Inhaltsverzeichnis
Besprechung vom 12.10.2024
Der Aufruhr im Land
Thomas Kaufmann, Lyndal Roper und Gerd Schwerhoff legen exzellente Darstellungen der Geschehnisse des Bauernkriegs vor.
Von Markus Friedrich
Von Markus Friedrich
Es war eine verkehrte Welt. Der Astrologe Joseph Grünpeck hatte das vorausgesehen. 1522 zeigte er auf einem Holzschnitt eine Kirche, die auf dem Kopf stand. Ein Bauer zelebrierte die Messe, ein Geistlicher führte den Pflug. Grünpecks Vision wurde bald Realität, Mönche wurden aus ihren Klöstern vertrieben, und Adelige mussten zu Fuß gehen, statt hoch zu Ross reitend durchs Land zu reisen. Bauern dagegen formten berittene Kampftruppen, trugen adelige Kleidung and proklamierten lauthals neue theologische Ideen. Es war das Frühjahr 1525, und der sogenannte Deutsche Bauernkrieg erreichte seinen Höhepunkt.
Die Konflikte hatten in der zweiten Jahreshälfte 1524 am Oberrhein, im Schwarzwald und am Bodensee begonnen und weiteten sich im Frühjahr des Folgejahres in Windeseile aus. Die Aufständischen plünderten Klöster und Adelssitze in Franken, im Elsass und weiten Teilen Mitteldeutschlands. Häufig machten sie gemeinsame Sache mit Stadtbürgern, auch wenn es sich eher um Zweckallianzen als tiefergehende Bündnisse handelte. Einzelne Adelige und Geistliche standen ebenfalls auf ihrer Seite, doch mehrheitlich bekämpften Fürsten und Bischöfe die Bauern. Beide Seiten bedrohten, erpressten, ängstigten und töteten ihre Gegner im Lauf der immer heftigeren Konflikte.
Im Frühsommer kam es zu zahlreichen Feldschlachten, meist unterlagen die Bauern. Innerhalb einer guten Woche wurden sie im Mai nicht weniger als fünfmal - bei Böblingen, Frankenhausen, Lupstein, Zabern und Scherweiler - schwer geschlagen. Zehntausende wurden niedergemetzelt. Die ungeübten Bauernhaufen waren den erfahrenen Landsknechten der Fürsten, die oft gerade aus den blutigen Italienkriegen zurückkamen, nicht gewachsen. Auf den militärischen Zusammenbruch der Bauern folgte bald eine Zeit der Hinrichtungen und Repressalien.
Traditionell eines der zentralen Themen der Geschichtsschreibung, wurde der Bauernkrieg ab dem neunzehnten Jahrhundert in wechselnde Weltbilder eingeordnet. Auf die radikalliberale Darstellung Wilhelm Zimmermanns im Kontext von 1848 folgte postwendend die marxistische Deutung Friedrich Engels'. Quellensammlung und Gesamtdarstellung des SS-Manns Günther Franz sind nach wie vor unverzichtbare Basis aller Forschung. Nach '1968' spielte der Bauernkrieg sowohl für Historiker in der BRD als auch in der DDR eine herausragende Rolle, wobei sie zu sehr unterschiedlichen Deutungen kamen: Hier sprach man von der "Revolution des Gemeinen Mannes", dort von "frühbürgerlicher Revolution".
Wenngleich es danach stiller wurde um das Großereignis, so war es doch nie vergessen. Bundespräsident Johannes Rau hielt im März 2000 eine Gedenkrede auf die "Zwölf Artikel" der Bauern zum 475. Jahrestag. Nun jährt sich der Bauernkrieg zum fünfhundertsten Mal, und vielerorts in Deutschland wird wieder daran erinnert. Aus der Vielzahl der neuen Bücher zum Thema ragen die Werke dreier herausragender Historiker heraus. Der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann legt eine Mediengeschichte des Bauernkriegs vor, die Deutschlandspezialistin Lyndal Roper präsentiert ihr Buch als eine Erfahrungsgeschichte der Bauern, und der Historiker Gerd Schwerhoff erzählt die Ereignisse neu.
Alle drei Autoren stehen vor einer Reihe ähnlicher Herausforderungen, die im Gegenstand selbst angelegt sind. Da ist zum einen die Frage der Chronologie. Wann war der Bauernkrieg eigentlich? Die einfache Antwort der Schulbücher lautet "1524 und 1525", doch Bauernaufstände hatte es schon in den Jahrhunderten zuvor gegeben. Zu den unmittelbaren Vorläufern werden vor allem der "Arme Konrad" und der "Bundschuh" nach 1500 gezählt. Schwerhoff hat die komplexe Vorgeschichte in ein eigenes Buch ausgelagert ("Auf dem Weg zum Bauernkrieg". Unruhen und Revolten am Beginn des 16. Jahrhunderts. UVK/Narr Francke Attempto Verlag). Diese als "Essay" bezeichnete profunde Synthese der aktuellen Forschung ist eine unverzichtbare Ergänzung zum Hauptwerk selbst.
