WAS WÜRDEN SIE MIT 1000 MILLIONEN EURO TUN?
Wie grenzenlos der Reichtum einiger weniger wirklich ist und wie ihr Vermögen das Land verändert.
Julia Friedrichs ist gelungen, was es so noch nicht gegeben hat: Sie bittet Superreiche zum Gespräch, und diese erlauben ihr umfassende Einblicke in ihre Welt und stellen sich ihren Fragen. Ist Vermögen eine Privatangelegenheit? Braucht es ein anderes Steuersystem? Kann es richtig sein, dass sich extreme Vermögen in den Händen ganz weniger ballen? Wann habe ich genug?
Auf den Spuren des Geldes
Ihre Recherchereise führt die Autorin zu Luxusjachten, in Family-Offices und Steueroasen. Im Gespräch mit Wissenschaftlern und Experten fördert sie exklusive neue Daten zutage über die vermögendsten Familien des Landes. Ein augenöffnender Trip durch die Welt des Geldes und ein vielschichtiger Blick auf jene, die sonst schweigen.
Wer sind Deutschlands Superreiche?
Superreich ist ein Mensch, der über viele Millionen Euro verfügt. Hierzulande sind es 3300 Personen, die 23 Prozent des gesamten Finanzvermögens besitzen. Aber auch in anderen Ländern nimmt die Zahl der Superreichen zu. Mit dem Geld, das man braucht, um ihre Superjachten auch nur ein Jahr instand zu halten, könnte man mittlerweile die Schulden aller Entwicklungsländer tilgen - auf einen Schlag.
Müssen wir dem Reichtum Grenzen setzen?
Welches Ausmaß an Ungleichheit verträgt eine Gemeinschaft, verträgt die Demokratie, in der zumindest theoretisch jede Stimme gleich viel wert sein soll? Wie viel dürfen Einzelne für sich beanspruchen in einer Welt, in der die Ressourcen endlich sind? Müssen wir dem Reichtum Grenzen setzen?
Julia Friedrichs begibt sich auf die Spuren des Geldes. Eine eindringliche Reportage über die Frage, wie wir als Gesellschaft zusammenleben wollen.
Besprechung vom 29.08.2024
Eine Frage des Geldes
Wer hat, dem wird gegeben: Wie leben Deutschlands Milliardäre? Sind Yachten noch zeitgemäß? Und gefährden große Vermögen die Demokratie? Ein Buch sucht nach Antworten.
Als die Luxusyacht "Bayesian" des britischen Milliardärs Mike Lynch kürzlich in einem Sturm vor der Küste Siziliens sank, beherrschte das Unglück die Schlagzeilen. Die Nachrichtenkonsumenten fesselte das Schicksal des Milliardärs und seiner illustren Reisegruppe offenbar mindestens genauso stark wie der Parteitag der Demokraten in Chicago. Das Interesse überrascht nicht, tragische Wendungen im Leben reicher Menschen faszinieren die weniger Wohlhabenden viel mehr, als wenn sie ihresgleichen betreffen. Und eine Mega-Yacht steht wie kein anderes Luxusgut für gigantischen Reichtum. Staunend steht der Urlauber in Monaco, Saint-Tropez oder Portofino vor diesen pompösen Rückzugsorten und fragt sich, wer wohl die glücklichen Besitzer sind.
Der Soziologe Grégory Salle zitiert in seinem 2022 erschienenen schmalen Buch "Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän" einen Yachtbesitzer mit den Worten "Wenn der Rest der Welt erfährt, wie es ist, auf einer Yacht zu leben, wird man die Guillotine wieder hervorholen."
Wie also ist ein solches Yachtleben? In diesen Tagen erscheint das neue Buch der Autorin Julia Friedrichs mit dem Titel "Crazy Rich. Die geheime Welt der Superreichen". Darin geht es selbstredend auch um Yachten, deren Unterhalt, dekadente Einrichtungswünsche und Geschmacklosigkeiten. Die Gattin eines Eigners wünschte sich zum Beispiel mit Rochenhaut überzogene Möbelstücke. Bei der Abnahme jedoch gefiel ihr dieses Fischleder ganz und gar nicht, und die Rochenhäute wurden wieder entfernt. Ein Yachtbesitzer kam auf die lustige Idee, seine Crew in Meerjungfrauenkostüme steigen und im Meer schwimmen zu lassen, während das Schiff vor Anker liegt. Die Gäste der "Nemo-Lounge" können den Angestellten dann vom Trockenen aus zuprosten.
