Besprechung vom 09.06.2024
Der Vulkan kurz vorm Ende der Welt
Erst ein paar kleine Erdbeben, dann geht es richtig los. "Eruption" ist ein Manuskript aus dem Nachlass von Michael Crichton. Auflagenkönig James Patterson hat den Thriller vollendet.
Mit einem Erdbeben zu beginnen, um dann langsam die Intensität zu steigern, diese alte Hollywood-Empfehlung ist gar nicht so leicht zu befolgen, wie sie sich dahinsagt. Aber sie ist auch nicht bloß ein lässiger Spruch, wenn Michael Crichton und James Patterson gemeinsam ein Buch schreiben. Das Manuskript zu "Eruption" stammt aus dem Nachlass des 2008 verstorbenen Crichton, der weltweite Auflagenkönig Patterson hat es jetzt mit dem Segen der Crichton-Witwe zu einem Roman vervollständigt.
Er beginnt mit kleineren Erdbeben auf der Hawaii-Insel Big Island, die den Ausbruch des Mauna Loa ankündigen, des größten aktiven Vulkans der Welt. Als wäre der heftigste Ausbruch in seiner Geschichte, den die seismographischen Daten nahelegen, noch nicht genug, droht gleich noch das Ende der Welt, wie wir sie kennen, weil in einer Höhle auf Big Island auch noch ein Geheimnis der US Army lagert.
Das ist ein Plot, der sogar für Crichton, den Autor von "Jurassic Park", "Timeline", "Westworld" und zahlreichen anderen Bestsellern, großkalibrig wirkt. Es sei sein "passion project" gewesen, hat seine Witwe gesagt, er habe 25 Jahre daran gearbeitet, Forschungsliteratur gesammelt, Notizen hinterlassen, Handlungsstränge und ausführliche Figurenbiographien begonnen, die Schauplätze festgelegt und Interviews mit Vulkanologen geführt. Dieses Verfahren ist die Signatur seiner besten Bücher: Aus dem genauen Studium der wissenschaftlichen Erkenntnisse in einem spezifischen Feld extrapolieren sie erzählerische Überschüsse und entwickeln fiktive Szenarien, die nie völlig unmöglich erscheinen.
Es ist kein Wunder, dass "Eruption" schon jetzt einen "monumentalen Bieterkrieg" entfacht hat, wie das Branchenblatt "Variety" schrieb. Studios, Streamingportale und die großen Networks konkurrieren um die Filmrechte. Die Kooperation zweier Autoren mit insgesamt 700 Millionen verkauften Büchern, so heißt es, gleiche der Zusammenarbeit von Steven Spielberg und George Lucas bei "Jäger des verlorenen Schatzes" vor mehr als vierzig Jahren. Und als sei das heute zur ökonomischen Zwangshandlung geworden, träumt man natürlich gleich von einem Franchise, mit Filmen, Büchern und einer Serie.
Inmitten dieses Hypes ist vielleicht die Frage nicht ganz unsinnig, wie Crichtons Witwe gerade auf James Patterson kam. Auf den ersten Blick ist das eine plausible Wahl: Zum großen Erfolg kommt noch größerer Erfolg. Der 77-jährige Patterson sagt demütig, wie sehr ihn das ehre, wie weitsichtig Crichtons Vision sei und was man halt so sagt in solchen Situationen.
Auf den zweiten Blick wirkt das Casting weniger einleuchtend. Patterson, der vermutlich am besten verdienende Autor der Welt, arbeitet, wie die großen Maler der frühen Neuzeit in ihren Ateliers, mit zahlreichen Gehilfinnen und Gehilfen. Mehrere Ko-Autorinnen und -Autoren, zum Beispiel die längst ihre eigenen Bücher schreibende Candice Fox, führen aus, was der Meister in einem längeren Treatment entwickelt hat. Gelegentlich schreibt er zwar auch selbst Satz für Satz, etwa in dem gemeinsamen Kriminalroman mit Bill Clinton, "The President Is Missing" (2018), aber er sagt, seine Stärke sei doch eher die Entwicklung von Plots.
Pattersons Prosa ist auch schon einer sogenannten stilometrischen Analyse unterzogen worden, die mit einer Software so etwas wie den auktorialen Fingerabdruck ermitteln soll. Im Fall von Patterson kamen die Analysten zu dem Schluss, dass die weniger bekannten Assistenten deutlich mehr Fingerabdrücke hinterließen; bei der Clinton-Koproduktion allerdings habe dann Patterson sich mehr ins Zeug legen müssen. "Struktur vor Stil" lautet das Fazit der Untersuchung, die vor sieben Jahren im "Digital Humanities Quarterly" publiziert wurde, verbunden mit der These, "dass 'Autor' im gängigen Sinne nicht immer der angemessenste Ausdruck für seine (Pattersons, Anm. d. Red.) Rolle im Schreibprozess" sei.
