Besprechung vom 20.08.2020
Tonis ganz alltägliche Abenteuer
FRANKFURT In seinen Büchern verarbeitet der Autor, Zeichner und Illustrator Philip Waechter Kindheitserinnerungen und eigene Erfahrungen als Vater eines inzwischen 15 Jahre alten Sohnes.
Von Katinka Fischer
Das Wesen, das von Philip Waechters Homepage grüßt, hat Punktaugen, ein ernstes Schnäuzchen, Schnurrhaare und Ohren, die wie kleine Hörner von einem eierförmigen Kopf abstehen. Es ist also Tier. Aber ein Tier steht nicht aufrecht, streckt seinen - übrigens bedauernswert dünnen - linken Arm nicht in die Höhe und trägt über seinem schmalbrüstigen, ebenfalls sehr untierischen Rumpf auch kein mit einem Z (für Zorro?) dekoriertes Muscle-Shirt. Sieht man da also doch eher einen Menschen? Ja und nein. Es handelt sich nämlich um eines von Waechters "Tiermenschporträts", das der Arbeit des Frankfurter Zeichners und Illustrators prägnante Gestalt gibt: So wie dieses Geschöpf sind auch seine Bilder, Figuren und Geschichten, die sich vor allem an Kinder richten, aber deren Eltern ebenfalls erfreuen wollen: zugewandt, überwiegend heiter und mit der Verheißung, der Realität ein paar Unmöglichkeiten abtrotzen zu können.
Damit sind sie wie gemacht für das Programm des Beltz-&-Gelberg-Verlags in Weinheim, mit dessen Gründung der kürzlich gestorbene Hans-Joachim Gelberg Anfang der siebziger Jahre eine ganz neue Form der Kinder- und Jugendliteratur etablierte. Kein Wunder also, dass der Tiermensch, dem man auf der Homepage des Zeichners begegnet, zusammen mit zwei Artgenossen in dem Gedichtsammelband "Wo kommen die Worte her" noch einmal auftaucht. Seit Waechter in der inzwischen eingestellten Kinderzeitschrift "Der bunte Hund", die ebenfalls bei Beltz & Gelberg herauskam, über vierzehn Ausgaben hinweg "Die Geschichte meines Opas" erzählte und dann auch in Buchform veröffentlichte, arbeiten der Verlag und er intensiv zusammen.
Was er einmal werden wollte, wusste der 1968 geborene Waechter schon als Schüler. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil er der Sohn des berühmten Zeichners, Cartoonisten und Autors F. K. Waechter ist. Was der Vater machte, fand er immer "grandios", hat ihn aber nur insofern beeinflusst, als er dadurch erfahren hat, "dass es diesen Beruf überhaupt gibt". Zudem haben ihn Satire und politische Karikatur, für die der 2005 gestorbene Vater bekannt war, nie gereizt. Zu eigenem Stil und Ausdruck zu finden sei für ihn daher nicht schwerer gewesen als für andere Zeichner, sagt Waechter. Geprägt haben ihn dabei Tomi Ungerer und der Erfinder des kleinen Maulwurfs, Wolf Erlbruch. An die Figuren des Franzosen Jean-Jacques Sempé wiederum erinnern die parabelförmigen Nasen, die dem Personal seiner Geschichten das charakteristische Profil geben.
1999 hat sich Waechter mit einigen Kollegen zur Ateliergemeinschaft "Labor" zusammengeschlossen, die ihr Domizil seither unter dem Dach eines Hinterhauses in Sachsenhausen hat und deswegen so heißt, weil dort zuvor ein Zahnlabor untergebracht war. Die "Laboranten", zu denen auch seine Frau Moni Port gehört, arbeiten dort unter Bedingungen, auf die man neidisch werden kann: Aus der anfänglichen Zweckgemeinschaft einander unbekannter Menschen ist so etwas wie eine große Familie mit inzwischen zehn Mitgliedern geworden, die sich mittags in der Küche zum Essen trifft, bisweilen sogar gemeinsam in Urlaub fährt und in der trotzdem genug Freiraum bleibt, "dass jeder seine eigenen Sachen machen kann".
F. K. Waechter hat die Freude seines Sohnes am Zeichnen, die sich unter anderem in selbstgemachten Fußball-Alben und Panini-Bildchen ausdrückte, immer gefördert und hatte auch gegen die Berufswahl nichts einzuwenden. Gleichwohl wusste er natürlich, wie dünn die Luft in dieser Branche ist, und hat sich zunächst ein wenig gesorgt. Was sich als unbegründet erwies: Philip Waechter kann von sich behaupten, seit 25 Jahren immer gut beschäftigt gewesen zu sein. Schon ein Jahr bevor er 1996 sein Kommunikationsdesign-Studium an der Fachhochschule Mainz abschloss, kam der erste Auftrag. Sein Name hat dabei gleichermaßen geholfen wie gestört - er weckte die Neugier der Verlage, und "auf Vergleiche war ich vorbereitet".
Nach wie vor illustriert Waechter auch Bücher fremder Autoren und sogar literarischer Klassiker wie John Steinbecks "Straße der Ölsardinen". Den zentralen Teil seines Werks, das ganz klassisch mit Stift auf Papier entsteht, machen aber eigene Bücher für Kinder und Jugendliche aus. Oft handeln die Geschichten davon, wie abenteuerlich Alltag sein kann. Erinnerungen an die Zeit, als ihr Erfinder selbst noch ein Junge war, und Erfahrungen, die er als Vater eines inzwischen fünfzehnjährigen Sohnes gemacht hat, fließen mit ein. Darüber hinaus offenbart Waechters Erzähl- und Zeichenweise, dass manche, in jüngsten Jahren entstandene Leidenschaft bis heute anhält. Für Camping-Urlaub zum Beispiel, vor allem aber für Fußball. Dass er den Erlebnissen des begeisterten kleinen Kickers Toni eine ganze Buch-Reihe widmet - vor wenigen Monaten ist der neue Band "Toni will ans Meer" erschienen -, kommt nicht von ungefähr. Er spielt selbst noch aktiv und hat mit diesem speziellen Sujet einen klaren Wettbewerbsvorteil: Zeichner mit Fußball-Kenntnissen sind selten. "Deswegen werde ich oft angefragt, wenn es um dieses Thema geht." Sein Tiermensch darf daher nicht als Selbstporträt verstanden werden. Waechters gezeichnetes Ich trägt ein Eintracht-Trikot.
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