Die Geschichte um Martha (und die Ihren) hat mich sofort abgeholt. Ich mag solche Erzählungen vom Leben eines Menschen, von seiner Familie, von den Lebensumständen - gerade von denen, die man so heute nicht mehr kennt.
Wir befinden uns zu Anfang des 20. Jahrhunderts in der Schweiz. Martha und ihre Geschwister sind das einfache Leben gewöhnt, sie leben auf einem Pacht-Hof, der sie mehr schlecht als recht versorgt; der Vater arbeitet zudem als Brunnenbauer, sucht mit der Rute Wasser für die Bauern. Doch eines Tages wird das Leben der Familie durcheinandergewirbelt. Der Vater wird beim Brunnenbau durch eine Explosion schwer verletzt und soll sich nicht wieder erholen. Er stirbt und die Mutter kann den Hof und die Familie nicjht halten. Die Kinder werden verdingt (ein Ausdruck den ich kannte und doch nicht kannte).
Die Kinder werden verdingt, auch das ist ein neues Wort für Martha. Später wird sie denken, dass das Wort ja stimmt, sie sind zu Dingen geworden
Die Kinder werden in verschiedene Familien gegeben, um dort aufzuwachsen - doch wird Martha nie zu einem wirklichen Familienmitglied werden; wobei sioe es noch nicht einmal schleht getroffen hat. Zunächst erhält sie zu wenig zu Essen - sie sitzt ganz hinten am Tisch, dort wohin die Speiseschüsseln als Letztes gelangen - und wird als Nachmittagsaufsicht für den geistig behinderten Sohn eingeteilt. Dieser ist ihr jedoch kräftemässig überlegen, so dass sie von ihm Gewalt erfährt und gezwungen ist, Gewalt auszuüben. Ein aufmerksamer Lehrer - der auch ihre Begabung in der Schule erkennt und sie fördert - erkennt ihre Misere und verhilft ihr - durch ein Gespräch mit den Pflegeeltern einen besseren Stand in der Famile; allerdings wächst dadurch auch eine neue Kluft zwischen der Familie und Martha.
Martha erkennt, dass sie für sich selbst sorgen muss und bemüht sich um eine Anstellung in einer Strickerei. Sie arbeitet hart, schafft es jedoch, bei der Pflegefamilie einen Anteil für Kost und Logis abzugeben und sich zudem Geld für ein Fahrrad zusammenzusparen. Insgesamt erkennt sie, dass Leistung und Anstrengung honoriert wird.
Und diese Erkenntnis prägt ihr gesamtes Leben. Immer ist sie bestrebt, es im Leben besser zu haben - und dafür ist sie bereit alles zu geben. Auch als sie schließlich heiratet, übernimmt sie bald Arbeiten im Betrieb ihres Mannes. Dieser wird bald krank und immer schwächer - schließlich steht sie - mittlerweile mit zwei Kindern - wieder allein da. Doch sie gibt nicht auf. Sie kämpft sich wieder hervor - und ihr Leben bleibt eine einzige Mühe - um Annerkennung (in der Gesellschaft), begrenzten Wohlstand und Sicherheit. In dieses Leben investiert sie all ihre Kraft - für ihre Söhne bleibt wenig Raum; Nähe und Zuwendung kennen sie nicht.
Zeit kann man sich nehmen, ich nahm sie mir nie. Der Unsichtbare hat sie aufgefressen, und er ist wieder da, gönnt sie mir nicht.
Doch eines gibt sie ihnen - besonders dem älteren - mit: Das Streben nach Anerkennung und Wohlstand. Und bei ihm wird es fast zur Zwanghaftigkeit. Die nächste Generation hingegen befreit sich aus diesem Zwang und geht andere Wege. Wobei diese Rebellion Vater und Sohn fast entzweit.
Und er fügte einen Satz hinzu, den sie ihm nicht zugetraut hätte: »Er will zu viel von sich.«
Inhaltlich soll hier nicht zu viel verraten werden. Der Autor hat es meiner Meinung nach geschafft, existentielle Lebensprobleme in einer ruhigen und doch kraftvollen Art zu erzählen, die den Leser mitnimmt, auf eine Reise durch drei Generationen. Drei Generationen, die immer etwas mit auf den Weg bekommen, mit dem sie sich auseinandersetzen müssen, was sie meistern müssen und es auf die eine oder andere Art schaffen - oder auch nicht. Dabei nimmt der Autor auch die einfließenden Personen (Ehefrauen, Ehemänner, Schwiegereltern etc.) mit auf, stellt sie vor identische oder auch neue Probleme und Herausforderungen. Wir erleben hier eine Familien-Geschichte, die nicht zur Saga aufgebauscht wird und trotzdem voll ist von Konflikten und zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen.
Hier und da verläuft sich der Autor dann doch ein wenig in den Geschehnissen, was mich dann selbst etwas hat abschweifen lassen, in den Gedanken. Insgesamt aber ein Werk, welches ich gern gelesen habe.
Von mir gibt es hier 4 von 5 Sternen.
Und eine Empfehlung für alle, die gute Familiengeschichten mögen, die etwas zu erzählen wissen.