Etwas unhöflicher und nicht computerbasiert hat Stephen King schon vor Jahren über Patterson gesagt, er sei "ein furchtbarer Autor, aber er ist sehr erfolgreich". Wie sich das konkret ausgewirkt hat auf "Eruption", ist schwer zu sagen, weil wir hier keine stilometrische Analyse durchführen und allenfalls sagen können, dass auch Michael Crichton sicher nicht der größte Stilist war unter den Thriller- und Science-Fiction-Autoren.
Es erübrigt sich wohl zu erwähnen, dass "Eruption" einen sehr straff gespannten Spannungsbogen mit nur kurzen Durchhängern hat und die Handlung vom Wettlauf gegen die Uhr lebt. Die Erzählung arbeitet mit knappen Kapiteln, mehr als hundert sind es auf rund 490 Seiten, ohne es mit der Cliffhanger-Dramaturgie zu übertreiben. Das hat das Buch gar nicht nötig. Es bemüht sich auch, durch häufige Einsprengsel aus der hawaiianischen Sprache eine Nähe zum Ort des Geschehens zu erzeugen.
Und der Roman ist, wie das fast immer bei dem studierten Mediziner und belesenen Naturwissenschaftler Crichton war, gesättigt mit vulkanologischen Details, mit der Beschreibung wissenschaftlicher Prozesse und Reflexionen, die auf gründlicher Lektüre beruhen und über die sich nicht einfach hinweglesen lässt, wenn man begreifen will, was die Figuren zu Entscheidungen veranlasst und wie verheerend es zugeht, sobald das Magma steigt, die Lava fließt und die pyroklastischen Ströme - und was passieren würde, wenn die Lava die von der Army gelagerten Behälter am Fuße des anderen Vulkans, des Mauna Kea, erreichte.
Das Personaltableau fällt, den beteiligten Instanzen entsprechend, großzügig aus. Unbestrittener Protagonist ist, neben dem militärischen Kommandanten General Rivers, John MacGregor, Vulkanologe, Leiter des Observatoriums am Fuße des Vulkans. Ein Mann von Mitte dreißig, klug, starrsinnig, selbstbewusst; Frau und Kinder haben ihn verlassen, weil er in seiner Arbeit aufgeht. Eine Kollegin und eine hinzugezogene Sprengstoffexpertin werden als love interest angedeutet, aber wenn der Berg Feuer spuckt, ist dafür keine Zeit.
Es gibt, auch das ist erkennbar Crichton-Casting, hinreichend, aber nicht übertrieben unsympathisch gezeichnete Antagonisten: das Vulkanologen-Paar, das bei Ausbrüchen vor allem die Showtime sucht, den Milliardär, der sie unterstützt, der sich einmischt als Weltenretter und Menschheitsbeglücker und dabei eine mehr als beiläufige Ähnlichkeit mit Elon Musk aufweist. Und da sind die besten Nebendarsteller, MacGregors aufgeweckter Surfschüler oder die Army-Leute, die im Einsatz neben dem unkonventionellen Zivilisten MacGregor alt aussehen. Es ist unvermeidlich, da war Crichton nie zurückhaltend, dass bei einer Katastrophe dieses Ausmaßes Menschen umkommen, die bei anderen, sentimentaleren Autoren überleben würden.
Das alles ist beinahe Crichton as usual, wie eine nostalgische Reminiszenz an den Schriftsteller, der wie kein anderer die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft mit Phantasie und Inspiration in faszinierende Geschichten verwandeln konnte. Bei dem Plot wichtiger war als Stil. Aber es ist jetzt auch alles ein wenig zu brav, zu schematisch und berechenbar, vor allem zu militärfromm, mit zu wenig Herz für die Außenseiter, die sich mit den offiziellen Versionen nicht zufriedengeben wollen und die einfach abserviert werden. Und dass menschliche Hybris von der Natur bestraft wird, die sich nicht einfach unterwerfen und zähmen lässt, ist nun auch keine frische Erkenntnis.
Es wäre nicht fair, noch mehr zu verraten und damit den vielen, die dieses Buch lesen werden, unabhängig von allen Rezensionen, die Spannung zu verderben. Wir werden die Verfilmung erleben oder die Serie oder die Romanfortsetzung - und uns in jedem einzelnen Fall wünschen, Michael Crichtons Erben hätten die Grandezza gehabt, für die Vollendung von "Eruption" einen großen Autor zu verpflichten. Vermutlich hätten da einige angestanden, so wie all die Regisseure, die laut "Variety" gerne eine Crichton-Verfilmung übernähmen. Aber so funktioniert das heute halt nicht.
PETER KÖRTE
Michael Crichton / James Patterson: "Eruption". Thriller. Aus dem Englischen von Thomas Bauer. Goldmann, 498 Seiten, 25 Euro. Erscheint am 12. Juni.
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