Bücher versandkostenfrei*100 Tage RückgaberechtAbholung in der Wunschfiliale
product
cover

Bitteres Blau

Neapel und seine Gesichter

260 Lesepunkte
Buch (gebunden)
Buch (gebunden)
26,00 €inkl. Mwst.
Zustellung: Mi, 02.10. - Sa, 05.10.
Sofort lieferbar
Versandkostenfrei
Empfehlen
Dass die Italiener verrückt sind, wissen wir. Auch dass sie, nicht ohne Grund, stolz darauf sind: »Siamo pazzi!« - nirgends in Italien schallt das mit so viel Berechtigung wie aus Neapel, vielleicht der schönsten Stadt Europas, von der schon BenedettoCroce sagte, es sei ein von Teufeln bewohntes Paradies.Maike Albath, die Italien, das geistige und das alltägliche, kennt wie ganz wenige nördlich der Alpen, hat mit ihrem neuesten Buch - nach Turin, Rom und Sizilien - das Labyrinth der uralten Stadt am Golf erkundet. Der Fußball und Maradona, ElenaFerrante, die Industrieruinen von Bagnoli, Capri, die Camorra und ihre Feinde, der Vesuv und, wie immer bei dieser Autorin, berühmte und normale Zeitgenossen, denen sie zuhört - auf all das darf man sich zum nun schon vierten Mal freuen.

Produktdetails

Erscheinungsdatum
27. August 2024
Sprache
deutsch
Seitenanzahl
348
Autor/Autorin
Maike Albath
Verlag/Hersteller
Produktart
gebunden
Gewicht
433 g
Größe (L/B/H)
200/137/25 mm
ISBN
9783949203909

Portrait

Maike Albath

Maike Albath, geboren 1966 in Braunschweig, ist Autorin und Moderatorin beim Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur und schreibt u. a. für die Süddeutsche Zeitung und Die Zeit. Sie hat mehrere Jahre in Italien verbracht und ist eine der profiliertesten Kennerinnen der italienischen Gegenwartskultur. 2002 erhielt sie den Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik, 2006 die Übersetzerbarke. Albath lebt in Berlin.

Pressestimmen

Besprechung vom 31.08.2024

Inbegriff einer bedrohten Stadt

Verführt von Neapel: Maike Albath verknüpft gekonnt Reportage, Autorenporträts und urbane Geschichte.

Unlängst erkor die "New York Times" Elena Ferrantes "Geniale Freundin" zum bisher besten Roman des 21. Jahrhunderts. Und wenngleich das Fieber um das ungleiche Duo aus dem Eisenbahner-Viertel schon seit ein paar Jahren sinkt, lässt sich die literarische Produktivität Neapels nicht leugnen. Denn da wären auch der "Gomorrha"-Autor Roberto Saviano, die magische Realistin Anna Maria Ortese oder der Dramatiker Eduardo de Filippo, der mehrmals knapp am Nobelpreis vorbeischrammte. Sie alle haben gemeinsam, dass sie auch außerhalb der Stadt am Golf viel gelesen wurden und werden und dass sie alle mehr oder weniger über Neapel schreiben. Aber was verbirgt sich hinter "Neapel", was verleiht der Stadt die vielen "Gesichter", und was hält sie zusammen?

Diese Frage umkreist, mit Blick vor allem auf die vergangenen hundert Jahre, das neue Buch von Maike Albath in einer Mischung aus Reportage, Autorenporträts und Stadtgeschichte. Sie setzt damit ihre mit "Der Geist von Turin", einer brillanten Studie über die italienische Literaturhauptstadt der Nachkriegszeit, begonnene Reihe fort. Rom und Palermo hat sie ähnliche Bücher gewidmet. Doch nirgends schaut die Gegenwart so deutlich vorbei wie hier, und nirgends lässt sie einen so ratlos zurück.

Das Buch besteht aus einer Folge von Besuchen. Sie führen auf der Oberfläche durch eine Metropole, die sich wieder einmal selbst an den Haaren aus dem Abgrund zieht, untergründig dagegen von der (jüngeren) Vergangenheit in die Gegenwart. Die Autorin verfällt dem abgerissenen Charme des einstigen Innenstadtghettos Sanità, wo die einheimische Jugend die kulturellen Schätze der Vergangenheit - darunter die Katakomben des Stadtheiligen San Gennaro - hebt und präsentiert. Zugleich lernt sie die Fallstricke eines Hypertourismus kennen, dem sich die Stadt seit einem knappen Jahrzehnt ausliefert. Der Flughafen, dessen Anflugschneise mitten durch die Altstadt geht, wird des Andrangs nicht mehr Herr, die Mieten schießen in die Höhe, und an ungestörte Spaziergänge, wie sie der größte Intellektuelle des Südens, Benedetto Croce, einst unternahm, ist nicht zu denken.

