Inhaltsverzeichnis
Besprechung vom 27.07.2024
Von Gurkenpflückern und Glücksspielern
Wie nutzten und nutzen Autoren Gärten? Eine Auswahl aktueller Bücher zu und von historischen und zeitgenössischen Gartenfreunden unter den Literaten.
Von Astrid Kaminski
Zu den wendigsten Gartenlauben der Literaturgeschichte zählt die einer Drehbühne nachempfundene Schreibhütte des englischen Dramatikers Bernhard Shaw. Dort schrieb er, sich mit dem Sonnenlicht drehend, viele seiner Stücke. Auch Virginia Woolf und Roald Dahl, der sowohl für Kinder als auch für Erwachsene schrieb, nutzten Schreibklausen im Garten, Jack London und William Faulkner schrieben unter Bäumen. In ihrer jüngsten Publikation "Die Gärten der Literaten" (Gerstenberg, 2024), begibt sich die unermüdliche Gartenpublizistin Jackie Bennett auf die Spur von achtundzwanzig Schriftstellern und der Frage, wie diese ihre Gärten nutzten. Dazu hat sie sich gut situierte westliche Autoren ausgesucht, deren Gartenerbe heute noch öffentlich zugänglich oder zumindest einsehbar ist. Sie wird - neben Touren in die USA, nach Deutschland (zu Goethes und Hesses Gärten), dem Vorukrainekriegsrussland (Tolstois Apfelbäume), Frankreich, Dänemark und Mexiko, vor allem in England fündig, wo viele der Autorengrundstücke heute vom National Trust verwaltet werden.
Dazu zählt unter anderen Agatha Christies sagenhaftes Flussgrundstück im südwestenglischen Devon, das für drei ihrer Krimis die Folie lieferte. Für Jean Cocteau im zentralfranzösischen Dorf Milly-la-Forêt war es sein Fenster zum Garten, das ihm einen strukturellen Rahmen bot, um "seine Welt zu ordnen". Für andere Autoren gab es weniger eine direkte Wechselwirkung zwischen Gärtnern und Schreiben als vielmehr ein großes Interesse an körperlicher Arbeit, an praktischer Pflanzenkenntnis, an Einkommenszugewinn oder an Landschafts- und Naturschutz. So hat die Autorin und zeitweise Großwildjägerin Tania Blixen das elterliche Gut Rungstedlund, auf das sie nach ihren Afrikajahren zurückkehrte, in ein Vogelschutzgebiet verwandelt, und Sir Walter Scott, der als Begründer des historischen Romans gilt, ist auch ein großer Begrüner gewesen: Zusammen mit einem Förster hat er eine bewaldete Flusslandschaft rund um sein schottisches Domizil Abbotsford geschaffen.
Auch als Ort des Trostes spielt der Garten für nicht wenige von Schicksalsschlägen betroffene Autoren des Bandes eine wichtige Rolle. Als Klassiker der Gartentrostliteratur gilt Elizabeth von Arnims "Elizabeth und ihr Garten". Von dem realen Vorbild ist jedoch nichts erhalten. Derjenige von Frances Hodgson Burnett, den sie anlegte, nachdem ihr Sohn an Tuberkulose gestorben war, kann dagegen in der Version heutiger Gärtner an einigen Tagen des Jahres besichtigt werden. Oder er kann als Inspirationsquelle des Kinderbuchklassikers "Der geheime Garten" erlesen werden, einschließlich eines zahmen Rotkehlchens.
