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Dunkelblum

Roman

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Jeder schweigt von etwas anderem.

Auf den ersten Blick ist Dunkelblum eine Kleinstadt wie jede andere. Doch hinter der Fassade der österreichischen Gemeinde verbirgt sich die Geschichte eines furchtbaren Verbrechens. Ihr Wissen um das Ereignis verbindet die älteren Dunkelblumer seit Jahrzehnten - genauso wie ihr Schweigen über Tat und Täter. In den Spätsommertagen des Jahres 1989, während hinter der nahegelegenen Grenze zu Ungarn bereits Hunderte DDR-Flüchtlinge warten, trifft ein rätselhafter Besucher in der Stadt ein. Da geraten die Dinge plötzlich in Bewegung: Auf einer Wiese am Stadtrand wird ein Skelett ausgegraben und eine junge Frau verschwindet. Wie in einem Spuk tauchen Spuren des alten Verbrechens auf - und konfrontieren die Dunkelblumer mit einer Vergangenheit, die sie längst für erledigt hielten. In ihrem neuen Roman entwirft Eva Menasse ein großes Geschichtspanorama am Beispiel einer kleinen Stadt, die immer wieder zum Schauplatz der Weltpolitik wird, und erzählt vom Umgang der Bewohner mit einer historischen Schuld. »Dunkelblum« ist ein schaurig-komisches Epos über die Wunden in der Landschaft und den Seelen der Menschen, die, anders als die Erinnerung, nicht vergehen.

»Die ganze Wahrheit wird, wie der Name schon sagt, von allen Beteiligten gemeinsam gewusst. Deshalb kriegt man sie nachher nie mehr richtig zusammen. Denn von jenen, die ein Stück von ihr besessen haben, sind dann immer gleich ein paar schon tot. Oder sie lügen, oder sie haben ein schlechtes Gedächtnis.«

Produktdetails

Erscheinungsdatum
19. August 2021
Sprache
deutsch
Auflage
10. Auflage
Seitenanzahl
528
Autor/Autorin
Eva Menasse
Verlag/Hersteller
Produktart
gebunden
Abbildungen
Stadtplan (s/w) illustriert von Nikolaus Heidelbach, mit Figurenverzeichnis auf Vor- und Nachsatz
Gewicht
605 g
Größe (L/B/H)
210/140/45 mm
ISBN
9783462047905

Portrait

Eva Menasse

Eva Menasse


, geboren 1970 in Wien, begann als Journalistin und debütierte im Jahr 2005 mit dem Familienroman »Vienna«. Es folgten Romane und Erzählungen (»Lässliche Todsünden«, »Quasikristalle«, »Tiere für Fortgeschrittene«), die vielfach ausgezeichnet und übersetzt wurden. Preise (Auswahl): Heinrich-Böll-Preis, Friedrich-Hölderlin-Preis, Jonathan-Swift-Preis, Österreichischer Buchpreis, Bruno-Kreisky-Preis, Jakob-Wassermann-Preis und das Villa-Massimo-Stipendium in Rom. Eva Menasse betätigt sich zunehmend auch als Essayistin und erhielt dafür 2019 den Ludwig-Börne-Preis. Ihr letzter Roman »Dunkelblum« war ein Bestseller und wurde in neun Sprachen übersetzt. Sie lebt seit über 20 Jahren in Berlin.


Pressestimmen

»Eva Menasse hat mit ihrem Buch Dunkelblum ein Meisterwerk geschaffen.« Ijoma Mangold, Die Zeit

»[Ein] Roman, der ungeheuer komplex und virtuos komponiert ist, der neben der Geschichte vom kollektiven Schweigen viele andere erzählt oder anreißt, der bohrende Fragen stellt und Antworten meidet. Dunkelblum wühlt auf, bedrückt, reißt mit vor allem durch seine Figuren und ist zweifelsohne eines der wichtigsten Bücher dieses Herbstes. Großartig.« Katja Weise, NDR Kultur

