Seit wir 2015 von einer Flüchtlingswelle überrollt wurden, bekamen wir schon viele Geschichten von und über Geflohene aus dem arabischen Raum zu lesen. Mich hat dieser Roman von Layla AlAmmar tief beeindruckt, weil er eine völlig andere Perspektive einnimmt.
Eine junge Frau erzählt, wie sie versucht, in einer Kleinstadt in England Fuß zu fassen, nachdem sie aus Syrien geflüchtet ist. Da sie unterwegs ihre Stimme verloren hat, hat sie kaum Kontakt zur Nachbarschaft. Statt dessen beobachtet sie sehr genau, was hinter fremden Fenstern vor sich geht. Immer wieder kommen ihr die Erinnerungen an früher, an ihre Eltern und Geschwister. Sie stammt aus einer angesehenen Familie, musste aber kämpfen, um als Frau ein Studium aufzunehmen.
Die englische Linguistik hat es ihr ermöglicht, in einer Zeitschrift Artikel zu veröffentlichen, die sie als Die Sprachlose zeichnet. Die Redakteurin ist von den angestellten Vergleichen begeistert, möchte allerdings, dass sie mehr Gefühle transportiert. Gefühle, die sie sich verbietet, weil sie sie nicht erträgt. Auch in der neuen Heimat begegnet ihr Gewalt, vor der sie doch eigentlich geflohen ist. Die Sicherheit, die sie sich erhofft hatte, ist gefährdet. Denn bei einem Fest in der Moschee, bei dem alle Religionen zum gegenseitigen Kennenlernen eingeladen waren, kommt es zur Eskalation. Und als später sogar ein Toter zu beklagen ist, predigt der Imam über Allahs Liebe zu den Menschen und seiner Bereitschaft zur Vergebung.
Nach einem sehr authentischer Fluchtbericht antwortet ihre Redakteurin, die sie nur übers Internet und unter ihrem Pseudonym kennt:
Liebe Sprachlose, das ist großartig! Es ist eine Sache, seine Meinung über die Themen das Tages zu sagen oder zu schreiben, aber noch einmal eine ganz andere, eine Erzählung zu konstruieren, die so dicht und bewegend ist, wie Süßer Tau. Ich habe das Gefühl, Literatur ist ein befreiendes Medium für dich.
Dieses Zitat fand ich sehr passend für das ganze Buch, das ich mir 9 Stunden und 20 Minuten lang von Katja Danowski vorlesen ließ. Die Geschichte hat mich sehr berührt und nachdenklich gestimmt. Vieles war mir nicht so deutlich vor Augen, obwohl es sich tagtäglich vor unseren Haustüren abspielt. Aus diesem Grund empfehle ich dieses Buch jedem, der bereit ist, sich mit den Schicksalen vieler Menschen zu beschäftigen, die aus politischen Gründen und Angst um Leib und Leben ihr Heimatland verlassen haben.
Die Autorin wuchs in Kuwait auf und studierte Kreatives Schreiben an der Universität Edinburgh. Layla AlAmmar hat in diversen Magazinen veröffentlicht und wurde im Aesthetica Magazine Finalistin des Creative Writing Awards 2014. Das Schweigen in mir ist insgesamt ihr zweiter Roman; der erste, der ins Deutsche übersetzt wurde. Ihr Debütroman The Pact We Made stand auf der Longlist des Best First Novel Awards 2020. Derzeit lebt AlAmmar in Großbritannien und promoviert an der Lancaster University über arabische Frauenliteratur.