Bücher versandkostenfrei*100 Tage RückgaberechtAbholung in der Wunschfiliale
product
cover

Reichlich spät

(58 Bewertungen)15
160 Lesepunkte
Buch (gebunden)
16,00 €inkl. Mwst.
Zustellung: Mi, 18.09. - Fr, 20.09.
Sofort lieferbar
Versandkostenfrei
Empfehlen
Freitag, der 29. Juli in Dublin. Das Wetter ist wie vorhergesagt, die Stadt vor Cathals Bürofenster liegt in gleißendem Sonnenschein. Nach einem scheinbar ereignislosen Tag mit Budgetlisten und Bürokaffee nimmt Cathal den Bus nach Hause. Die Landschaft zieht an ihm vorüber, die waldigen Hügel, auf denen er noch nie gewesen ist, und er denkt an Sabine. Die ein bisschen schielt und die gut kochen kann, die auch im Winter barfuß am Strand spazieren geht, die die Hügel besteigt. Die zu viel Geld ausgibt und zu viel Raum einnimmt und zumindest über die Hälfte von allem bestimmen will. Die Frau, mit der er hätte sein Leben verbringen können, wäre er ein anderer Mann gewesen.In dieser kleinen Geschichte eines gescheiterten Paares erzählt Claire Keegan vom großen Thema Misogynie. Und wie sie das tut: kein Wort überflüssig, jeder Satz von durchscheinender Klarheit. Meisterhaft!

Produktdetails

Erscheinungsdatum
16. Mai 2024
Sprache
deutsch
Seitenanzahl
64
Autor/Autorin
Claire Keegan
Übersetzung
Hans-Christian Oeser
Verlag/Hersteller
Originaltitel
Produktart
gebunden
Gewicht
196 g
Größe (L/B/H)
216/134/12 mm
Sonstiges
Mit Lesebändchen
ISBN
9783969993255

Portrait

Claire Keegan

Claire Keegan, geboren 1968, wuchs auf einer Farm in der irischen Grafschaft Wicklow auf. Sie hat in New Orleans, Cardiff und Dublin studiert. Im Steidl Verlag sind von der vielfach ausgezeichneten Autorin bereits die Erzählungsbände Wo das Wasser am tiefsten ist (2004) und Durch die blauen Felder (2008) (in einem Band: Liebe im hohen Gras, 2017), Das dritte Licht (2013/ 2022) und Kleine Dinge wie diese (2022) erschienen. Das dritte Licht wurde mit dem renommierten Davy Byrnes Award ausgezeichnet und gehört für die englische Times zu

den 50 wichtigsten Romanen des 21. Jahrhunderts. Claire Keegan lebt in Irland.

Pressestimmen

Besprechung vom 06.06.2024

Warum ist er nur so?
Claire Keegan stellt einen Frauenfeind

Cathal, ein Angestellter, sitzt in seinem Büro in Dublin, schaut aus dem Fenster und weiß nichts mit sich anzufangen. Er sieht "Kinder und üppige Blumenbeete", daran schließt sich die Überlegung an, "so vieles im Leben verlief reibungslos, ungeachtet des Gewirrs menschlicher Enttäuschungen und des Wissens, dass alles einmal enden muss" - ob Cathal das denkt oder die Erzählerin, bleibt offen. Cathal jedenfalls hätte allen Grund dazu, über Enttäuschungen und Endlichkeit nachzudenken, denn kurz zuvor, so wird bald deutlich, hat ihn seine Verlobte Sabine verlassen, und für just diesen Tag, an dem Keegans Text spielt, war eigentlich die Hochzeitsfeier vorbereitet worden.

Claire Keegans Erzählung "Reichlich spät", im Original 2022 und nun auf Deutsch bei Steidl erschienen, ist nur kurz - sie füllt netto knapp fünfzig luftig gesetzte Seiten des ausnehmend schön gestalteten Bandes. Aber sie tritt erkennbar an, mit ihren sparsamen Details das Drama eines Lebens und noch mehr zu beleuchten. Den Rahmen bildet Cathals Weg vom Büro, wo er unter den schwer zu deutenden Blicken der Kollegen die Form wahrt, zur Bushaltestelle und schließlich in die Wohnung, wo er die bereitgestellte Flasche Champagner in sich hineinkippt, vor dem Fernseher einschläft, aufwacht und ins Bett wankt, während er an seine Ex-Verlobte und andere Frauen denkt, die er mit einem sexistischen Kraftausdruck bedenkt - demselben Wort, das er der Französin Sabine gegenüber als zwar unter irischen Männern durchaus häufig verwendet bezeichnet hatte, das aber gleichwohl "nicht viel zu bedeuten" habe: "So reden wir halt."

