Der New York Times-Bestseller von Mary Beard über die römischen Kaiser - von Augustus bis Caligula, von Nero bis Commodus, der sich zum Gladiator ausbilden ließ. Nach ihrem Bestseller »SPQR«, in dem über den Senat und das Volk von Rom schreibt, erzählt die »berühmteste Althistorikerin der Welt« (The Guardian) nun über Leben, Herrschaft und Alltag der Kaiser.
Sie zeigt, was es wirklich hieß, Kaiser von Rom zu sein, jenseits der wilden Geschichten über Intrigen, Orgien und Wahnsinn. Sie malt ein farbiges Bild der Kaiserzeit, voll mit dem prallen Leben. Sie schildert, wie Augustus, Nero oder Caligula die Regierungsgeschäfte führten, stellt ihren Alltag im Palatin, dem römischen Kaiserpalast, dar, ihre Aufgaben und ihr Verhältnis zum Volk. Sie macht uns mit den Ehefrauen und Geliebten des Kaisers bekannt, auch mit den Müttern wie Neros Mutter Agrippina, mit den Rivalen des Imperators, seinen Sekretären, Buchhaltern und Hofnarren bis hin zum Schuhputzer und Serviettenhalter. Wir erfahren, was der Kaiser speiste, wie er reiste, mit wem er schlief, wovor er am meisten Angst hatte.
Und sie zeigt, was die einfachen Leute im Kaiser sahen, was das römische Volk von ihm erwartete. Er war nicht nur die Verkörperung ihrer Ängste, die sich in den Mythen über die grausamen Herrscher Roms widerspiegeln. Sie wandten sich an ihn in der Not und bei Konflikten und sahen in ihm den weisen Richter, der ihre Probleme löste.
Mit Humor und Scharfsinn schreibt Mary Beard über die Kunst des Regierens, über Autokratie und Korruption - und revolutioniert nebenbei unser Bild von Herrschern und Beherrschten im Römischen Reich.
Opulente Ausstattung mit 126 Abbildungen, u. a. in einem farbigen Bildteil
Besprechung vom 12.10.2024
Gute Herrscher, schlechte Herrscher
Im Zweifel für die zweifelhafte Anekdote: Mary Beard unternimmt eine Reise durch die Welt römischer Kaiser.
Von Jannis Koltermann
Von Jannis Koltermann
Wer beim römischen Kaiser Elagabal zum Essen eingeladen war, musste sich auf einiges gefasst machen. Im besten Fall erhielt der Besucher 22 Gänge exotischer Speisen, darunter Flamingohirne, Rebhuhneier oder mit Perlen besprenkelter Fisch, und konnte sich in den Essenspausen noch mit Kurtisanen vergnügen. Wenn es nicht so gut lief, entpuppten sich Kissen als Furzkissen, die Speisen waren Nachbildungen aus Wachs, und zum Ende des Gastmahls regneten so viele Blütenblätter von der Decke herab, dass nicht wenige Gäste daran erstickten.
Im kollektiven Gedächtnis sind die römischen Kaiser seit jeher mit solchen Anekdoten verknüpft. Elagabal, der von 218 bis 222 regierte, mag noch zu den weniger bekannten Gestalten gehören (vielleicht widmete Stefan George ihm auch deswegen einen Gedichtzyklus). Doch selbst wer keinen Grundkurs in römischer Geschichte besucht hat, weiß in der Regel, dass Nero zum Brand von Rom die Leier spielte und Caligula sein Pferd zum Konsul machen wollte. Die künstlerische Phantasie hat das zweifellos beflügelt - es gibt kaum einen (vermeintlichen) Tyrannen der Gegenwart, der nicht als Wiedergänger eines dieser Kaiser karikiert worden wäre. Was, in Jupiters Namen, soll man mit solchen Geschichtchen aber als Wissenschaftler anfangen?
Als der Oxforder Althistoriker Fergus Millar 1977 sein Standardwerk "The Emperor in the Roman World" veröffentlichte, ließ er sie einfach beiseite. Schließlich sind viele gerade der bekanntesten Anekdoten nur bei Schriftstellern überliefert, die Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte nach dem Geschehen schrieben - und an deren Unvoreingenommenheit erhebliche Zweifel bestehen. Außerdem interessierte sich Millar für den Kaiser vor allem als Herrn der römischen Verwaltung, und da schienen Gerichtsprozesse, Schenkungen und Steuerreformen wichtiger als Gastmähler oder Zirkusspiele. Schon damals freilich war umstritten, ob Millars positivistischer Ansatz der Absicht angemessen war; in einer bekannten Rezension hieß es, Millar sei verfahren wie ein "Reisender, der mit großer Mühe einen Rolls-Royce baut, um damit den Atlantik zu überqueren".
