Intro:
Bereits im Mai dieses Jahres erhielt ich das eBook zu Der Tränenjäger direkt vom Autor, bei dem ich mich hiermit nochmals bedanken möchte. Ich freute mich schon so wahnsinnig auf den neuesten und vierten Fall von Adrian Speer, Robert Bogner und Tina Jeschke, und noch ein paar Tage zuvor hätte ich nicht für möglich gehalten, dass mich eine Augenerkrankung dazu zwingen könnte, nur wenige Seiten, ja, manchmal sogar nur wenige Sätze am Stück lesen zu können, bevor Schmerzen und Verschwommensehen auftreten und mich dazu zwingen würden, das Buch immer wieder aus den Händen zu legen. Dies hatte zur Folge, dass ich viele, viele Wochen benötigte, um das Buch zu lesen. Was sich eigentlich negativ auf den Lesefluss und den Spannungsaufbau auswirkt, hinterließ hier aber eher ein Gefühl der Bewunderung für das schriftstellerische Können des Autors, denn eines fiel mir in dieser Zeit ganz deutlich auf: Trotz der wenigen Textpassagen, die ich am Stück lesen konnte, war ich beim Aufschlagen der aktuellen Seite stets punktgenau absolut gefesselt von der perfekt dargestellten, düsteren Stimmung, der nervenaufreibenden, unvorhersehbaren Handlung und den so lebendig gezeichneten Figuren. Es schien fast so, als hätte ich gar keine Pause eingelegt.
Nun ist unter solchen Umständen nicht nur das Lesen erschwert, sondern auch das Schreiben von Rezensionen. Also wartete ich, und wartete, und wartete. Drei Monate später wollte ich es endlich wagen, mich an die Bewertung zu setzen. Um den Inhalt aufzufrischen und meine damaligen Gedanken zu bestätigen, las ich das Buch ein zweites Mal. Und genau damit tat sich eine weitere Erkenntnis auf: Ich hatte nicht eine einzige Szene oder ein damit verbundenes Gefühl vergessen! Allzu oft geschieht es ja, dass man bereits wenige Wochen nach dem Lesen eines Buches Teilstücke der Handlung vergisst. Doch das war hier überhaupt nicht der Fall. Und dies wiederum finde ich bemerkenswert und so gar nicht selbstverständlich. Dass ich noch alle Bilder und Details im Kopf hatte und sowohl die Charaktere als auch das Setting mich noch Wochen danach nicht losgelassen haben, veranschaulicht mir einmal mehr, wie intensiv und einprägsam Chris Karlden schreibt.
Zur Handlung:
Sonderermittler Robert Bogner ist frustriert. Er hätte gern einen brandaktuellen Fall mit einer heißen Spur. Stattdessen soll sich das Team der 8. Mordkommission mit alten, ungelösten Fällen beschäftigen, dessen Fährten längst erkaltet sind. Das ist aus seiner Sicht nichts für die Sonderabteilung für besonders grausame Gewalttaten. Während er und sein Partner Adrian Speer in den Akten nach kleinsten Anhaltspunkten für einen Ermittlungsansatz suchen, geschieht ein grausamer Mord, der selbst den erfahrensten Beamten eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Der Täter scheint nicht nur absolut grausam und krank zu sein, er agiert auch äußerst selbstbewusst und scheint die Ermittler verhöhnen zu wollen, denn er legt die strangulierte Leiche, der beide Beine entfernt wurden, gezielt in der Öffentlichkeit ab und nutzt die Medien für mehr Aufmerksamkeit. In der Wohnung des Opfers finden Speer und Bogner eine frische Rose. Könnte sie ein Hinweis auf den Täter sein? Kurz darauf schlägt der Täter erneut zu und nimmt sich seinen Anteil. Die Mordkommission steht unter Zeitdruck, denn schnell wird klar, dass der Mörder noch nicht fertig ist und es schließlich sogar darauf anlegt, persönlich zu werden.
Hinweis:
Mit Hilfe kurzer, an den richtigen Stellen integrierter Informationen zu den vorherigen Bänden kann der Leser anstandslos anknüpfen, womit Der Tränenjäger ebenso wie alle anderen Teile der Reihe als eigenständiger Thriller lesbar und auch ein Zwischeneinstieg jederzeit möglich ist.
Die Figuren:
Sämtliche Figuren sind sehr lebendig gezeichnet, wirken absolut realistisch und agieren authentisch, völlig egal, ob es sich dabei um einen Protagonisten oder eine Randfigur handelt. Jeder Charakter hat den benötigten Raum zugeschrieben bekommen, den er für die eigene Entfaltung braucht, um vom Leser im richtigen Rahmen gesehen und gespürt zu werden.