Eingebettet in die Geschichte jenes Tages sind Erinnerungen Cathals an die Zeit mit Sabine, wobei seltsam blass bleibt, was beide aneinander finden. Sie treffen sich ein paar Mal, dann bleibt sie über Nacht, er fragt sie, ob sie bei ihm einziehen möchte, spricht von Kindern und kommt mit den Konsequenzen dieser Überlegungen nicht zurecht, etwa als ihm erst nach ihrem Umzug klar wird, dass er ihr ja Platz machen muss. Und auch die Ausgaben für ein gemeinsames Leben gefallen ihm nicht.

Es ist keine triviale Frage, wann diese Geschichte eigentlich spielt. Es ist ein Freitag, der 29. Juli, Lady Di ist schon tot, zudem sind Netflix und Mobiltelefone allgemein verbreitet - die Zeit der Handlung kann demnach nicht länger als zwei Jahrzehnte zurückliegen, eher weniger. Umso fassungsloser wird man beim Lesen, weil man viele von Cathals Vorstellungen, allen voran sein Frauenbild, eher in den Fünfzigern verortet hätte. Die Erzählerin, die insgesamt seine Perspektive einnimmt, gibt sich große Mühe, dies als Folge seiner Prägung durch die irische Gesellschaft zu erklären - er hat in seiner Familie gelernt, sich von Frauen bedienen zu lassen und es lustig zu finden, wenn seiner schuftenden Mutter am Abendbrottisch der Stuhl unter dem Hintern weggezogen wird, sodass sie mit den Tellern auf dem Boden landet.

Cathals Schuld aber, so die Erzählerin, ist es, die Zeichen nicht zu sehen und sein Verhalten nicht zu überdenken. Gelegenheit hätte er genug. "Falls ein Teil von ihm sich fragen wollte, wie er sich wohl entwickelt hätte, wäre sein Vater ein anderer Typ Mann gewesen und hätte nicht gelacht, so unterdrückte Cathal den Gedanken." Seinen Geiz hält ihm Sabine vor und identifiziert ihn als Kern aller Misogynie. Und selbst im Rahmen einer Busfahrt verweigert er die Begegnung mit einer neben ihm sitzenden Frau, die Roddy Doyles einschlägigen Roman "Die Frau, die gegen Türen rannte" liest, in dem Cathal einiges über familiär tradierte Frauenfeindlichkeit lernen könnte. Die Erzählerin konfrontiert ihn fast penetrant mit Warnhinweisen. An ihr liegt es nicht, wenn ihr Geschöpf nicht ist, wie es sein sollte.

All das gibt sich diskret, ist aber so dick aufgetragen, dass die Botschaft überdeutlich wird und letztlich auch die Glaubwürdigkeit der zentralen Figur beschädigt. Cathal wird vorgeführt und angeprangert, gerade indem seine Perspektive eingenommen wird, ohne dass wir ihm tatsächlich näher kämen. Immerhin taugt die Erzählung als Beispiel dafür, was passiert, wenn man Protagonisten eine literarische Bühne bereitet, ohne sie letztlich zu respektieren. TILMAN SPRECKELSEN

Claire Keegan: "Reichlich spät". Erzählung.

Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Steidl Verlag, Göttingen 2024. 64 S., geb.

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.

Bewertungen

Durchschnitt
58 Bewertungen
15
44 Bewertungen von LovelyBooks
Übersicht
5 Sterne
31
4 Sterne
24
3 Sterne
3
2 Sterne
0
1 Stern
0

