Besprechung vom 03.02.2025
Libertärer Che Guevara
Einblick in die Welt des Javier Milei
Javier Milei hat es wieder allen gezeigt. Der argentinische Präsident schoss in seiner Rede am Weltwirtschaftsforum in Davos gegen die Elite, die an solchen Anlässen die Agenda des "Wokeismus" fördere. Das "mentale Virus der woken Ideologie" sei eine Epidemie, die die Grundlagen der westlichen Zivilisation zerstöre, sagte Milei, ein Krebs, der die Institutionen kolonisiert habe und ausgerottet werden müsse. Das Publikum in Davos war etwas ratlos. Es hatte einen anderen Javier Milei erwartet, jenen vom Vorabend, der eine mit allerlei Daten untermauerte Zwischenbilanz zog und aufzeigte, wie er Argentinien mit radikalen liberalen Reformen wieder auf Kurs bringen will - bisher ziemlich erfolgreich übrigens.
Der kalkulierende libertäre Ökonom und Reformer, der Argentinien einer radikalen Rosskur unterzieht. Und der populistische Kulturkämpfer, der sich gegen die Eliten, den Sozialismus und "Wokeismus" erhebt. Milei ist beides. Und das hat seine Gründe. Was es damit auf sich hat, warum Milei in Argentinien so populär ist und vieles mehr über den argentinischen Präsidenten beschreibt der Ökonom und Autor Philipp Bagus in seinem Buch "Die Ära Milei - Argentiniens neuer Weg".
Vornweg: Wer eine kritische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Milei erwartet, wird vom Buch enttäuscht. Der Autor zählt sich selbst zum Kreis der Verehrer Mileis, der wie er selbst ein Verfechter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie ist, einer Denkrichtung, die vom individuellen Handeln, subjektiver Wertschätzung und dem sogenannten Grenznutzenprinzip ausgeht und staatliche Eingriffe scharf ablehnt. Diese Innenansicht eines Gleichdenkenden macht das Buch zwar unkritisch, doch deshalb nicht weniger interessant.
Bagus erklärt die Prinzipien des Libertarismus und der Österreichischen Schule. Mileis Erfolg dient dabei als Beispiel dafür, wie diese oft theoretisch geltenden Ideen in die Praxis umgesetzt werden können. Bagus erklärt, wie Milei tickt und wie es ihm gelang, vom Außenseiter zum ersten liberal-libertären Präsidenten der Geschichte zu werden. "Nüchtern betrachtet, ist das ein Wunder", schreibt er.
Mileis politischer Erfolg hängt sehr stark mit der jüngeren Vergangenheit Argentiniens zusammen, das einst zu den reichsten Ländern der Welt zählte. Bagus liefert eine schonungslose Analyse der wirtschaftlichen und politischen Situation Argentiniens, wie dies auch Milei in seinem Wahlkampf getan hatte. "Die Argentinier waren (...) verzweifelt und wütend ob ihres Abstiegs. Die Verarmung, die Verschwendung, die politischen Ränkespiele, die Vetternwirtschaft - all das ließ die Bereitschaft für Veränderungen wachsen", schreibt der Autor. Milei hat sich geschickt der "österreichisch"-libertären Ausbeutungstheorie bedient, die den Staat und damit die von Milei als "Kaste" bezeichnete politische Klasse als Ausbeuter sieht. "In einer tiefen wirtschaftlichen Krise hat Javier Milei libertäre und 'österreichische' Argumente benutzt, um eine anti-etatistische Bewegung zu gründen", analysiert Bagus.
Ist Milei ein Populist? Vermutlich schon. Zumindest folgt Milei - wie andere Politiker auch - einer im Jahr 2000 vom libertären Ökonomen Murray Rothbard publizierten Abhandlung zum Rechtspopulismus. Es handelt sich um den Entwurf eines Programms mit acht Punkten, von Steuersenkung über sichere Straßen bis hin zur Verteidigung traditioneller Familienwerte. Zentral sei die Kritik am Establishment, das die politische Korrektheit als "Disziplinierungsverfahren" instrumentalisiere und deswegen zu umgehen sei. Rothbards Programm diene Milei "als Referenz für seine politische Strategie", schreibt Bagus. Er sei "ein rechter Populist im besten Rothbardschen Sinne".
Für Milei ist der Libertarismus deshalb zwangsläufig mit dem Kulturkampf verknüpft. Dieser geht von der Theorie aus, dass die Linke nach einer kulturellen und ideologischen Hegemonie strebt, um die Grundpfeiler der kapitalistischen bürgerlichen Gesellschaft zum Einsturz zu bringen. Die Kulturmarxisten haben sich zu diesem Zweck in den Institutionen eingenistet. Selbst der Klimawandel ist demnach ein kulturmarxistisches Kontrollinstrument. Es sei eines der größten Verdienste von Javier Milei, den Kulturkampf wie kein Zweiter beherzt auszufechten. "Furchtlos hat er sich gegen Egalitarismus, die Idee des strukturellen Opfertums, Antidiskriminierung, soziale Gerechtigkeit, Relativismus, Nihilismus, Atheismus, Klimahysterie, Ultrafeminismus, Identitätspolitik, Transgenderismus, Agenda 2030 und politische Korrektheit gestemmt." Milei, der libertäre Che Guevara des Kulturkampfs.
Den Schluss des Buches widmet Bagus der Frage nach den Lehren, die die Welt und damit auch Deutschland aus Mileis bisherigen Erfolgen ziehen kann. "Für die Freunde der Freiheit bietet sich eine Möglichkeit, mit einem antilinken, freiheitlichen Bündnis den Erfolg Mileis zu wiederholen", glaubt der Autor und plädiert für einen "neuen Kulturkampf", der die Ideen und Werte der Freiheit den Deutschen näherbringt. Es gehe nicht darum, Milei eins zu eins zu kopieren, sondern die von ihm erfolgreich eingesetzten Mittel kreativ auf die deutsche Situation zu übertragen, schreibt Bagus. Oder wie neulich ein bekannter deutscher Politiker sagte: Ein bisschen mehr Milei wagen. TJERK BRÜHWILLER
Philipp Bagus: Die Ära Milei - Argentiniens neuer Weg. Langen Müller Verlag, München 2024, 264 Seiten
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