»Ein bemerkenswerter Roman, der sowohl unterhält, als auch nachdenklich macht.« Guy Helminger, Luxemburger Tageblatt

»Ein hervorragendes Buch, das den Umgang mit unserer Geschichte zeigt, in leichter Form erzählt und dadurch betroffen macht. Es ist zum Schmunzeln und Nachdenken.« Monika Pammer, Kleine Zeitung

»Die Autorin schafft es, die unausweichlichen Intimitäten und Abhängigkeiten der Bewohner eines Dorfes am Rande Österreichs so zu schildern, dass man beim Lesen in diesem Dickicht mit drinhängt.« Die Zeit

»Relevant, historisch erhellend, schwarzhumorig trotz der dramatischen Vorgänge, psychologisch ausgefeilt und intelligent verschränkt.« Die Zeit

»Frau Menasse beschreibt dicht und genau über menschliche Abgründe. Aber sie setzt wichtige, Hoffnung machende Gegenpole.« Die Zeit

»[Menasse] findet dafür eine neue, kraftvolle Sprache, die keinen Zweifel lässt an der Brisanz des Themas bis heute.« Madame

»[S]elten ist die dunkle Seite des heiteren Alpenlandes so kunstvoll und schmerzhaft erzählt worden.« Barbara Liepert, FAS

»Ein herausragender Roman über die Frage, wie das Leben nach dem Holocaust weitergehen konnte.« Spiegel Bestseller

»Die Nazi-Zeit aufarbeiten, daran haben sich viele Autoren versucht. Selten ist das so lebensnah, differenziert und spannend beschrieben worden. Und macht das Werk von Eva Menasse so besonders.« Martin Reckweg, NDR1 Niedersachsen

»Eva Menasse [spannt] erzählerisch geschickt nicht nur eine Brücke von finster-hermetischer Vergangenheit in die Jetztzeit. Beispielhaft und wie unter dem Brennglas erzählt sie vor allem von einer kollektiven Übereinkunft, nach der man unangenehme Altlasten aus dem Nationalsozialismus lieber mit dem Mantel des Schweigens bedeckt, als Initiativen zur Aufklärung und des Gedenkens zuzulassen.« Birgit Nüchterlein, Nürnberger Zeitung

»[...] spannend zu lesen, sehr gut aufgebaut und nie langweilig. Ein absolutes Muss nicht nur für an der Zeitgeschichte Österreichs Interessierte.« Karl Vogd, Bibliotheksnachrichten

»Was den Roman zum Meisterwerk macht, ist aber Eva Menasses Sprache [...]. Selten konnte man eine NS-Geschichte so farbig und lebensnah lesen.« Brigitte Winter, Bücherschau, Österreich

»[Einer] der besten österreichischen Romane der letzten Jahre. [...] der bisherige Höhepunkt ihres beeindruckenden literarischen Werks.« Brigitte Winter, Bücherschau, Österreich

»Man kann nicht aufhören, zu lesen, so witzig, turbulent, scharfzüngig geht es hier zu; die Akteure ersparen sich gegenseitig nichts, so dass man sich keine Sekunde langweilt.« Pia Reinacher, Die Weltwoche

»Eva Menasse entwirft einen gigantischen Romankörper mit vielen Figuren, Dorfbewohnern, Beteiligten, Nachfahren, die an der Erzähloberfläche auftauchenund wieder verschwinden. Erzählt wird und das verstärkt den sarkastischen Erzähluntergrund in einer Kunstsprache: einer Art gemütlichem österreichischem Dialekt, was dem Erzählkörper eine scheingemütliche Aura verleiht.« Pia Reinacher, Die Weltwoche

»Eva Menasses Erzählkunst ist nicht nur von einzigartig poetischer Schönheit, sondern absolut überwältigend ab dem ersten Satz. [...] Dunkelblum gehört zu den Büchern, die man in seinem Leben unbedingt gelesen haben muss. Um dieses Highlight kommt niemand herum. Für ihre schriftstellerische Glanzleistung hat die österreichische Autorin mindestens einen Literaturpreis verdient [...].« Susann Fleischer, literaturmarkt.info

