Die Welt von Heinz Strunk ist der unseren in vielem ähnlich. In "Der gelbe Elefant" schreibt er vom Alltäglichen, wo Überraschung, Wunder, Grauen lauert.
Die Geschichten in diesem Buch erzählen von einer Seniorenorganisation namens «Freiwillig über die Klippe» und von einem Autoausflug in die Prähistorie. Ein Experte erlebt in der Sendung von Markus Lanz eine Katastrophe, ein Bauer in der Großstadt und ein Tourist bei der Thai-Massage am Strand. Manche der Texte klingen wie Zeitungsreportagen, manche wie Schauergeschichten, manche sind in Briefform, eine hat gar Bulletpoints. Aber immer sind sie originell, komisch, drastisch und unverwechselbar Heinz Strunk.
«Der momentan anregendste Erzähler der deutschen Gegenwartsliteratur.» Spiegel Online
Besprechung vom 25.06.2023
Die richtige Dosis
Heinz Strunk schreibt weiter. Jetzt sind es, zum ersten Mal, Erzählungen: "Der gelbe Elefant" zeigt einen anderen Autor als die Bücher davor.
Es ist das dritte Buch von Heinz Strunk in drei Jahren. Beide davor, "Es ist immer so schön mit dir" von 2021 und "Ein Sommer in Niendorf" von 2022, waren Bestseller. Und sind beide für den Deutschen Buchpreis nominiert gewesen. Jetzt also, im dritten Sommer in Folge, erscheint sein Erzählungsband "Der gelbe Elefant". Heinz Strunk ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller der deutschen Gegenwartsliteratur. Vielleicht ist er sogar der produktivste, jedenfalls gemessen an der Frequenz zuletzt. Aber auch schon vor dieser dichten Folge wurden seine Romane - seit dem autobiographischen Debüt "Fleisch ist meine Gemüse" (2004) - von der Kritik mit großer Aufmerksamkeit wahrgenommen und von einem großen Publikum gelesen. Strunk arbeitet aber nicht nur literarisch, er war als Satiriker im Fernsehen zu sehen und in der "Titanic" zu lesen, er bewegt sich zwischen Bühne und Kino ("Fraktus"), eine neue Fernsehserie soll im Herbst herauskommen. Als Unterhaltungskünstler hat Strunk sein Betätigungsfeld weit ausgelegt.
Umso begrenzter war bislang die Welt seiner literarischen Stoffe, sieht man einmal vom historischen Roman "Der goldene Handschuh" (2016) über den Hamburger Frauenmörder Honka ab. Doch selbst der fügt sich auf seine Weise in die Galerie von Figuren ein, die Strunk in seinen Geschichten beschrieben hat: Immer eigentlich geht es um den Phänotyp eines Manns, der in die Lücke abstürzt, die sich auftut zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Immer leidet dieser Typ Mann, meist ist er auch der Ich-Erzähler, daran, dass er in der Welt nicht als das gilt, was er zu sein glaubt. Er leidet an sich selbst und an den anderen Menschen, daran, wie die aussehen, wie die riechen, wie die reden - Körper und Sprache sind Leitmotive im Werk Strunks. Und am stärksten leidet dieser Mann an den Frauen, daran, dass sie sich nicht für ihn interessieren oder nur die falschen, aber wenn es dann einmal doch klappt und sich eine Frau in den Erzähler verliebt, die dessen Ansprüchen an Normschönheit und Folgsamkeit genügt, dann erlischt die Liebe - oder was es auch war - irgendwann trotzdem.
So war es im Roman "Es ist immer so schön mit dir", vor zwei Sommern. Und so stark die Geschichte auch auf Pointen hin erzählt ist, so witzig Strunk auch schreiben kann, die Grundierung seiner Stoffe bleibt immer trist, der Ton fatalistisch: permanentes Hadern mit dem Umstand, auf der Welt zu sein, ohne darum gebeten zu haben. Permanentes Hadern mit dem Leben, "das einzige Geschenk, das wir je erhalten", wie es in einer der Erzählungen aus dem neuen Buch heißt. Das ist natürlich die ironische Verwendung einer Kalenderweisheit, wie sie typisch ist für den Autor Strunk und seinen Stil. Meist identifiziert Strunk seine Figuren schon allein darüber, ob sie solche Sätzen sagen oder nicht. Und wenn sie es tun, aus Bürotassen trinken und RTL2 gucken, dann erfährt man oft auch gar nicht mehr über deren Existenz, sie sind mit dem Wortmüll, den sie verbreiten, und dem Geschmacksschrott, den sie konsumieren, schon ausreichend beschrieben.
Man muss all das erst einmal vorausschieben, um einschätzen zu können, welchen Schritt Heinz Strunk jetzt mit diesem neuen Buch macht. Vor allem formal: Denn zum ersten Mal schreibt Strunk Erzählungen. Manche davon sind kaum länger als ein Absatz. Mit solchen Miniaturen hatte er schon früher gearbeitet, doch das waren eher Humortexte oder Kolumnen, unter anderem für die "Titanic". "Der gelbe Elefant" aber orientiert sich in seinem Gestaltungswillen an Vorbildern wie Botho Strauß (dessen Texte Strunk vor Jahren einmal für ein Buch collagiert hat). Manches erinnert auch an die Erzählungen des amerikanischen Autors und Schauspielers B. J. Novak - oder an die Texte der Künstlerin und Regisseurin Miranda July, um eine Autorin ins Spiel zu bringen, was, wenn es um Strunk geht, nicht nah liegt.
