China und Russland stehen an der Spitze einer Bewegung gegen die Freiheit, die vom Iran bis nach Nordkorea reicht. Viele glauben nach wie vor, Putin und Xi Jinping seien nicht vergleichbar. Doch sie folgen einer gemeinsamen Tradition, die mit der Oktoberrevolution von 1917 begann. Der langjährige Peking- und Moskau-Korrespondent Adrian Geiges erzählt die spannende Geschichte der chinesisch-sowjetischen und chinesisch-russischen Beziehungen, die die Welt heute mehr prägen denn je. Und er untersucht, auf welche »nützlichen Idioten« sich diese Allianz im Westen stützen kann.
»Dieses Buch richtet sich nicht gegen Chinesen oder Russen. Es richtet sich gegen Naivität. Lenin, Stalin und Mao, Putin und Xi Jinping machten nie einen Hehl aus ihrer diktatorischen Politik und ihren weltweiten Ambitionen. Die Herrscher in den Zeiten dazwischen, etwa Breschnew und Deng Xiaoping, äußerten sich etwas zurückhaltender, ohne das große Ziel aus den Augen zu verlieren. Man hört viele Mythen über das chinesisch-russische Verhältnis. Das heutige Bündnis sei rein taktischer Natur, keine Liebesheirat. Doch der 'neue Ostblock', wenn man das geografisch einordnen will, hat tiefe ideologische Wurzeln und eine lange gemeinsame Geschichte, die ich hier erzählen möchte. «
Adrian Geiges
Besprechung vom 01.10.2024
Putins und Xis neue Internationale
Russland und China streben gemeinsam eine "antidemokratische Weltordnung" an. Eine neue Studie beschreibt die lange Geschichte dieser Allianz.
Als Xi Jinping im März dieses Jahres Wladimir Putin in Moskau besuchte, traten die beiden Staatsführer nach ihrem gemeinsamen Abendessen zusammen ins Freie. Im Gehen drehte Xi sich noch mal um zu Putin und sagte: "Derzeit gibt es Veränderungen, wie wir sie seit hundert Jahren nicht gesehen haben. Und wir sind diejenigen, die diese Veränderungen zusammen vorantreiben." Putin stimmte ihm zu. Xi wird sich in diesem Moment bewusst gewesen sein, dass Mikrofone und Kameras auf sie gerichtet waren. Man kann also davon ausgehen, dass seine Bemerkung nicht allein für Putins Ohren bestimmt war. Die Welt sollte wissen, dass diese zwei Männer eine Bewegung anführen - und Xi gibt den Ton an.
Diese Szene beschreibt auch der Autor Adrian Geiges in seinem Buch "Front gegen die Freiheit: Peking, Moskau und ihre Komplizen in aller Welt". Laut ihm hat dieser neue Block "tiefe ideologische Wurzeln und eine lange gemeinsame Geschichte". In seinem Buch fasst er die Geschichte der chinesisch-russischen Beziehungen zusammen: beginnend von der Oktoberrevolution 1917, über Russlands Unterstützung beim Aufbau des Kommunismus in China, bis hin zum Bruch zwischen den beiden Staaten nach dem Tod Stalins und der Wiederannäherung in den 1980er-Jahren.
In den Beziehungen zwischen Peking und Moskau sieht Geiges eine Konstante. "Die sozialistischen Länder haben das Ziel der Expansion nie aus den Augen verloren - ideologisch verklärt nannte sich das 'Weltrevolution'", schreibt er. Zwar habe es Phasen gegeben, in denen sich die beiden Länder auf den Erhalt des Status quo oder auf die wirtschaftliche Entwicklung fokussierten, etwa unter Breschnew oder Deng Xiaoping. Aber: "Heute stehen die Zeichen wieder auf Angriff." Putins Russland kämpfe militärisch, etwa in der Ukraine, Georgien und Moldau. Xis China setze vor allem auf wirtschaftliche Macht und Propaganda, wie etwa bei der Seidenstraßen-Initiative. Geiges schreibt, sein Buch richte sich gegen Naivität. Damit meint er die Naivität des Westens im Umgang mit China und Russland.
Geiges sagt von sich selbst, er habe die gleiche Ausbildung genossen wie Putin und Xi. Als Westdeutscher war er Mitglied der DKP, ging nach eigenen Angaben für ein Jahr auf die Jugendhochschule Wilhelm Pieck, eine Kaderschmiede der FDJ. Später verbrachte er als Journalist viele Jahre im Ausland, auch in China und Russland. Die historische Nacherzählung unterbricht Geiges in seinem Buch denn auch immer wieder für reportagenhafte Anekdoten aus seiner Zeit in den beiden Ländern. Seine kommunistische Vergangenheit sieht er, das macht er an vielen Stellen deutlich, mittlerweile kritisch.