»Eine Lektüre, die nicht mehr loslässt und lange nachwirkt.« Ruth Roebke, kommbuch.com

»So grausam die Geschichte der Ermordeten und ihrer Mörder, die aus Niedertracht, Habgier und Opportunismus handelten, auch ist, Menasse gelingt ein sehr kommensurabler Ton, da sie Ironie und Sarkasmus nicht scheut, was die spannende Lektüre zu einem Lesevergnügen macht.« Matthias Reichelt, neues deutschland

»Damit hatte man nicht gerechnet: dass dem gut abgehangenen Genre derNS-Vergangenheitsbewältigung literarisch noch mal richtig neues Leben einzuhauchen ist. Das ist Eva Menasse mit ihrem Meisterwerk gelungen und zwar dank ihrer Sprache.« Die Zeit Literatur

»Bissig, meist aber entlarvend nüchtern beschreibt Menasse, wie das Vergangene immer gegenwärtiger wird. Der Roman macht Täter und ihre Nachbarn sichtbar, das ganze Panorama menschlicher Möglichkeiten zwischen Vertuschen und Aufklären.« Peter Zschunke, Ruhr Nachrichten

»Das literarisch Großartige an Dunkelblum ist der Sog, den die Geschichte entwickelt.« Sophie Albers Ben Chamo, Jüdische Allgemeine

»Dies Buch zu lesen macht trotz aller Grausamkeit Spaß. [...] Jede Figur dieser Stadt hat ihre ganz eigene Sprache und dies zeigt nur ein weiteres Mal, wie ambitioniert Eva Menasse erzählt.« Denis Scheck, WDR 2 Buchtipp

»Ein großartiger, sehr anderer Heimatroman [...]. Dunkelblum hat ein dunklesGeheimnis. Eva Menasse kreist es ein, entwirrt es wie ein verfilztes Knäuel in ihrem sehr anderen Heimatroman.« Ulrich Steinmetzger, Hessische/Niedersächsische Allgemeine

»Eva Menasse überzeugt mit historischer Genauigkeit, einem feinen Gespür für die mentalen Schräglagen ihrer Figuren und einer höchst komplexen Handlungsführung.« Christian Schacherreiter, Oberösterreichische Nachrichten

»Menasse ist eine großartige Sprachkünstlerin, die ihr Thema bis in den letzten Winkel durchleuchtet. [...] Menasses Mischung aus feiner Beobachtung, hoher Reflexion und schwarzem Humor trägt fast jedes Thema.« Andrea Zuleger, Aachener Zeitung

»Die Erfolgsautorin [versteht] es meisterhaft wie kaum eine andere, Vergangenheit und Gegenwart zu verknüpfen« Andreas Bovelino, Kurier

»Eva Menasse wählt für ihren fesselnden, bisweilen auch bitterkomischen Roman die verschiedenen Perspektiven der Dorfbewohner und eine mit Austriazismen gespickte Sprache.« ARD druckfrisch

»Das Erzähltalent und die einzigartige Ausdrucksstärke [von Eva Menasse] werfen das Kopfkino an: Die Charaktere und Schauplätze nehmen vor dem inneren Auge unvermittelt Gestalt an. Das Buch lässt sich, einmal begonnen, kaum aus der Hand legen, bis sich viele Puzzleteile zum Ganzen fügen.« Gisela Huwig, Leo

»Eine der großen Stärken des Romans liegt denn auch in den ganz feinen Verästelungen, den Enden der Blutbahnen, die das fiktive Dunkelblum seit hundert Jahren durchdringen.« Sacha Batthyany, NZZ am Sonntag

»[Menasse] gelingt es, das Grauen in eine schöne, fast schon warmherzige Sprache zu packen ohne es freilich zu banalisieren.« Dominik Bloedner, Badische Zeitung

»Einmal mehr zeigt die österreichische Autorin ihr großes Erzähltalent.« SRF

»Eva Menasse ist eine geschickte und stilsichere Erzählerin, die zu unterhalten weiß und Spannung erzeugt.« Jörg Magenau, SWR 2 Buchkritik