Zur Empfehlungsrangliste
Von Renee Grande am 27.08.2024

Misogynie

Claire Keegan wirft hier in Reichlich spät einen Blick nach Irland. Einen leicht dahin plätschernden Blick. Aus den Augen eines Mannes. Einen Blick, der vor Frauenverachtung nur so trieft, ohne dass dies dem Betrachter klar ist. Denn er ist so erzogen und stellt dies natürlich nicht in Frage. Denn für ihn ist dies ja bequem so. Meint er zumindest. Denn das genau dieser plätschernde Blick ihm selbst eine Falle stellt, das übersieht er. Ihm sein eigenes Gefängnis schafft. Dann noch etwas Polemik. Und der Weg zum Incel ist hier sicher nicht weit. Denn die Frau ist hier natürlich schuld. Hach, wie einfach. Claire Keegan zeichnet hier ein Bild über Irland. Doch diese verkrachten Existenzen gibt es überall. Sie gab es früher, mit deutlich mehr Macht, siehe vorherige Rezension und sie gibt es heute in der gesamten patriarchalen Welt. Ja, richtig gelesen. In der patriarchalen Welt. Und dies bedeutet, dass das Patriarchat da einen großen Anteil hat. Genauso wie es bedeutet, dass es auch anders gehen kann. Matriarchal zum Beispiel. Die Gesellschaften der Khasi in Indien, der Mosuo in China, der Zapoteken in Juchitlan in Mexiko und noch viele mehr sprechen über diese andere Gesellschaftsordnung und zeigen diese anderen Welten. Muss man halt nur wissen. Denn diese patriarchale Vorherrschaft muss so nicht weitergehen, kann so eigentlich auch nicht weitergehen. Es ist halt nur verdammt schwer dagegen vorzugehen. Denn das Patriarchat wehrt sich natürlich, es möchte seine Macht nicht verlieren. Und hier mal wieder so eine Frage, die nicht zum Buch passt, aber bei näherer Betrachtung wieder schon. In welchen Parteien sind die Frauen in etwas gleicher Zahl wie männliche Kollegen vertreten? Wenn man dann als Frau die patriarchale Welt verachtet, warum wählt man dann nicht dementsprechend? Wir sind ja mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Weil auch wir Frauen indoktriniert sind. Dies muss Frau nur klar werden! Und Literatur ist ein guter Weg zum Überwinden der eigenen Grenzen. Noch dazu, wenn die Literatur so auf dem Silbertablett daherkommt, wie bei Claire Keegan!
LovelyBooks-BewertungVon renee am 27.08.2024
Claire Keegan wirft hier in "Reichlich spät" einen Blick nach Irland. Einen leicht dahin plätschernden Blick. Aus den Augen eines Mannes. Einen Blick, der vor Frauenverachtung nur so trieft, ohne dass dies dem Betrachter klar ist. Denn er ist so erzogen und stellt dies natürlich nicht in Frage. Denn für ihn ist dies ja bequem so. Meint er zumindest. Denn das genau dieser plätschernde Blick ihm selbst eine Falle stellt, das übersieht er. Ihm sein eigenes Gefängnis schafft. Dann noch etwas Polemik. Und der Weg zum Incel ist hier sicher nicht weit.Denn die Frau ist hier natürlich schuld. Hach, wie einfach. Claire Keegan zeichnet hier ein Bild über Irland. Doch diese verkrachten Existenzen gibt es überall. Sie gab es früher, mit deutlich mehr Macht, siehe vorherige Rezension und sie gibt es heute in der gesamten patriarchalen Welt. Ja, richtig gelesen. In der patriarchalen Welt. Und dies bedeutet, dass das Patriarchat da einen großen Anteil hat. Genauso wie es bedeutet, dass es auch anders gehen kann. Matriarchal zum Beispiel. Die Gesellschaften der Khasi in Indien, der Mosuo in China, der Zapoteken in Juchitlan in Mexiko und noch viele mehr sprechen über diese andere Gesellschaftsordnung und zeigen diese anderen Welten.Muss man halt nur wissen. Denn diese patriarchale Vorherrschaft muss so nicht weitergehen, kann so eigentlich auch nicht weitergehen. Es ist halt nur verdammt schwer dagegen vorzugehen. Denn das Patriarchat wehrt sich natürlich, es möchte seine Macht nicht verlieren.Und hier mal wieder so eine Frage, die nicht zum Buch passt, aber bei näherer Betrachtung wieder schon. In welchen Parteien sind die Frauen in etwas gleicher Zahl wie männliche Kollegen vertreten? Wenn man dann als Frau die patriarchale Welt verachtet, warum wählt man dann nicht dementsprechend? Wir sind ja mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Weil auch wir Frauen indoktriniert sind. Dies muss Frau nur klar werden!Und Literatur ist ein guter Weg zum Überwinden der eigenen Grenzen.Noch dazu, wenn die Literatur so auf dem Silbertablett daherkommt, wie bei Claire Keegan!