Geiges' Analyse der chinesisch-russischen Beziehungen ist hilfreich, um den Wandel im internationalen Machtgefüge zu verstehen. In der Zusammenarbeit Moskaus und Pekings mit den Staaten, Afghanistan, Nordkorea oder Iran sieht Geiges das Streben nach einer "antidemokratischen Weltordnung". "Heute führen Peking und Moskau eine Internationale der Diktatoren. Statt 'Proletarier aller Länder, vereinigt euch' heißt es jetzt 'Unterdrücker aller Länder, vereinigt euch'", schreibt er. Erhellend ist außerdem sein Vergleich der Biographien Xis und Putins, die sich beide in ihren Systemen mit großer Beharrlichkeit hochgearbeitet haben. Beide wurden im Westen zunächst als Reformer gesehen.
Leider hat Geiges' treffende Analyse handwerkliche Mängel. Einzelne Punkte stellt er sehr vereinfacht dar, um sie in seine Argumentation einzupassen. So schreibt er etwa, Indien habe "gute Gründe, die Kommunistische Partei Chinas als akute Gefahr zu sehen: Die Maoisten haben sich vorgenommen, bis zum Jahr 2050 Indien, das jetzt bevölkerungsreichste Land der Erde, in einem bewaffneten Aufstand zu übernehmen." Plant China etwa den Umsturz der indischen Regierung? Die Maoisten, die Geiges hier meint, das ergibt der Blick in die Quellenangabe, sind die Naxaliten. Dabei handelt es sich um maoistische Splittergruppen, die in ländlichen Regionen Indiens Anschläge verüben. Sie berufen sich zwar auf Maos Lehren, eine Unterstützung durch die chinesische Führung wies jedoch selbst die indische Regierung zurück. Diese Gruppen sind außerdem weit davon entfernt, Indien zu übernehmen.
Ein weiteres Beispiel für diese Vereinfachungen: "An Shanghais Grundschulen wurde 'Xi-Jinping-Kunde' als Schulfach eingeführt und dafür Englischunterricht gestrichen, dabei erfordert Handel in der Globalisierung Fremdsprachenkenntnisse." Eine Quellenangabe bietet Geiges dafür nicht. Chinesische wie internationale Medien berichten allerdings darüber, dass 2021 beschlossen wurde, Englisch aus den Abschlusstests der Grundschulen zu streichen. Die Behörden begründeten den Schritt damit, dass man den Kindern weniger Druck machen wolle. Eine Fremdsprache gehört weiterhin zur Hochschuleingangsprüfung. Jedes Jahr lässt sich die große Mehrheit der Abiturienten in Englisch prüfen, auch weil die Sprache Bedingung zur Aufnahme an vielen Universitäten ist. So bedenklich die Einführung einer "Xi-Jinping-Kunde" sein mag, sie ging nicht zulasten des Englischen. Diese Ungenauigkeiten sind sehr bedauerlich. Moskaus und Pekings Propagandisten werfen westlichen Journalisten regelmäßig vor, die Unwahrheit über ihre Systeme zu verbreiten. Gerade deswegen sollte man ihnen Fakten entgegenhalten. Zumal diese genügend Material für Geiges' Argumentation liefern.
Geiges argumentativ schwächstes Kapitel lautet "Nützliche Idioten". Dazu zählt er: Unternehmer, die in China investieren, und "willfährige Politiker", die "autoritäre Rechte", die Postkolonialismusstudien und "Wokeness" sowie Klimaaktivisten wie Greta Thunberg und die Letzte Generation. Den jeweiligen "nützlichen Idioten" widmet Geiges eigene Unterkapitel, die sich mehr wie Leitartikel denn politische Analyse lesen. Er ist etwa der Ansicht, die "radikale Rhetorik mancher Klimaaktivisten" helfe Putin und Xi, "etwa wenn Greta Thunberg klagt, 'ihr habt mir meine Zukunft gestohlen'." Wie genau sie China und Russland zuspielen, erläutert Geiges jedoch nicht. Er vergleicht das Agieren der Letzten Generation mit dem Vorgehen kommunistischer Kader. "Klimahölle und Endzeitstimmung - das hat manchmal etwas Religiöses, wie auch die kommunistische Ideologie." Das mag eine zutreffende Parallele sein, die Aktivisten bieten auch weiteren Anlass zur Kritik. Zu "nützlichen Idioten" Putins und Xis sollte man sie jedoch nur erklären, wenn ihr Handeln auch einen konkreten Bezug zu diesen hat.
Stattdessen hätte ein Blick auf die Methoden der "Front gegen die Freiheit" das Buch besser abgerundet. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, wie China und Russland Demokratien gefährden, etwa durch Spionage, Einflussoperationen oder Hacking. Geiges schneidet sie, wenn überhaupt, leider nur an. ANNA SCHILLER
Adrian Geiges: Front gegen die Freiheit. Peking, Moskau und ihre Komplizen in aller Welt.
Piper Verlag, München 2024. 256 S.
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.Es wurden noch keine Bewertungen abgegeben. Schreiben Sie die erste Bewertung zu "Front gegen die Freiheit" und helfen Sie damit anderen bei der Kaufentscheidung.