» Ein ehrgeiziges, hinreißend mokantes Erzählvorhaben, das von Eva Menasse beeindruckend gemeistert wird.« Alexander Kluy, Literaturhaus Wien

»Dunkelblum hat ein dunkles Geheimnis. Eva Menasse kreist es vieldimensional ein, entwirrt es wie ein verfilztes Knäuel in ihrem sehr anderen Heimatroman.« Ulrich Steinmetzger, Mannheimer Morgen

»Eva Menasse ist ein unaufdringlicher dichter Roman gelungen, der das Schweigen tosen lässt. Man kann sich nicht entziehen.« Peter Pisa, Kurier

»All diese Motive, die Eva Menasse aufruft, hat man schon einmal gelesen, und doch ist es, als erlebe man sie zum ersten Mal in voller Farbe und in Dolby Stereo. Wie gelingt ihr das? Nur durch die Sprache. Und deshalb ist Dunkelblum ein Roman, der bleiben wird.« Ijoma Mangold, Die Zeit

»Hochkomisch [...] doch zugleich ist es dem Titel gemäß eine tieffinstere Geschichte.« Andreas Platthaus, FAZ

»Eva Menasse hat lange recherchiert und aus dem Material einen umfangreichen Roman gemacht, der eine Art von Antiheimat-Geschichte liefert, mit vielen ineinander verflochtenen Handlungsfäden.« 3sat Kulturzeit

»Gelungene historische Romane können große Stränge der Geschichte verdichten und das Zusammenwirken von gesellschaftlichen Strukturen und individuellem menschlichem Handeln besonders spür und verstehbar machen. Wenn dies dann auch noch in herausragender literarischer Qualität wie bei Eva Menasse gelingt, dann soll man von einem Meisterwerk sprechen.« Jury des Karl-Renner-Preises, buchmarkt.de

Besprechung vom 19.08.2021

Im Grundriss der Geschichte

Kein Wende- und auch kein Schlüsselroman: Eva Menasses neuer Roman "Dunkelblum" ist etwas Besseres. Auf bitterkomische Weise macht er ein historisches Ereignis zum Hintergrund eines Kleinstadtporträts im Jahr 1989.

Der deutschsprachige Bücherherbst 2021 steht im Zeichen von vier Schriftstellerinnen. Höchst erfolgreichen, aber auch schreibskrupulösen, weshalb deren neue Werke nach jeweils langer Pause ungeduldig erwartet werden. In zehn Tagen erscheint Jenny Erpenbecks Roman "Kairos"; sechs Jahre sind seit dessen Vorgänger "Gehen Ging Gegangen" vergangen. Zwei Wochen danach kommt "Am Menschen muss alles herrlich sein" von Sasha Marianna Salzmann heraus, vier Jahre nach "Außer sich", dem gefeierten Debütroman dieser Autorin. Und noch einmal einen Monat später folgt Julia Francks "Welten auseinander", ein ganzes Jahrzehnt nach "Rücken an Rücken". Den Auftakt aber zu dieser Sequenz langersehnter Bücher macht heute Eva Menasse mit "Dunkelblum", ihrem dritten Roman. Acht Jahre liegt der zweite, "Quasikristalle", mittlerweile zurück.

Es ist das einzige hochkomische Buch in diesem Quartett, doch zugleich ist es - dem Titel gemäß - eine tieffinstere Geschichte. Eine, die am Epocheneinschnitt von 1989 angesiedelt ist, und das auch noch an der ungarisch-österreichischen Grenze, die im damaligen Sommer zum Sehnsuchtsort wurde: Mit dem Zustrom von Fluchtwilligen aus der DDR hierher und der zeitweisen Öffnung des Eisernen Vorhangs für sie begann der Kollaps des Ostblocks. Aber "Dunkelblum" ist kein Wenderoman. Sein Thema reicht weiter zurück ins zwanzigste Jahrhundert.

