Besprechung vom 03.02.2020
Schatten von gestern
Krimis in Kürze: Leif Karpe, Attica Locke und Melanie Raabe
Ein Kunstfälscherkrimi ist eine gute Idee, wenn man den erhitzten globalen Kunstmarkt betrachtet. Und van Goghs "Sternennacht" ins Zentrum zu stellen ist sinnvoll, weil er zu den meistgefälschten Malern gehört. Leif Karpe, der auch Kameramann und Regisseur ist, gibt seinem Protagonisten schon im Titel eine besondere Begabung mit: "Der Mann, der in die Bilder fiel" (Nagel & Kimche, 272 S., geb., 22,- [Euro]). Peter Falcon hat im New Yorker East Village einen schlechtgehenden Laden für Jazzplatten und Comics, bis ein alter Studienfreund Falcons Fähigkeiten als "Bilderflüsterer" aktiviert. Für ein Auktionshaus mit dem phantasielosen Kofferwortnamen "Chroseby" fliegt Falcon nach Paris, um eine Expertin zu beschwichtigen, die Fälschungen aufzudecken und den Kunstmarkt zu erschüttern droht.
Falcons Reise ist als "Route der Impressionisten" angelegt. Ihm begegnen als Wiedergänger Manet, Monet, Degas und manch anderer Maler. Karpe schreibt bildreich und blumig, da ist auch die Stilblüte nie fern, wenn Hormone "von der Leine gelassen" werden oder eine attraktive Frau "ästhetisch" ist. Er lässt seine Figuren auch ein bisschen wohlfeil über Original, Kopie und Fälschung räsonieren. Nur aus der schönen Ausgangsidee, dass der Held in die Bilder eintritt und selbst das Gefühl hat, dass "die Dinge und Menschen aus den Bildern in seine Welt treten würden", macht er kaum etwas.
Man sollte Attica Locke nicht mehr vorstellen müssen. Aber weil nicht sicher ist, dass "Bluebird, Bluebird" (F.A.Z. vom 4. März 2019) genug gelesen wurde, muss man ihren neuen Roman "Heaven, My Home" (Polar, 328 S., geb., 20,- [Euro]) unbedingt empfehlen. Darren Matthews, der schwarze Texas Ranger aus "Bluebird, Bluebird", kämpft immer noch um seine Ehe, und seine Mutter erpresst ihn mit einer Enthüllung, die ihn den Job kosten würde, als sein Chef ihn an den Caddo Lake schickt, um gegen die Arische Bruderschaft zu ermitteln. Der Auftrag wird zu einer Reise in die amerikanische Geschichte, in die Zeit, als ehemalige Sklaven und Indigene sich an manchen Orten zu eigenen Gemeinden zusammenfanden.
Der Roman spielt 2016, zwischen Trumps Wahl und Inauguration. Daraus entsteht Druck bei den Ermittlern, weil sie ahnen, dass sich etwas ändern könnte im Vorgehen gegen Hassverbrechen und Suprematisten. Wie politischer Hintergrund, Provinzgegenwart und rassistische Vergangenheit einander mehr und mehr überlagern, wird in Lockes Gesellschaftsbild mit erzählerischer Souveränität deutlich. Aus der Verwurzelung der Geschichte und der Figuren in dieser osttexanischen Welt, aus den Schatten, die aus dem Gestern auf sie fallen, gewinnt das Buch seine Wucht und Gegenwärtigkeit.
Matthews verkörpert all die Grautöne und Ambivalenzen: in seiner Überzeugtheit von Recht und Ordnung und in der Skepsis, wem dieses Recht und diese Ordnung genützt haben und nützen werden. Er zieht nicht immer die richtigen Schlüsse daraus, er ist auch weniger Leitbild als Repräsentant. Aber in seinen Widersprüchen, Fehlern, Vorurteilen und humanen Gesten ist er eine literarische Figur von großer Wahrhaftigkeit.
Nach all den Kommissaren, Sheriffs oder Detektiven hat es seinen Reiz, wenn ein Thriller ganz ohne Polizei auskommt. Melanie Raabe hat auch in ihrem vierten Roman "Die Wälder" (btb, 432 S., br., 16,- [Euro]) keinen Ermittlerbedarf. Der Bestsellererfolg ihrer drei bisherigen Bücher gibt ihr recht. So simpel wie die Titel ihrer Romane sind auch die Namen: Nina, die Ärztin, Tim, ihr Jugendfreund, dessen plötzlicher Tod sie trifft, das namenlose Dorf, aus dem sie kommen, der Mann namens Wolff, der auf ein traumatisches Erlebnis in der Kindheit verweist.
Raabe entwickelt mit wenigen Strichen ein Rätsel und damit Spannung. Und sie nutzt bei den Rückblicken in die Kindheit einen Trick zur Verschleierung, den man viel zu rasch durchschaut. Handwerklich ist das alles solide und unprätentiös, am Ende ist vielleicht der Deus-ex-machina-Effekt zu krude. Was man jedoch am meisten vermisst in diesem Trauma-Szenario, das sind Figuren, die mehr wären als "Schemen oder doch mindestens Halbschemen" (Fontane).
PETER KÖRTE
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