Besprechung vom 07.06.2021
Der Mann, der zu viel weiß
Krimis in Kürze: Bernd Ohm, Louisa Luna und Dan Kavanagh
Den politischen Kampf, der ihn zu einem überaus hilfreichen Sympathisanten der RAF machte, hat Henning Kollwey lange hinter sich gelassen. Dachte der IT-Experte zumindest, bis er eines Abends beim Kochen in seinem Eigenheim fast erschossen wird. Panik treibt ihn quer durch die Republik zu alten Genossen, ohne dass er zunächst erführe, wer es auf ihn abgesehen hat. Denn der Held in "Sechs Tage im Herbst" (Grafit Verlag, 272 S., br., 13,- [Euro]) von Bernd Ohm ist auch ein Mann, der zu viel weiß - nur nicht, worin genau dieses Zuviel besteht.
Der smart konstruierte Roman lässt ihn eine Weile durch das Labyrinth irren, nur langsam dämmert es Kollwey, dass er zwischen verschiedenen Instanzen und Interessen zerrieben werden könnte. Das Buch ist dabei nicht nur die allmähliche Offenlegung eines komplizierten Falles, sondern zugleich die Geschichte einer politischen Enttäuschung, die bis in die Gegenwart reicht, wenn Kollwey durch die Tochter eines alten Genossen auch noch in die Berliner Hausbesetzerszene gerät, wo man mit naiver Bewunderung auf seine glorreiche Vergangenheit schaut.
Der Name der Heldin klingt wie das verwischte Echo ihrer Erfinderin. Die Schriftstellerin Louisa Luna ist allerdings ein paar Jahre älter als Alice Vega und löst etwaige Probleme, die sich beim Entwickeln ihrer Plots ergeben, vermutlich nicht mit Gewalt. Vega ist eine private Ermittlerin, die sich auch nicht scheut, als Kopfgeldjägerin zu arbeiten, sie ist taff, analytisch sehr begabt, und ihr Privatleben ist so diffus wie ihre Vergangenheit. "Tote ohne Namen" (Suhrkamp, 444 S. br., 15,95 [Euro]) ist bereits Vegas zweiter Fall, aber ihr erster Auftritt in der deutschen Krimilandschaft.
Sie wird von der Polizei in San Diego hinzugezogen, als man zwei minderjährige mexikanische Mädchen tot auffindet, die verschleppt und zur Prostitution gezwungen wurden. In der Hand des einen Mädchens hatten sich Namen und Handynummer von Vega gefunden. Ein ganz koscherer Auftrag ist das nicht, denn die Polizei, die eng mit der nationalen Drogenvollzugsbehörde DEA kooperiert, will Vega in Cash bezahlen. Da ist es nur gut, dass sie als mäßigenden Einfluss Max Caplan dabei hat, einen ehemaligen Polizisten von Anfang vierzig, der skrupulöser ist als sie, bereits einen Fall mit ihr gelöst hat und ein bisschen verliebt in Vega ist.
Die beiden sind eine interessante Variante der Good-Cop-Bad-Cop-Konstellation, und Luna inszeniert die Ermittlungsarbeit mit dieser erzählerischen Ökonomie und stilistischen Sicherheit, die angelsächsischen Autorinnen und Autoren ganz offensichtlich leichter fällt, auch wenn die Fälle wie hier sehr brutal sind und wenig Erlösungspotential haben.
Vierzig Jahre ist es her, dass ein gewisser Dan Kavanagh aus dem Nichts auftauchte, vier Kriminalromane veröffentlichte und wieder verschwand, um unter dem Namen Julian Barnes ganz normale Romane zu schreiben. Was ein Jammer ist, wenn man sich noch mal einen dieser Krimis anschaut, die der Kampa Verlag jetzt neu auflegt: "Fiddle City" heißt jetzt "Heiße Fracht" (Kampa, 256 S., geb., 17,90 [Euro]). 1983 hieß der Roman bei Ullstein "Airportratten", zehn Jahre später bei Haffmanns "Schieber-City". Die Hauptfigur ist Nick Duffy, den alle nur Duffy nennen. Er war Polizist, er ist Sicherheitsexperte, er ist sich seiner sexuellen Orientierung nicht sicher, er ist ein analer Charakter, wie er im Buche steht, der den Abwasch am liebsten erledigt hätte, bevor seine Freundin Carol fertig gegessen hat.
Außerdem hat er panische Flugangst, weshalb der Job, der ihn in eine Spedition am Londoner Flughafen Heathrow führt, nicht gerade ideal ist. Duffy soll herausfinden, warum dort regelmäßig Dinge verschwinden. Man kann nicht behaupten, dass er sich sonderlich geschickt anstellt, aber er hat eine enorme Hartnäckigkeit. Kavanaghs auktorialer Erzähler betrachtet Duffy wie auch alle anderen Figuren mit einer fein dosierten Ironie, er weiß, wie das Genre funktioniert, er achtet es nicht gering, aber nimmt es auch nicht zu ernst.
Er hat zudem einen leichten, schnoddrigen Ton und ein Gespür für kleine Pointen. Und das Buch hat einen ersten Satz, nach dem nicht mehr viel schiefgehen kann: "Am Tag, als man McKay abschoss, war sonst wenig los auf der M 4." "Heiße Fracht" ist erstaunlich gut gealtert. Der Roman kann auch nach vier Jahrzehnten mühelos mit dem mithalten, was heute auf den Markt kommt. Es ist bloß die Frage, ob das nun eine gute Nachricht ist.
PETER KÖRTE
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