Der Autorin geht es in Neapel so wie vielen Reisenden: Sie wird verführt. Sie gustiert die fensterlosen, ebenerdigen "bassi", in denen immer noch das Bett das sichtbarste Wohlstandszeichen ist, sie bekommt einen Kaffee - echten Kaffee gebe es nur in Neapel - am Fensterbrett gereicht, und sie steigt zu den Totenschädeln in die Krypten, die ihr das Andauern des Archaischen unter dem jeweils Aktuellen bedeuten. Bei lebenden und toten Autoren sucht sie den Effekt dieser barocken Vielfalt zu orten, in der größte Pracht und "miseria" nah beieinanderliegen. Sie widmet sich den Sozialreportagen Matilde Seraos, einer Bestsellerautorin des vorvergangenen Jahrhunderts und einer großen Zeitungsgründerin, die die Form der "cronaca", der neapolitanischen Kurzgeschichte, erfunden hat, ebenso wie ihren Nachfolgerinnen Anna Maria Ortese, Fabrizia Ramondino oder eben der literarischen Maske Elena Ferrante. Immer durchdringt sie, wie könnte es vor dem Hintergrund der selbst erklärten Stadt des Theaters anders sein, die Literatur als Inszenierung, mal als Journalistin, mal als behutsam interpretierende Literaturwissenschaftlerin. Einzig bei der unsichtbaren Elena Ferrante weicht sie aus - aber wie ließe sich für Roland Barthes' Absehen vom empirischen Autor werben, nachdem man Kapitel für Kapitel bei Dichtern am Mittagstisch sitzt?

Zugleich geht es, das machen die vielen Stadterkundungen deutlich, nicht nur um Texte, sondern um die Sprache der Orte, mithin um deren phantasmagorische Qualitäten. In der gelungensten biographischen Vignette, der zu Benedetto Croce, entwirft die Autorin ein Panorama der Altstadt und zeigt, wie tief der Begründer des Historizismus gerade über die von ihm bewohnten und ihn umgebenden Palazzi mit der europäischen Geschichte verbunden war. Albath erweist sich in diesem Kapitel auch als genaue Übersetzerin: Sie zitiert weitläufig und bildet ohne Manierismen die geschwungenen Satzperioden des Autors nach, der in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts im Ausland das geistige Italien verkörperte und deshalb von Mussolini verschont wurde.

Ein wichtiger Ort ist der Palazzo Donn'Anna, am Ufer von Posillipo. Auf zahlreichen Gemälden der Grand Tour ist dieses wie aus dem Meer geborene Bauwerk zu sehen, in dem sich der Vorschein irdischer Glückseligkeit mit dem Wissen um die Vergänglichkeit verschränkt - unter der Stadt und Teilen des Golfes erstreckt sich ein unterirdischer Vulkan.

Neapel als Inbegriff einer bedrohten Stadt, samt Kriegen und Epidemien, die die moralische Ordnung nicht unangetastet lassen - das entging auch Langzeitbesuchern nicht. Sie steht im Zentrum der Romane Curzio Malapartes, aber auch des legendären Tagebuchs "Neapel 44" von Norman Lewis, einem englischen Offizier, der gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in der Stadt stationiert war. Malaparte feiert den Schrecken als ästhetische Offenbarung, Lewis regt das Elend zu scharfer Selbstbefragung an. In beiden Fällen verweist hier Neapel auf etwas anderes, wird zum realen Symbol. Distanzierung erscheint die einzige Weise, mit der Ambivalenz der Stadt zurechtzukommen: Die meisten der von Maike Albath porträtierten Autoren haben über Neapel geschrieben (oder Filme gedreht), nachdem sie an weniger aufregende Orte gezogen waren.

Einen Versuch, über die Stadtspaziergänge hinaus das Gemeinsame der neapolitanischen Literatur zu erfassen, hätte man sich als Leser gewünscht. Beispielsweise eine Überlegung zu Neapel als medialem Ereignis. Ist die Stadt doch ein "brand", wie Albath schreibt, nicht zuletzt aufgrund der langen Verwertungsketten aus Literatur, Malerei, Film und Musik. Diese Verwertungsketten sind aber nicht von außen auferlegt. Schon Sartre schrieb, dass Neapels Bewohner eben hauptsächlich "Leben in Neapel" spielten. Ursachen für diesen Selbstbezug gibt es viele, und sie haben bewirkt, dass man sich selbst als Ressource ansieht. Selbstreflexion, Kapitalisierung, Branding - all das bildet hier einen Zusammenhang. Er führte auf der einen Seite zu einer radikalen Aufklärung - Neapel ist ein philosophisches Zentrum -, auf der anderen zu einer unerschöpflichen Verausgabung, der Konsum als Lebensform entspricht. Diese sehr moderne Ambivalenz lässt sich an der Stadt und ihrer Literatur, in die Albaths Buch einen gelungenen Einstieg bietet, studieren. ULRICH VAN LOYEN

Maike Albath:

"Bitteres Blau". Neapel und seine Gesichter.

Berenberg Verlag, Berlin 2024.

352 S., Abb., geb.

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.

Bewertungen

0 Bewertungen

Es wurden noch keine Bewertungen abgegeben. Schreiben Sie die erste Bewertung zu "Bitteres Blau" und helfen Sie damit anderen bei der Kaufentscheidung.