Besprechung vom 14.12.2024
Verschachtelte Dachlandschaften
MAINZ Buch mit zahlreichen Fotos zu Bauten seit den Siebzigerjahren
Dieser Mainz-Rundgang führt ausnahmsweise nicht zu den oft sandsteinfarbenen Kirchen und Adelspalais vergangener Jahrhunderte. Stattdessen geht es zum Beispiel hinauf zum Lerchenberg, wo mit dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) seit gut vier Jahrzehnten eine der größten öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten Europas zu finden ist. Der an ein gelandetes Raumschiff erinnernde Rundbau mit farbenfroher Aluminiumfassade zeugt von der Extravaganz und dem Selbstbewusstsein, mit dem die Medienmacher seinerzeit ans Werk gegangen sind. Drinnen befinden sich vor allem Studios. Er kann als kreatives Gegenstück zum nüchternen Verwaltungshochhaus gesehen werden.
Vom "Tatendrang der 1970er, dem Wagemut der 1980er und der Unbeschwertheit der 1990er Jahre" will die in diesem Fall als Herausgeber auftretende Initiative "Die Betonisten" erzählen, die sich erklärtermaßen für die Architektur und den Städtebau der Nachkriegsjahre einsetzt. Mit dem neu erschienenen Buch "Mainz 1970-2000", das den Leser zu insgesamt 49 aus vielerlei Gründen herausragenden Bauten in der Stadt führt, wird die in einem Vorgängerband geschilderte Geschichte des Wiederaufbaus von 1945 bis 1970 nun fortgeschrieben.
Der Initiator des ersten Teils, der Architekt und Stadtplaner Rainer Metzendorf, war auch bei der Nachfolgepublikation der Betonisten als Autor
beteiligt. Allein die Fotos sind den Kaufpreis von 26 Euro wert: ob Luftaufnahmen vom Kästrich, ein Blick auf den brutalistischen Wohnkomplex an der Elsa-Brändström-Straße in Gonsenheim, die aus der Froschperspektive gemachten Fotos von den zwei Bonifazius-Türmen am Hauptbahnhof oder aber die spektakuläre Aussicht auf eine "vielfach verschachtelte Dachlandschaft aus Walzblei", die den Erbacher Hof, ein mitten in der Altstadt gelegenes Tagungshaus des Bistums, überzieht.
Die Frage, ob auch Feuerwachen und Gemeindezentren, die Universitätsmensa oder die über die Rheinallee führende Grüne Brücke erhaltenswerte Bauwerke sind, wird spätestens dann immer wieder gestellt, wenn die Sanierung teurer als ein Neubau zu werden droht. Weshalb in Mainz lange Zeit selbst der als Rathaus genutzte Jacobsen-Bau am Rheinufer als Abrisskandidat gehandelt wurde. So gesehen kann die im Münchner morisel Verlag veröffentlichte Dokumentation der Betonisten durchaus als Grundlagenwerk gesehen werden, das die Architektur des ausgehenden 20. Jahrhunderts als Ganzes beschreibt, erklärt und würdigt - so vielfältig und unterschiedlich sie auch sein mag. sug.
Die Betonisten (Hg.): Mainz 1970-2000. Das neue Selbstverständnis in der Architektur,
morisel Verlag München, 2024, Preis 26 Euro, ISBN 978-3-943915-69-3.
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