Doch das Schmunzeln über solche Albernheiten vergeht einem spätestens bei den Zahlen, die aus dem Hobby Yacht eine planetare Zumutung machen. Friedrichs berichtet, dass Superyachten im Jahr durchschnittlich 7000 Tonnen CO2 ausstoßen. "Ein durchschnittlicher Mensch kommt im Schnitt auf fünf Tonnen pro Jahr. Eine einzige Luxusjacht bläst demnach so viel Treibhausgas in die Atmosphäre wie etwa 1400 Menschen zusammen", so Friedrichs. In Anbetracht des Klimawandels, der die ärmsten Regionen dieser Welt am härtesten trifft, sowie der Endlichkeit unserer Ressourcen stellt sich die dringende Frage, ob man diesen Umweltsünden nicht Einhalt gebieten sollte, indem man das Besitzen einer Megayacht schlicht unattraktiv macht - durch hohe Steuern oder Klimaabgaben.
Jason Hickel von der London School of Economics sagte dem "Guardian" gegenüber, man müsse über Reichtum neu nachdenken, und zwar indem man beschreibt, wie sehr dieser die verbleibenden Klimabudgets erschöpft. "Im Moment sind allein die Millionäre dabei, 72 Prozent des verbleibenden Kohlenstoff-Budgets für das 1,5-Grad-Ziel zu verbrennen. Wir opfern gewaltige Mengen an Energie, um den exzessiven Konsum einer herrschenden Klasse zu ermöglichen - inmitten eines Klimanotstands. das ist komplett irrational."
Es wäre ein Leichtes gewesen, "Crazy Rich" als Reichen-Bashing anzulegen - Applaus hätte Julia Friedrichs dafür gewiss von vielen bekommen. In diese Falle tappt die Autorin nicht. Auch die Gruppe der "Superreichen" ist heterogen. Friedrichs nähert sich Deutschlands Milliardären mit der Neugierde einer Vertreterin der Mittelschicht, die wie wohl jeder andere auch nichts gegen einen gewissen Luxus einzuwenden hätte. Der Zugang zur Welt der milliardenschweren Deutschen (laut "Manager Magazin" sollen es 226 sein) gelang ihr durch hartnäckiges Briefeschreiben, endlose Vorgespräche mit Assistenten und Geduld.
Nicht jeder ihrer Gesprächspartner war bereit, namentlich aufzutreten wie Hans-Peter Wild, Anfang achtzig, geschätztes Vermögen: drei Milliarden Euro. Damit belegt er Platz 77 der reichsten Deutschen. Wild, "Mr. Capri-Sun", wie seine Autobiographie heißt, hat die Getränkefirma von seinem Vater übernommen und daraus einen Weltkonzern gemacht. Sein Lebensmotto lautet "Hard work - and fun". Zum Spaßteil gehört eine Yacht, ein Privatflugzeug und der Rugby-Verein "Stade Français".
Friedrichs schreibt: "Auf die Frage, ob es gerecht sei, dass eine Person mehrere Milliarden besäße und andere so wenig, verdreht Hans-Peter Wild ein wenig unwirsch den Kopf. 'Tss' macht er. Und sagt schließlich: 'Das ist eine akademische Frage, die stellt sich mir nicht.' Das sei ungefähr so wenig sinnvoll, wie der Tatsache nachzugehen, warum er nur drei Milliarden habe, Jeff Bezos aber viele Milliarden mehr." Ob es jeder schaffen könne? Natürlich, mit einer gewissen Begabung und Wille.
Das Erstaunliche an Julia Friedrichs Buch, in dem auch viel Bekanntes steht, ist die Unlust, ja der Widerwille einiger reicher Gesprächspartner, dass eigene Vermögen und die damit einhergehende gesellschaftliche Verantwortung zu reflektieren. Man könnte sich zum Beispiel fragen, ob außer der eigenen unternehmerischen Genialität nicht auch ein kleines bisschen Glück mit im Spiel gewesen ist - wie es etwa der Self-Made-Milliardär und Miteigentümer der "Dallas Mavericks", Mark Cuban, in dem hörenswerten Podcast "What Now?" im Gespräch mit Trevor Noah tut. Oder, viel wichtiger, ob die soziale Ungleichheit nicht inzwischen ein Ausmaß angenommen hat, das dem gesellschaftlichen Zusammenhalt schadet.
Laut des "World Inequality Report" besitzt die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung verschwindend geringe zwei Prozent des Gesamtvermögens - während die zehn reichsten Prozent der Weltbevölkerung etwa 76 Prozent des gesamten Vermögens ihr Eigen nennen. Auch das ist bekannt: Die Reichen werden immer reicher und die Armen immer ärmer. "Mr. Capri-Sun" schert das nicht. Wie andere im Buch zitierte reiche Menschen ist Herr Wild überzeugt: Dieses Luxusleben steht mir zu.
Grundsätzlich kann jeder sein eigenes Geld nach Belieben verprassen, nur wird ein auf exzessiven Konsum ausgerichteter Lebensstil eben irgendwann - siehe Klimawandel - problematisch. Wenn Superreiche mehr als 2300 Tonnen Treibhausgase pro Jahr verursachen, ist das dann noch ein Privatvergnügen?