"Wer einen Baum pflanzt, insbesondere einen langlebigen Laubbaum, macht der Nachwelt ein Geschenk, das kaum Geld und fast keine Mühe kostet, und schlägt der Baum Wurzeln, wird er die sichtbare Auswirkung alles Übrigen, was dieser Mensch getan hat, weit übertreffen." Diese vom Verhalten eines opportunistischen Pfarrers abgeleitete Erkenntnis aus George Orwells Essay "A Good Word for the Vicar of Bray" klingt für einen Autor seiner Berühmtheit wie ein Understatement. Aber da Orwell wohl mehr von praktischem Idealismus als von Geltungsdrang getrieben war, hat er sich seine Worte selbst zu eigen gemacht und "für zwölf Schilling und einen Sixpence" Obstbäume, Rosen und Stachelbeersträucher gepflanzt. Von "Natur" umgeben zu sein war für Orwell ein Lebensprinzip, sodass er, obwohl gesundheitlich sehr angeschlagen, sein Adoptivkind auf einem nur über einen dreizehn Kilometer langen Fußweg zu erreichenden Hof auf der schottischen Insel Jura aufwachsen ließ. Der oben erwähnte Essay hat wiederum mit Rebecca Solnit eine der bekanntesten Essayistinnen unserer Zeit zu einem Buch entlang von Orwells Pflanzenbeziehungen inspiriert. "Orwells Rosen" (Suhrkamp, 2022) wurde jedoch keine Annäherung an den Einfluss der Flora aufs literarische Werk des Schriftstellers als vielmehr das, was die Autorin dem für sie zündenden Text trefflich attestiert: "ein Triumph der Abschweifung". Wobei die Abschweifungen von Solnit auch notwendige Forschungsbewegungen rund um den Kern einer geheimnisvollen Faszination scheinen, die sie am Ende erst benennen kann: Es ist Orwells bis heute beispiellose Beschreibung der Gefahren des Totalitarismus. Das Pflanzen dagegen habe er, zumindest in seinem letzten Inselgarten, vielleicht eher wie ein "Glücksspiel" betrieben. Immerhin scheint noch eine seiner Azaleen zu leben.
"Ich heiße Mely, ich will Gärtnerin werden", mit diesen Worten fing das Gärtnerinnenschicksal der Autorin und Kolumnistin Mely Kiyak an. So sprach sie, als ihr, nach einigem Klingeln und Klopfen, die Tür des Frauenklosters Fulda geöffnet wurde. Als sie einen Blick auf dessen berühmten Garten erhaschen konnte, wusste sie: "Es war genau die Art von Garten, die ich verstehen und bewirtschaften wollte. Meine Überwältigung über die Farben, die Wildheit und Sinnlichkeit dieses Gartens war unermesslich." Jedoch war "Gärtnerin" aufgrund der Erwartungen ihrer Eltern, die sich dringend eine akademische Laufbahn für ihre Tochter wünschten, nicht die erste Berufswahl der Mely Kiyak. Vaters Stimme im Ohr klang wenig ermutigend: "Wir sind doch nicht barfuß über Meere und Kontinente gewandert, damit du Gurken pflückst." Die Fuldaer Nonnen jedoch machten später den Wunsch wahr, wofür sich Mely Kiyak mit dem Freundschaftsbuch "Dieser Garten" (Mikrotext, 2024) erkenntlich zeigt. Ihre Bewunderung und Zuneigung zu den von ihr als feministisch und humorvoll beschriebenen Ordensschwestern spricht aus jeder Seite des kleinen Buches. Besondere Aufmerksamkeit widmet Kiyak dem Interesse der Nonnen für Kompost. Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg waren die avantgardistischen Ökogärtnerinnen einem Rezept für einen Schnellkompostierer auf der Spur. Durch Verbindungen mit dem Stanbrooker Benediktinerinnenorden in England, der unter anderem für einen Briefwechsel mit Bernhard Shaw berühmt ist, erfuhren sie von der "Quick Return Method" von Miss Maye E. Bruce. Aus wilder Kamille, Löwenzahn, Baldrian, Schafgarbe, Brennnessel und einigem anderen mixten sie schließlich erfolgreich ein Kompostierungswunder und patentierten es für den deutschen Markt. Für das Begleitbuch von Miss Bruce wurden die Übersetzungsrechte direkt beim Nobelpreisträger T. S. Elliot, der damals Lektor bei Faber & Faber war, angefragt. Das Buch ist heute vergriffen, aber das Wundermittel gibt es noch immer.