Noch weiter zurück in der Vorgeschichte, bis ins Mittelalter, geht ein sehr gut lesbarer Abriss über die europäischen Agrarkonflikte von Günter Vogler, dem Nestor der Bauernkriegsforschung, der erst im kommenden Frühjahr erscheinen wird ("Als der Bauer aufstand im Land". Bäuerlicher Widerstand als Kampf für Rechte und Freiheiten vom 9. bis zum 18. Jahrhundert." Gütersloher Verlagshaus), Roper wiederum erwähnt die früheren Konflikte kenntnisreich, aber eher en passant.
Kaufmann dagegen geht das Thema im Lichte seiner medienhistorischen Herangehensweise ganz anders an. Er fragt weniger nach einer Vorgeschichte von Ereignissen, sondern nach einer Vorgeschichte von Deutungsmustern. Er zeigt mit einer Vielzahl von Beispielen aus Flugschriften und Texten, wie sich das Bild vom Bauern und von den gesellschaftlichen Zuständen schon seit etwa 1500 gewandelt hatte. Dabei kommt heraus, dass sich in den Köpfen sehr vieler Menschen offenbar bereits die Idee festgesetzt hatte, dass Bauern sehr unzufrieden und höchst aufmüpfig seien. Man erwartete geradezu das Heraufziehen fundamentaler sozialer Konflikte, Grünpecks Vision des totalen sozialen Ordnungsverlustes von 1522 war Teil einer breiten Medienlandschaft.
Eine andere Herausforderung ist die Suche nach Einheit und Verbindung der beinahe unübersehbaren lokalen Konflikte. Kaufmann bietet hier die vielleicht pointierteste These an. Die Einheit der vielen Aufstände, ihr innerer Zusammenhalt, sei in erster Linie auf der Medienebene zu fassen. Den Bauernkrieg 'gab' es vor allem als Medienereignis. Es war Folge und Effekt von über 250 Druckwerken der Bauernkriegspublizistik, dass aus zahllosen einzelnen Ereignissen, Episoden und Vorfällen ein zusammenhängendes Großereignis wurde. Kaufmann, der die Medienlandschaft des frühen sechzehnten Jahrhunderts kennt wie kein anderer, macht diese Strukturen bis ins Detail nachvollziehbar. An seiner Interpretation des Bauernkriegs als Medienereignis wird auf absehbare Zeit niemand vorbeikönnen.
Schwerhoff und Roper blenden die mediale Dimension keineswegs aus, auch wenn hier Gerüchte und mündliche Konversation noch zusätzlich in Anschlag gebracht werden. Dennoch setzen sie andere Schwerpunkte, um die Vielfalt der Geschehnisse zu bündeln. Roper verbindet die Ereignisstränge am besten dort, wo sie in systematischen Kapiteln zentrale Erfahrungen der Bauern rekonstruieren: Ein Abschnitt widmet sich dem Schlagwort und der Praxis von "Brüderlichkeit" und brüderlicher Gemeinschaftserfahrung, ein anderer behandelt die rastlose "Bewegung" der Bauern durch Süddeutschland und illustriert die berauschende Dynamik der Ereignisse.
Besonders liegt Roper am Herzen, den Bauernkrieg als neuartige Erfahrung von "Männlichkeit" zu beschreiben. In diesen Kapiteln präsentiert die Historikerin eindrucksvoll gestaltete, teilweise auch bewegende Einblicke in die Bauernhaufen und ihre Gefühlslage. In bisweilen fast lyrischer Tonlage beschwört sie die jahreszeitlichen Stimmungen - das Buch hat vier Teile, die "Herbst", "Winter", "Frühjahr" und "Sommer" betitelt sind - und erklärt die Rhythmik des Aufstandes auf diese Weise. Das mag in streng empirischer Hinsicht etwas spekulativ sein, doch brilliert Roper hier durch ihr in jahrzehntelanger Beschäftigung gewachsenes Einfühlungsvermögen in die Zeit und ihre Umstände.
Wie Roper selbst in ihrem Nachwort schreibt, hat sie über Jahre hinweg die Wege und Orte des Bauernkriegs zu Fuß und per Fahrrad nachvollzogen. Diese Art und Weise, als Historikerin mit der Umwelt der Bauern vertraut zu werden, sorgt dafür, dass Ropers Buch nicht nur eine autoritative Abhandlung, sondern zumindest abschnittsweise geradezu eine Wiedererweckung vergangener Zeiten geworden ist. Die deutsche Übersetzung des noch im Erscheinen befindlichen englischen Originals ist exzellent und bewährt sich gerade in den lyrischen Passagen.
Das Buch von Schwerhoff dagegen, nicht weniger gut lesbar, wenngleich in einem ganz anderen, knapp-präzisen Stil gehalten, flicht seine strukturellen Beobachtungen elegant in die chronologische Erzählung ein, ehe das letzte Kapitel übergreifende Perspektiven bündelt. Die Ereignisgeschichte kommt auch bei Roper nicht zu kurz, doch hier punktet Schwerhoff ganz eindeutig, denn Ropers ereignisgeschichtliche Kapitel hinterlassen bisweilen einen etwas additiven Eindruck.