Vielen ist angesichts dessen unheimlich zumute in Dunkelblum, einer kleinen Grenzstadt im Burgenland, auch dem Bürgermeister Koreny: "Wahrscheinlich ist das nicht wichtig, aber die Tochter vom Malnitz, die jüngste, die goscherte, weißt eh, die fragt jetzt dauernd herum wegen irgendwelchen uralten Geschichten, die will ein Museum machen oder zumindest eine private Ausstellung auf dem Grundstück ihrer Mutter, in Ehrenfeld. Allerdings ist da gerade der Stadel abgebrannt . . . Unserer Frau Balaskó hat sie gesagt, sie sucht nach Dunkelblumer Kriegsverbrechern, stell dir das vor, Kriegsverbrecher, bei uns! Das Mädel ist Anfang zwanzig, früher haben sich die jungen Leute für was anderes interessiert, für Tanzen und Flirten . . ." An diesem Zitat ist vieles charakteristisch für den ganzen Roman.

Einmal die Mündlichkeit des Stils: "Dunkelblum" ist ein Vielstimmengebilde, ein rundes Dutzend Haupt- und etliche Nebenfiguren kommt in Worten und Gedanken zur Sprache, und nicht selten klingt es, so wie hier, nach den "Brenner"-Kriminalromanen von Wolf Haas - schon der lokalbedingt zwingenden Austriazismen wegen, für deren Verständlichkeit beim bundesdeutschen Publikum ein siebenseitiges Glossar sorgt. Aber es gibt spät im Roman auch eine bewusst gesetzte Hommage an Haas, als dessen signature sentence "Jetzt ist schon wieder was passiert" plötzlich in indirekter Rede aufblitzt. Eva Menasse stellt sich mit Tonfall und Tönung ihres Schreibens in eine lange spezifisch österreichisch schwarzironische Tradition von Kraus und Musil über Doderer und Lernet-Holenia bis hin zu Hans Lebert oder eben Haas, und den epischen Atem dieser Autoren hat sie auch. 524 Seiten beweisen es.

Dann ist in der eben zitierten Passage der Gegensatz des Landsmannschaftlichen in Dunkelblum angesprochen. Das Burgenland kam erst nach dem Ersten Weltkrieg zu Österreich, vorher gehörte es zum ungarischen Reichsteil, und dorther stammen die Familiennamen Balaskó und Koreny. Malnitz dagegen ist slawischer Herkunft, und selbstverständlich hat es in Dunkelblum auch deutsche Namen: Rehberg etwa oder Reschen. Und Grün. Doch Antal Grün, der Greißler (Gemischtwarenhändler) des Ortes, ist der einzige nach dem Krieg zurückgekehrte Jude. "Wir waren einundfünfzig", sagte Antal lächelnd und mit geschlossenen Augen, "darunter ein achtzigjähriger Rabbi und mehrere Kinder. Und er erzählte dem Doktor Sterkowitz von seiner Nacht auf dem Wellenbrecher." Dieser Doktor praktiziert übrigen im Haus seines jüdischen Vorgängers.

Ganz allmählich kehrt im Roman dann auch die Vergangenheit nach Dunkelblum zurück. Vor allem deren Schatten. Der im Zitat angesprochene Brand des Stadels erweist sich als Menetekel, denn in seiner Nähe hatte sich gegen Ende des Krieges etwas abgespielt, was bis heute beschwiegen wird. Hintergrund von Menasses Romanhandlung ist ein tatsächliches Ereignis im Burgenland, das 2007 durch einen F.A.Z.-Artikel ins Bewusstsein einer größeren Öffentlichkeit trat: das Massaker von Rechnitz an vermutlich zweihundert jüdischen Zwangsarbeitern (F.A.Z. vom 18. Oktober 2007). Ein Jahr später wurde das Drama "Rechnitz (Der Würgeengel)" von Elfriede Jelinek uraufgeführt, und Eva Menasse begann mit der Vorbereitung ihres Romans. Dunkelblum ist Rechnitz nachempfunden - so weit, dass der Illustrator Nikolaus Heidelbach auf seiner Planskizze des Handlungsortes für die Vorsatzpapiere des Buchs den Grundriss des zerstörten Schlosses von Dunkelblum dem des Sitzes der Grafenfamilie Batthyány in Rechnitz nachbildete. Und auch die Topographie der Umgebung des Romanschauplatzes entspricht dem realen Vorbild.