Marlene Engelhorn, Nachfahrin des BASF-Gründers Friedrich Engelhorn und Befürworterin einer Vermögensteuer, hat vor einigen Monaten öffentlichkeitswirksam einen eigens gegründeten österreichischen Bürgerrat damit beauftragt, ihre geerbten 25 Millionen Euro sinnvoll zu verteilen. Während einer Pressekonferenz sagte sie: "Ungleichheit sorgt dafür, dass die Demokratie gefährdet wird durch den überproportional großen Einfluss einiger weniger mächtiger, reicher Menschen, die ohne Mandat, ohne Rechenschaftspflicht und ohne Transparenz mit ihrem Vermögen machen können, was sie wollen, inklusive Realitäten schaffen." Oder, wie Georg Simmel es formuliert hat: "Vermögen vermag etwas."
Ein Beispiel für die Akkumulation von extremem Reichtum und beunruhigend viel Macht ist der Eigentümer des Satellitennetzwerks Starlink und der Plattform X, Elon Musk, der sich gerade für ein Amt in einer möglichen Regierung Trump in Stellung bringt. Gewerkschaftsfeind Musk hält von irgendwelchen Vorschriften, die ihn in der Ausübung seiner Geschäfte nach Gutdünken hindern, denkbar wenig.
Kritisch blickt dagegen ein in Friedrichs Buch nur Sebastian genannter Milliardenerbe auf sein Vermögen, das für ihn mehr Belastung zu sein scheint, als dass es Freiheit verhieße. Er beobachtet eine seit Jahrzehnten zunehmende Abschottung Vermögender von weniger Begüterten. Er spricht von einer "krassen Parallelgesellschaft". Sebastian erzählt, er habe "in der Verwandtschaft und bei anderen Vermögenden beobachtet, dass einige im Alter nach und nach die Häuser in der Nachbarschaft aufgekauft hätten, auch um entscheiden zu können, wer dort einzieht." Ein solches aus Misstrauen und Angst gespeistes Sicherheitsbedürfnis lässt sich offenbar nicht mehr durch Mauern, elektrisch hochfahrbare Thuja-Hecken, Kameras und Alarmanlagen befriedigen.
Würde man zehn Menschen fragen, wie viel Geld für ein gutes Leben notwendig sind, man bekäme zehn unterschiedliche Summen genannt. Bei jenen, die viele Millionen oder gar ein paar Milliarden besitzen, scheint häufig eine Devise richtungsweisend: Mehr. Friedrichs zitiert einen Vermögensberater, der stets den dringenden Auftrag verspürt habe, das Geld mehren zu müssen. "Er habe nie erlebt, dass einer ihm offen gesagt hätte: 'Lass gut sein. Ich habe längst genug.' Im Gegenteil. Er erlebte große Unterschiede zwischen den Selfmade-Reichen und denen, denen es per Schenkung oder Erbschaft übertragen worden war. 'Die hatten oft Ängste, Ängste vor dem Totalverlust des Vermögens'." Wovor sich offenbar einige fürchten: Enteignung.
Angesichts von einem Heer aus Top-Beratern, die das Geld Reicher bisweilen atemberaubend trickreich vermehren, ist diese Angst, womöglich einmal mittellos dazustehen, bemerkenswert. Überhaupt treibt die Angst erstaunliche Blüten. Ein Vermögensverwalter erzählte Friedrichs, dass es zu seinen Aufgaben gehöre, Fluchtoptionen vorzubereiten. "Er erzählt von Bauernhöfen oder Häusern, die in Mittelamerika, Kanada oder Neuseeland allzeit bereit darauf warten, dass die Luft hier zu dünn - oder besser: zu heiß - wird. Für manche Familie habe er gar Evakuierungspläne schreiben müssen. Wer fliegt im Ernstfall auf welchem Weg raus? Wie schnell lässt sich die Farm in den Selbstversorgungsmodus schalten? Wie viel Vermögen wäre wie schnell flüssig zu machen?"
Wird die Frage gestellt, wie viel soziale Ungleichheit eine Demokratie aushält, die auch Friedrichs nicht beantworten kann, ertönt von Seiten Vermögender oft der Vorwurf des Neids. Die Deutschen, heißt es dann, missgönnten den Leistungsträgern des Landes ihren Erfolg. Das mag teilweise stimmen. Nur hat es nichts mit Neid zu tun, wenn Kritik daran laut wird, dass ein Dax-Vorstand mittlerweile "im Schnitt das 50-Fache eines durchschnittlichen Angestellten in seinem Unternehmen" verdient, während es in den Achtzigerjahren noch das Vierzehnfache war. Es ist schlicht ein berechtigtes Unbehagen. MELANIE MÜHL
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