Die drei Hauptfiguren Adrian Speer, Robert Bogner und Tina Jeschke bilden die Sondereinheit der 8. Mordkommission Berlin und könnten unterschiedlicher kaum sein, doch jeder für sich ist unabdingbar für das Team und sie verbindet längst nicht mehr nur der Job miteinander.
Adrian Speer wirkt auf mich immer wie der Fels in der Brandung. Er strahlt eine souveräne Ruhe aus und agiert selbst in brenzligsten Situationen meist überlegt und bedacht.
Robert Bogner ist da eher der aufbrausende Part, der seinem Unmut durchaus Luft macht und immer wieder mal etwas gebremst werden muss.
Tina Jeschke ist ein ruhiger Charakter mit einem eigenwilligen Äußeren und arbeitet zurückgezogen in ihrem technischen Kämmerlein. Früher redete sie nicht viel, außer wenn sie Recherche-Informationen weiterzugeben hatte, aber so langsam scheint sie aufzutauen und geselliger zu werden.
Das zusammengewürfelte Trio aussätziger Beamter habe ich bereits sehr liebgewonnen, was daran liegt, dass ich sie von Anbeginn begleitet habe und ihre charakterliche Entwicklung und die Bildung des Teams verfolgen konnte. Chris Karlden gelingt es nämlich sehr schön, den Leser mit jedem Folgeband mehr in die jeweiligen Leben und Wesenszüge seiner Charaktere mit einzubeziehen, sodass man stückchenweise immer tiefer eintaucht, fast so, als würde man jemanden im realen Leben immer besser kennenlernen. Und so ist es dann beinahe unmöglich für mich, keine emotionale Beziehung aufzubauen.
Der Schreibstil:
Die Handlung wird aus verschiedenen Sichtweisen geschildert und spielt zu unterschiedlichen Zeitpunkten, trotzdem ist das Buch bemerkenswert leicht verständlich geschrieben, sodass man stets fraglos folgen kann.
Nach mittlerweile sechs gelesenen Büchern des Autors möchte ich behaupten, seine Art zu schreiben gut zu kennen und doch hat mich Chris Karlden hier mächtig überrascht. Eine spannungsgeladene, rasante und actionreiche Handlung mit schlauen, sich gekonnt bis zum Ende versteckenden Tätern, ja, das kennt man von Chris Karlden, aber Der Tränenjäger ist noch einen Zacken schärfer in all seinen Facetten. Dunkler, rasanter, spannender, extremer, emotionaler!
Das Setting wirkt richtig schön düster und stellenweise unheimlich, ist mir die Gegend um den Lost Place doch sehr wohl bekannt. Die Handlung verläuft so rasant, dass es gefühlt Schlag auf Schlag geht und man als LeserIn kaum zum Durchatmen kommt.
Die Story wurde raffiniert konstruiert, ist absolut schlüssig und der Täter weiß sich gut zu verbergen. Chris Karlden hat mit ihm eine Figur geschaffen, die abnormer und brutaler agiert als seine bisherigen mörderischen Charaktere, offenbart dem Leser aber gleichzeitig auch mehr Details über dessen Vergangenheit, was die gesamte Struktur der Handlung emotionaler macht. Man kommt nicht umhin, sich zu fragen, wie es so weit kommen konnte, ohne dass das Umfeld etwas bemerkte, und schwankt zwischen Mitleid und aufkommendem Beschützerinstinkt auf der einen Seite und Abscheu und Ekel auf der anderen.
Fazit:
Mit Der Tränenjäger ist Chris Karlden ein echter Pageturner gelungen, der es in vielerlei Hinsicht wirklich in sich hat und sowohl alteingesessene als auch neue LeserInnen absolut begeistern wird!
Ich bin ja schon lange ein absoluter Fan von Chris Karlden, weil ich seine Art zu schreiben wirklich sehr liebe und die Ermittler der 8. Mordkommission mir unglaublich ans Herz gewachsen sind, aber ich würde sagen, dass der Autor hier seiner schriftstellerischen Intensität und Raffinesse noch ein Schippchen obendrauf gesetzt hat. Ob es nun an einer schriftstellerischen Weiterentwicklung liegt oder daran, dass sich Chris Karlden mittlerweile ganz dem Schreiben widmet, ist völlig egal. Das Endergebnis zählt und das sehe ich als extrem erfolgreich an!