"Dunkelblum" ist jedoch auch kein Schlüsselroman, es sei denn einer mit einem Schlüssel zu den Dunkelzellen der Geschichte. Menasse bringt einiges daraus ans Licht; bei ihr kann literarisch aus der durch Hans-Jürgen Syberberg dokumentierten Hitler-Begeisterung von Winifred Wagner ein Sermon des örtlichen Altnazis Alois Ferbenz werden, aber ihre eigentliche Absicht ist ein Sittenstück, keine Historiographie. Dazu gehört, dass vieles von dem, was aufgeworfen wird an Schicksalsfragen in "Dunkelblum", persönlichen wie gesellschaftlichen, ungeklärt bleiben wird. Aber auch bezüglich der realen Ereignisse von Rechnitz sind ja etliche Sachverhalte weiterhin offen. Nicht zuletzt, wo die Leichen liegen, obwohl man weiß, dass viel mehr Menschen starben, als man Überreste gefunden hat. Das haben die wirkliche und die Romangeschichte gemein. Und das entspricht dem Naturell der Dunkelblumer, die "böswillig dieses und jenes behaupteten, weil sie gegen Geschichten, die gut ausgehen, seit unvordenklichen Zeiten ein tief eingewurzeltes Misstrauen hegen".

Was sich aber zumindest im Roman "Dunkelblum" klärt, das sind familiäre Konstellationen; vor allem die junge Generation - da hat Bürgermeister Koreny ganz recht - legt großen Aufklärungseifer an den Tag. Und nicht nur seltsam sächselnde Fremdlinge kommen plötzlich von den "Drüberischen", wie man in Dunkelblum die Ungarn nennt, sondern auch Studenten auf Exkursion aus Wien, die sich ungebührlich für die lokalen Geheimnisse interessieren. Menasse entwickelt über die Schilderungen dieser Grabungen nach Gräbern eine allumfassende Wassermetaphorik: Unterirdisch ist alles vernetzt in Dunkelblum, aber auch nichts zu greifen.

Und doch gibt es so etwas wie den tschechowschen Revolver. Das ist hier ein Zeitungsartikel, der sehr früh im Roman von einem Fremden, der sich verdächtig lange im Grenzkaff herumtreiben wird, auf der Anreise im Bus gelesen wurde und 450 Seiten später einen Skandal ins Rollen bringt. Menasse inszeniert ihr Kleinstadtspiegelbild unserer Gesellschaft unendlich viel subtiler als Juli Zeh, deren Romane "Unterleuten" und "Über Menschen" ein ähnlich sozialkritisches Ziel verfolgen.

Menasse hat Zeh auch den Schmäh voraus, ihr Buch ist bitterkomisch. "Jedes Mal, wenn Gott von oben in die Häuser schaut, als hätten sie gar keine Dächer, wenn er hineinblickt in die Puppenhäuser seines Modellstädtchens, das er zusammen mit dem Teufel gebaut hat zur Mahnung an alle, dann sieht er in fast jedem Haus welche, die an den Fenstern hinter ihren Vorhängen stehen und hinausspähen", steht gleich auf der ersten Seite. Aber wo bleibt da neben Gott und Teufel die dritte Baumeisterin von Dunkelblum, die Autorin des Romans? Sie ist nur zwei Sätze später in all ihrem Sarkasmus da: "Man wünschte Gott, dass er nur in die Häuser sehen könnte und nicht in die Herzen." Den Einblick in dunkle Seelen soll eben nur die Literatur wagen. Solche Literatur. ANDREAS PLATTHAUS.

Eva Menasse: "Dunkelblum". Roman.

Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 524 S., geb.

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.

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