Wo von Schirach drauf steht, ist (meistens) auch von Schirach drin...
"Ich bin Schriftsteller, ich schreibe nur Geschichten", sagt Ferdinand von Schirach mit einer subtil gesetzten Note eines süffizienten Understatements. Mehr als 10 Millionen verkaufte Bücher zeigen, dass seine Geschichten ankommen. Sie haben ihn reich und zur Cashcow seiner drei Verlage gemacht (Luchterhand, btb, Penguin). Übersetzt in mehr als 30 Sprachen ist er zu einem globalen Erfolgsautor geworden. Verdientermassen? Das kann man wohl guten Gewissens bejahen.Neben Romanen und Theaterstücken sind es vor allem seine Kurzgeschichten, die zu seinem Erfolg beigetragen haben. Diesem bewährten Rezept folgt er nun auch in "Der stille Freund". Wie in früheren Bänden erzählen seine Geschichten von kleinen und großen gesellschaftlichen Ereignissen und Wendungen, vom Tod und von Verbrechen, von persönlichen Erlebnissen. Sehr oft fragt man sich: Sind diese Plots fiktiv oder entstammen sie wirklich dem reichhaltigen Füllhorn des von Schirachschen Lebens? Lag ihm beim Schreiben ein Thema am Herzen und er erfand eine Story dazu oder gab es die Story wirklich und er pointierte die ihm wichtige Message? Es ist nicht festzumachen und spielt im Grunde auch überhaupt keine Rolle.Genauso unmöglich ist es, den Geschichten einen gemeinsamen Nenner, ein verbindendes Element zuordnen zu wollen. Zu vielfältig sind die Themen, die Handlungen, die Schauplätze und die Protagonisten.Nur eines zieht sich durch alle Erzählungen - sie sind durchweg exzellent recherchiert und sind von Ferdinand von Schirachs breitem Wissen und seinen vielfältigen Leidenschaften durchdrungen. Während sein Schreibstil manchmal - der nüchterne Jurist wirft seine Schatten - eher sachlich und sehr stringent imponiert und das Szenenbild gelegentlich eher spröde rüberkommt, führen die Exkurse und Interludien zu einem literarischen Niveausprung. Der Autor brilliert mit Details zu Literatur und Musik, Architektur und Kunst, ohne üppig-schwülstig zu werden, aber ausreichend, um eine ganz spezifische Atmosphäre zu schaffen. Unverkennbar auch die Liebe von Schirachs zur Philosophie, die immer und überall aufblitzt, aber gerade in der ersten Geschichte, die dem Buch den Namen gab, in geballter Form kontrovers ausgemalt wird. Die Protagonisten der Kurzgeschichte werden zu Stellvertretern in einer Grundsatzdiskussion über Religionen und Mythen, über philosophische Dispute von Platon bis Kant im Abgleich zu rationalen Naturwissenschaften, bei denen in letzter Konsequenz aber Glaube dann doch auch wieder eine Rolle spielen kann.Gerade diese Episoden sind es, derer wegen sich von Schirach manchmal den Vorwurf gefallen lassen muss, er sei zu moralisierend. Natürlich ist er schon von Berufs wegen gewohnt, darüber zu entscheiden, was er für richtig und was für falsch hält (imponierend in diesem Zusammenhang seine Fakten zum Hamas-Überfall). Allerdings muss man ihm ehrlicherweise zugestehen, dass er in all seinen Geschichten eher Denkanstöße setzt, Impulse adressiert. Was sie selbst dann daraus machen, welche Meinung sie zum einen oder anderen haben, müssen die Leser selbst entscheiden. Deshalb ist es ein lesenswertes Buch, das unterhält, aber vor allem oft nachdenklich macht. Bis zu einem gewissen Grad, denn wie von Schirach selbst schreibt: "Fragen nach dem Sinn sind Kinderfragen. Es gibt keine Regeln. Nur Staunen und Geschichten". Ob auch das wieder Understatement ist, muss jeder Leser ebenfalls selbst entscheiden.