Kein Leser wird all die Details, die Schwerhoff zusammenfügt, jemals im Kopf behalten können, zumal er als Einziger die Tiroler Aufstände in der zweiten Jahreshälfte 1525 in ausführlicher Weise einfügt. Doch er beherrscht die Überfülle an Ereignissen mit geradezu schlafwandlerischer Sicherheit. Seine stets mit vorwärtsdrängender Dynamik erzählten Kapitel glänzen durch abgeklärte Bewertungen des gerade Berichteten. So kompliziert die Dinge auch liegen, nie verliert man als Leser den roten Faden, denn stets ist die sichere Hand des Autors leserleitend präsent. Jeder, der selbst schon einmal versucht hat, komplexe Ereignisse in einen narrativen Ablauf zu verdichten, kann Schwerhoffs Umsicht in der Präsentation nur bewundern.
So unterschiedlich die drei Bücher in Absicht, Aufbau und Ausführung sind, sie legen doch keine grundlegenden Interpretationsalternativen vor. Am stärksten auf eine einzelne These hin ausgerichtet ist Kaufmanns Buch, doch seiner Betonung der Medien widerspricht gewiss keines der anderen Werke. Alle drei Autoren sind sich einig in der Skepsis bezüglich der traditionsreichen Großthesen zum Bauernkrieg. Weder ging es in den Auseinandersetzungen um die erste Artikulation von Menschenrechten noch um einen Klassenkampf noch um soziale Umstürze. Vielfach zielten die Forderungen der Bauern eher auf Reform denn auf grundstürzende Umwälzung des bestehenden Sozialsystems. Radikalere Stimmen gab es zwar, aber sie repräsentierten nicht die Mehrheit. Entsprechend erscheint auch der Prediger von Mühlhausen, Thomas Müntzer, den Friedrich Engels einst als Inbegriff des revolutionären Radikalen präsentierte, heute nur noch als eine eher einsame und wenig einflussreiche Figur.
Was die strapazierte Frage nach der kausalen Verbindung von Reformation und Bauernkrieg angeht, überwiegt ebenfalls der Gleichklang. Alle drei Autoren betonen, dass Luther zwar den Bauernkrieg verabscheute, ihm jedoch seine entscheidende gedankliche Grundlage gegeben hatte. Bäuerlicher Antiklerikalismus fand in reformatorischen Ideen kraftvollen Ausdruck. Speziell im Hass auf die Klöster verbanden sich reformatorische Ideen mit konkreten Bedrückungserfahrungen - der Abt von Kloster Weißenau hielt in einer Federzeichnung eindrucksvoll die bisweilen geradezu grotesken Szenen fest, die sich bei der Plünderung zahlreicher Klöster abspielten. Auch die gezielte Nutzung der Druckmedien, so unterstreicht Kaufmann, verbindet Reformation und Bauernkrieg. All das verknüpft Schwerhoff in der griffigen Formulierung "ohne die Reformation kein Bauernkrieg".
Und doch betonen alle Autoren die kreative theologische Eigenständigkeit der Bauern. Roper spricht sogar von einer eigenen "bäuerlichen Theologie". Zugleich war das reformatorische Evangelium keineswegs immer und überall gleichermaßen präsent, wie Kaufmanns vergleichende Analyse der "Zwölf Artikel" und der "Bundesordnung" der Bauern vom März 1525 eindrucksvoll zeigt. Genauso wenig wie es immer und überall um die radikale Ablehnung bestehender Sozialstrukturen ging, ging es immer und überall um eine radikal biblizistische reformatorische Ausrichtung.
Bei Roper ergibt sich am Ende aus ihrem erfahrungsgeschichtlichen Ansatz und aus der nuancierten theologischen Einschätzung noch eine ganz andere Einordnung der Aufstände. Auch Schwerhoff und Kaufmann halten zwar fest, dass viele Beschwerden der Bauern die Monopolisierung natürlicher Ressourcen wie Wald, Wasser und Wild durch den Adel beklagten. Roper allerdings sieht darin geradezu das Zentrum aller Proteste. So erscheint die bäuerliche Revolte grundlegend durch ökologische Motive motiviert, die Religion der Bauern wird geradezu als Theologie der Schöpfung beschrieben. Auch im 21. Jahrhundert ist der Bauernkrieg gegenwartsrelevant, wie diese drei fulminanten Neuerscheinungen belegen.
Thomas Kaufmann: "Der Bauernkrieg". Ein Medienereignis.
Herder Verlag, Freiburg 2024. 544 S., Abb., geb., 35,- Euro.
Lyndal Roper: "Für die Freiheit". Der Bauernkrieg 1525.
Aus dem Englischen von Holger Fock und Sabine Müller. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2024. 676 S., Abb., geb.,
36,- Euro.
Gerd Schwerhoff: "Der Bauernkrieg". Geschichte einer wilden Handlung.
C. H. Beck Verlag, München 2024. 720 S., Abb., geb.,
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.Es wurden noch keine Bewertungen abgegeben. Schreiben Sie die erste Bewertung zu "Der Bauernkrieg" und helfen Sie damit anderen bei der Kaufentscheidung.