird, der die neu gegründete amerikanische Hilfsorganisation Emergency Rescue Committee (ERC) vor Ort leitet, ist es für Varian Fry selbstverständlich, im August 1940 selbst nach Marseille zu reisen. Denn die Zeit drängt und die Gefahr wurde mit dem Waffenstillstandsabkommen vom Juni 1940 zwischen Frankreich und Deutschland besonders für deutsche Emigranten, die auf den Listen der Gestapo standen, täglich größer. Eine Klausel besagt, dass sich die französische Vichy-Regierung verpflichtet, Deutsche auf Verlangen der Gestapo an diese auszuliefern. Auf den Listen stehen die Namen von bekannten jüdischen Intellektuellen, Schriftstellern, bildenden Künstlern, aber auch von Widerstandskämpfern und politischen Flüchtlingen. Aus den geplanten wenigen Wochen werden dreizehn Monate, in denen Fry und sein Team sich immer neuen Situationen und Hindernissen stellen müssen, neue Wege suchen, Länder, die noch bereit waren, Flüchtlinge aufzunehmen, oder zumindest Visa auszustellen. Bald werden auch Fry und das ERC genau beobachtet, bis er im August 1941 unter Zwang nach Amerika zurückkehren muss.
Umsetzung
Chronologisch erzählt der Journalist Varian Fry die Geschichte des Emergency Rescue Committee in Marseille, schildert die Entwicklung von immer neuen kreativen Fluchtwegen, die Probleme mit den Behörden, falsche Hoffnungen, Rückschläge, plötzliche Lichtblicke und erfolgreich durchgeführte Aktionen. Manche Flüchtlinge müssen erst aus französischen Konzentrationslagern befreit werden und immer wieder müssen fehlende Dokumente, Passierscheine, Reisepässe beschafft werden, oder sichere Fälschungen dieser Unterlagen. Doch es geht auch um die Weiterreise, bald gibt es kaum mehr Schiffe und gerade Amerika prüft die politische Gewinnung genau, bevor ein Einreisevisum erteilt wird, stringent bereits bei Mitgliedern von sozialistischen Parteien. Spanien und Portugal dagegen bestehen auf Visa von Übersee-Ländern, aus Sorge, die Flüchtlinge könnten im Land bleiben. Es sind bekannte Namen wie Lion Feuchtwanger, Heinrich und Golo Mann, Franz Werfel und Max Ernst, deren illegale Flucht aus Frankreich Fry, seine engen Mitarbeiter und heimlichen Helfer ermöglicht haben. Fry schildert unaufgeregt, sachlich, ohne sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, dies macht seinen Tatsachenbericht nicht nur von der ersten Seite an extrem packend, sondern auch sehr sympathisch.
Fazit
Ein authentischer, geschichtlich sehr interessanter Bericht, spannend wie ein Thriller und man muss sich selbst beim Lesen in Erinnerung rufen, dass es hier ausschließlich um reale Schicksale, Gefahren und Erlebnisse von Menschen auf der Flucht vor der Ermordung in einem Konzentrationslager handelt. Es sind selbstlose und sehr mutige Menschen, die im ERC unermüdlich und unter Einsatz des eigenen Lebens tätig sind. Ein zeitlos brisantes Buch und eine wichtige Ergänzung zu dem im Februar 2024 erschienenen, ebenfalls großartigen Buch Marseille 1940 von Uwe Wittstock.