Gerbrand Bakker ist neben Mely Kiyak einer der wenigen Autoren, die ausgebildete Gartenprofis sind. In dieser Kombination kann er denn auch seiner Liebe zu Rasen das Wort brechen. Fast ein Coming-out in Biodiversitätszeiten. Ebenso bekenntnishaft schreibt er in "Echte Bäume weinen nicht" (Suhrkamp, 2019), einem Band über seinen Garten in der Eifel und Reflexion über die eigenen Gartenkolumnen, auch über Zäune. Sie gehören für ihn zum Garten, den er dem Wald und dem Unkraut abtrotzt. "Ich mag die Eindeutigkeit eines Zauns. Die Sicherheit. Die Übersicht. Das sind Dinge, die ich in meinem Leben brauche." Aber: "Mein Zaun soll weder Mensch noch Tier fernhalten." Auch von überwuchernden, ihre Geradlinigkeit kaschierenden "borders", dem Wort der englischen Botanikersprache für raumdefinierende Pflanzenensembles, hält Bakker nicht viel. Er will "eine Grenze erkennen" können. Eine klare Grenze zieht er selbst in Bezug auf den Bestseller "Das geheime Leben der Bäume" des Försters Peter Wohlleben. Dessen Sprache kritisiert er als "anthropomorph", gar gefährlich im Sinn der Anstiftung zu noch mehr unprofessionellem "Bäumeretten". Auch was Sentimentalitäten in Bezug auf die in die Jahre gekommene Rosskastanie aus Anne Franks Tagebuch angeht, ist der Autor gnadenlos. Trotzdem wurde er, dank Eifel und Hund Jasper, zum Waldfan. Wer auf unterhaltsame Fachmänner mit Hang zum Plaudern und Maulen (Cees Nooteboom soll Kakteennamen lernen, die Filmindustrie sich mit Mauerseglern beschäftigen) steht, wird viele offene Gartentore bei Bakker einrennen.
Eines Tages waren die Buchskugeln weg. Aufgefressen von Buchsbaumzünslern, die ihre Arbeit praktisch über Nacht machen. Und Eva Demski in ihrem Frankfurter Westendgarten hat "geheult". Zuvor jedoch war sie in den Kampfmodus gewechselt und hatte zu harten Maßnahmen gegriffen, Tierliebe gegen "Mordlust" eintauschend. Die Erkenntnis, die folgte: "Wie alle Kriege hat auch dieser viel Kraft vergeudet. Wie in allen Kriegen wurde auch in diesem gut verdient und viel gelogen." Als sie ihre "Neuen Gartengeschichten" (Insel, 2021), gewissermaßen die zweite Staffel, schrieb, waren zwei der aktuellen Kriege noch nicht ausgebrochen, aber in Eva Demskis vielen Lebensjahrzehnten gab es ohnehin verheerendes Anschauungsmaterial genug. Ihre Gartengeschichten sind jedoch kein moralisches Buch. Als Gärtnerin probiert sie alles, von Discounterangeboten bis zu Profitipps werkelt sie sich durchs Grün und Bunt. Sie nimmt ihr Lesepublikum mit durch Freud und Frust der Pflanzenfreunde sowie die ganze Palette der Selbstbeobachtungen derer, sie sich seelisch dem Willen der Pflanzen - mal freiwillig, mal unfreiwillig - unterwerfen.
Ihre launischen Hortus-conclusus-Geschichten haben dabei eher Wiedererkennungswert für Gleichgesinnte, als dass sie aus Balkongeranisten Botanikerinnen machen würden. Sicher ist ihnen jedenfalls, dass sie Gartenbetrachtungen auf literarischem Niveau sind. Eine trotz aller Gummistiefelautoren seltene Gattung. Was sie außerdem sind: ein (pandemiebedingtes) Stöbern durch ebenjenes Genre, von Vita Sackville-West (Gärtner müssen grausam sein) über Alphonse Karrs "Reise um meinen Garten" zur (doch ein wenig moralischen) Rehabilitation des literarischen Gespürs für Pflanzen von Hermann Hesse. Denn jener wurde, so liest die Autorin beim Hesse-Experten Volker Michels, von den "damaligen Speerspitzen des Fortschritts und der literarischen Korrektheit (...) als Gartenzwerg unter den Nobelpreisträgern" der Lächerlichkeit preisgegeben. Mal gut, dass nicht alle Waffen ewig währen.
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.