Ermittler, die Täter schützen müssen, vor denen ihnen graut, und die im Kampf gegen sich selbst zutiefst gefährdet sind.
Gerade hat das Ermittlerteam um Ben Neven und Christian Sandner ein entführtes Kind befreien und einen der Täter fassen können. Allerdings läuft eine interne Untersuchung an, weil Ben dabei einen der Entführer erschossen hat - da wird klar, dass der Fall eine noch weit größere Dimension hat. Die Polizisten finden Hinweise, dass es ein ganzes Netzwerk von Tätern gibt, die sich gegenseitig im Internet austauschen - kurz danach wird einer von ihnen ermordet. Auch der Verdächtige in Untersuchungshaft stirbt auf rätselhafte Art und Weise. Irgendwann wird klar: nicht nur die Polizei, auch frühere Opfer sind wohl auf das Netzwerk gestoßen - und nehmen jetzt Rache.
Die Ermittler finden sich in der paradoxen Situation wieder, dass sie einerseits gegen Verbrecher ermitteln, deren Taten in ihnen eine tiefe Verstörung auslösen - und dass sie diese Täter gleichzeitig vor einer unbekannten Bedrohung schützen müssen.
Und ausgerechnet der Polizist, in dem viele seiner Kollegen einen Helden sehen, bewahrt ein Geheimnis, vor dem er sich selbst entsetzt . . .
Besprechung vom 13.03.2022
Was in uns lauert
Idyll und Verbrechen: "Am roten Strand", der neue Roman von Jan Costin Wagner, ist vor wenigen Tagen erschienen. Nun stellt der Autor ihn in Frankfurt vor.
Von Florian Balke
Es ist Sommer, ein Rekordsommer sogar, im wirklichen Leben also noch nicht allzu lange her, aber der Strand ist trotzdem kein Ort von Erfrischung und Erholung. Der erste Uferabschnitt, von dem die Rede ist in Jan Costin Wagners neuem Roman, gehört zu einem Traum, in dem ein Vater für kurze Zeit das beglückende Gefühl hat, er könne seiner Tochter, die sich das Leben genommen hat und am nächsten Tag beerdigt werden wird, zwischen Land und Wasser vielleicht doch noch einmal wiederbegegnen. Aber schon bald wird dem Träumenden klar, dass es dazu nicht kommen wird, nicht einmal an diesem unwirklichen Ufer, und der pensionierte Polizeikommissar wacht weinend auf.
Vom friedlichen Familienfrühstück seines noch aktiven Kollegen Ben Neven am nächsten Morgen an bestimmt der Gegensatz zwischen alltäglichem Funktionieren und geheimen, auch verheimlichten Plänen und Sehnsüchten den Roman. Das Buch ist das zweite in der Neven gewidmeten Reihe, die 2020 mit "Sommer bei Nacht" ihren Anfang nahm. Wenn Wagner den am 10. März bei Galiani Berlin erschienenen Krimi am 15. März in der Frankfurter Romanfabrik vorstellt, wird sich zeigen, dass die Situation, in der er seine Hauptfigur am Ende des ersten Bandes zurückgelassen hat, sich im neuen Buch zuspitzt.
Seinerzeit hatte Neven auf der Jagd nach den Entführern eines in Wiesbaden-Biebrich vom Schulhof verschwundenen kleinen Jungen einen der Täter erschossen. Nicht in Notwehr, sondern, wie ihm vollkommen klar ist, aus dem Affekt heraus. Die polizeiliche Untersuchung des Vorfalls ist zu Beginn von "Am roten Strand" noch nicht abgeschlossen. Gesehen hat das, was vorgefallen ist, nur Nevens Kollege Christian Sandner, der den Schützen gegenüber den Vorgesetzten deckt, aber weiß, dass er mit Ben wird reden müssen. Denn Christian ist das, was er am anderen Ende der Lichtung beobachtet hat, nicht ganz geheuer. Selbst ihm jedoch ist nicht klar, was sich wirklich hinter Bens Hinrichtung des Täters verbirgt. Dass der kluge und tatkräftige Kommissar dieselben pädosexuellen, von ihm lediglich im Zaum gehaltenen Neigungen hegt wie die von ihm gejagten Verbrecher und dass er in Gestalt des Entführers gleichsam sein dunkles Gegenbild getötet hat, wissen nur Ben selbst und die Leser, die Wagner wie in jedem seiner Romane zu handlungsunfähigen Zeugen des Seelenlebens sämtlicher seiner Figuren werden lässt.
Dass der 1972 in Langen geborene Wagner auch in "Am roten Strand" mit lapidaren Worten die größten Ungeheuerlichkeiten aneinanderreiht, vom Umsturz der gewohnten Krimi-Ordnung aus Gut und Böse bis zur plötzlichen Explosion eines unverdächtigen Fahrzeugs, führt dazu, dass der Leser die Ermordung diverser Missbrauchstäter durch ihre Opfer im Laufe des Romans mit dem gleichen wohlwollend-irritierten Interesse verfolgt wie den sympathischen Ben.
Denn der Täter sind viele. Der von Ben und Christian entdeckte Fall von Kindesmissbrauch weitet sich durch die Ermittlungen zu einem immer erschreckenderen Panorama zahlreicher Fälle, zusammengehalten durch eine Gartenlaube bei Hofheim. Wagner, der in Heusenstamm zur Schule ging und in Frankfurt studierte, bespielt nach sechs Romanen um den finnischen Kommissar Kimmo Joentaa die Rhein-Main-Region, in der er mit seiner Familie lebt.
Bens Geheimnis aber ist immer schwerer zu bändigen. Zwischendurch hat ein drei Jahre altes Mädchen, das von seinem Vater in ein Wiesbadener Hotel gebracht wurde, um dort missbraucht zu werden, für eine Polizeipsychologin einen Strand aus Legosteinen gebaut und sich mitten ins Meer gestellt, mit einem Rettungsring. Wer wem Ringe zuwirft und sie braucht, wird sich zeigen. Einstweilen geht es in das Zwischenreich des Strandes.
Jan Costin Wagner liest am 15. März von 20 Uhr an in der Frankfurter Romanfabrik aus "Am roten Strand".
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