Denn die literarische Welt von Heinz Strunk hat immer schon eine starke Männerschlagseite. Wenn überhaupt, dann sind Strunks Werke in den vergangenen Jahren dafür kritisiert worden. So genau Strunk die demolierten Seelen seiner männlichen Figuren von innen erkunden kann, so schematisch fielen, gemessen daran, die weiblichen Figuren oft aus. Aber Heinz Strunk ist ein ehrgeiziger Autor, und das spürt man an diesem neuen Buch. Und stärker noch als an der etwas größer gewordenen Vielfalt der Figuren und Stoffe spürt man es daran, wie seine Erzählungen sich zueinander verhalten. Wie Länge und Kürze sich abwechseln. Wie er mit autobiographischen Elementen, Traumsequenz und Anekdote spielt.
Auf eine klassische Erzählung wie "Bombenexperten", die von einem neunzigsten Geburtstag im Kreis einer durchschnittlich neurotischen Familie handelt, folgt die kursorische Sammlung der "Nachrichten von Carola", da schickt ein weiblicher Fan einem Künstler namens "Heinz" SMS um SMS, unbeantwortet bleibende Rufe nach Nähe zum Star, sie lädt ihn ständig zum Saufen in ihre Stammkneipe in Lurup ein, das ist ein Stadtteil in Hamburg, "bin gerade wieder voll am Abspacken in meiner Stammkneipe Moravia-stübchen", schreibt sie ihm beispielsweise, und diese sechsundzwanzig Textnachrichten sind, wie die Auftakterzählung "Kroketten (Croquettes)" über einen Pärchenabend beim Griechen, eine der wenigen Ausflüge in die Welt der Absturzkneipen und Schlemmerrestaurants, in der die meisten Romane Strunks immer irgendwie zu Hause waren.
Diese Welt muss man sich vorstellen wie eine einzige lange bundesrepublikanische Fußgängerzone, bevölkert von beschädigten, einsamen Seelen in Dreiviertelhosen und neonbeschrifteten T-Shirts, eine Alltagswelt, die alle kennen, die in diesem Land leben und die Strunk als literarischen Ort für sich erschlossen hat. Wieder und wieder hat er sie und die Sprache, die sie hervorbringt, in seinen Romanen als Humorstoff genutzt, hat manchmal wie mit der Brechstange Situationen in seinen Romanen herbeigeführt, damit er sie zitieren kann. Und auch im neuen Erzählungsband finden sich noch Spuren dieser Humor- und Erzähltechnik: "Außerhalb von Autobahnen sieht man richtig was: den Brillenladen OPTINAUTEN (wie dumm ist das denn, Zwinkersmiley?), oder das Möbelgeschäft WOHNDERWAHL. Muss man erst mal drauf kommen."
Aber sie sind rar geworden, was nicht bedeutet, dass Strunk ernster geworden ist. Ernst ist er nämlich immer in diesen Büchern gewesen, auch wenn er sie auf Pointen hin geschrieben hat. Diese Kombination ist ja, von Anfang an, seit "Fleisch ist mein Gemüse", die Eigenart des Schriftstellers Heinz Strunk, also einsame Geschichten zu schreiben, über die man lachen muss. Im neuen Buch findet sich nun eine Ultrakurzerzählung wie "Die Scherben":
"Die Scherben, die vielen Scherben. Der ganze Boden ist bedeckt davon. Er muss sie beseitigen, so schnell es geht. In seiner Verzweiflung schluckt er sie hinunter."
Und das ist schon die ganze Geschichte.
Hatte Strunk in den Büchern davor also etwas zu sehr dem Drang nachgegeben, das besonders oft zu tun, was er besonders gut kann, hat er jetzt an der richtigen Dosis gearbeitet. Und manchmal sind es nur drei Zeilen, und alles ist gesagt. In einer anderen, ein paar Zeilen längeren Geschichte springt ein Mann aus dem 13. Stock und hält sich dabei die Nase zu, "wie Kinder beim Sprung vom Ein-Meter-Brett. Genützt hat es ihm nichts."
Ein Talkshow-Gast, der zu "Lanz" eingeladen, aber nichts gefragt wird. Ein Paar, das seinen Ruhestand mit Rauchen verbringen will. Ein gestählter Rentner, der in seinem eigenen Fitnessraum gefangen ist und ums Überleben kämpft. Ein Hochzeitsfotograf, der einen "Bulli-Blog" betreibt. Ein Motivationscoach, der von Neandertalern festgehalten wird, die er mit seinen Optimierungssprüchen in Schach hält. Ein Flaschensammler, der vom Rad fällt - diese vorletzte ist die eindringlichste der dreißig Geschichten, weil sie Strunks Gespür für die malträtierte Seele zeigt. So wenig Mitleid dieser Autor für Leute übrig hat, die sich Mountainbikes in ihre Wohnungen hängen oder Kampfhunde haben, so groß ist sein Herz dagegen für die, die es nicht packen, nie gepackt haben, niemals packen werden.
Wie Karsten, der Bauer, der in die Stadt fährt, um Weihnachtsgeschenke zu kaufen, durch die Läden stolpert und am Ende nur froh ist, wieder zu Hause zu sein: "Endlich vergeht die Zeit wieder so langsam, wie er es gewohnt ist, als würde sie wie Zahnpasta aus dem flachen Ende der Tube gedrückt."
TOBIAS RÜTHER
Heinz Strunk, "Der gelbe Elefant". Rowohlt Verlag, 208 Seiten
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