Fast fünfzig Jahre später legt Mary Beard nun erstmals wieder eine umfassende Monographie über den römischen Kaiser vor. Wie Millar geht es auch Beard in erster Linie um "den Kaiser" an sich, nicht um einzelne Kaiser. Bedauerlicherweise wird dieser Anspruch in der deutschen Übersetzung des Titels verdunkelt: Dort wird aus dem generischen Singular "Emperor of Rome" ohne Not der Plural "Die Kaiser von Rom", als handle es sich um eine jener Biographiensammlungen, wie es sie bereits zu Dutzenden gibt. Tatsächlich aber geht es Beard gerade nicht darum, zu erzählen, wie Nero auf Claudius folgte, oder zu bewerten, ob Trajan besser regierte als Mark Aurel. Treffend bemerkt sie, dass die meisten Einwohner des Reiches nicht einmal gewusst haben dürften, wer gerade Kaiser war; nach einem Machtwechsel genügte es meist, die Gesichtszüge einer bestehenden Statue moderat anzupassen. Die äußeren Umstände der Herrschaft änderten sich in den 250 Jahren zwischen Augustus (der 27 v. Chr. den sogenannten Prinzipat etablierte) und Alexander Severus (222 bis 235 n. Chr.), dem Zeitraum ihrer Darstellung, ohnehin kaum.
Abgesehen von diesem Interesse an Strukturen statt an Charakteren ist fast alles anders bei Millar. Dass Beards Darstellung deutlich zugänglicher ausfallen würde als dessen fußnotensattes Monumentalwerk, war zu erwarten: Zwar ist die emeritierte Professorin aus Cambridge wissenschaftlich ebenso ausgewiesen, zur berühmtesten Althistorikerin der (angelsächsischen) Welt wurde sie jedoch durch populäre Bücher wie "SPQR" (2016), ihre Kolumne im "Times Literary Supplement" und ihre Filme für die BBC. Auch "Die Kaiser von Rom" ist hervorragend zu lesen: Die Gliederung ist klar, anschauliche Szenen und allgemeine Betrachtungen fügen sich ineinander, zahlreiche ungekünstelte Vergleiche mit der Gegenwart holen den mit der Antike nicht vertrauten Leser ab, und fast alles, was sich illustrieren lässt, wird auch illustriert.
Nicht nur mit dieser Popularisierung hängt freilich zusammen, dass Beard auch inhaltlich ganz andere Schwerpunkte setzt. Anstatt zweifelhafte Anekdoten einfach zu ignorieren, stellt sie Elagabals Bankette ihrer Darstellung sogar voran. Denn ob die Geschichten stimmen oder nicht: Sie zeigten jedenfalls, dass auch diese scheinbar politikfernen Bereiche für das Image des Kaisers wichtig gewesen seien, und gäben Aufschluss darüber, was in ihnen vom Kaiser erwartet wurde. Selbst ein arbeitsamer Kaiser habe schließlich ebenso viel Zeit in den Bädern oder auf dem Speisesofa wie am Schreibtisch verbracht.
So sehen wir Beards Kaiser nicht nur beim Beantworten der zahlreichen Petitionen, die aus allen Teilen des Reichs bei ihm landeten (und nicht selten Petitessen betrafen). Nach einer kurzen Darstellung des geschichtlichen Kontexts widmet sie sich ebenso den kaiserlichen Palästen, den Menschen in seinem Umfeld, seinen Besuchen bei den Spielen oder seinen Reisen.
Dabei wird schnell deutlich, wie schwierig es gewesen sein muss, ein guter Kaiser zu sein. Nicht nur weil der eigene Einfluss auf die Geschicke eines Reichs, in dem ein Brief in manche Provinzen mehrere Monate brauchte und es zwanzig Mal weniger Magistrate als im Alten China gab, sehr begrenzt war. Selbst in den Bereichen, in denen man etwas tun konnte, war es fast unmöglich, allen Erwartungen gerecht zu werden: Waren die eigenen Bankette bescheiden, galt man als knausrig, ließ man üppig servieren, wurde man leicht für verschwenderisch gehalten. Die goldene Mitte trafen nur wenige.
Zudem hatte es der Kaiser nicht unbedingt in der eigenen Hand, ob er als guter oder schlechter Herrscher in die Geschichte einging. Beard weist darauf hin, dass dieses Urteil häufig vor allem vom jeweiligen Nachfolger abhing: Versuchte er sich vom Vorgänger abzugrenzen, etwa weil er diesen nach Umsturz ersetzt hatte, wurden jene Geschichtsschreiber gefördert, die ihn in ein schlechtes Licht rückten; war der Nachfolger hingegen vom Vorgänger ernannt worden, tat er in der Regel alles, um ihn buchstäblich zu den Göttern zu erheben. Hadrian zum Beispiel gilt heute gemeinhin als umsichtiger Herrscher, bekannt für seine Bautätigkeit und seine ausgedehnten Reisen. Vieles in seinem Leben hätte freilich auch anders gedeutet werden können: seine Villa in Tivoli als größenwahnsinnige Verschwendungssucht, seine Philhellenie als Abkehr von römischer Tradition, seine Ehrungen für sein Lieblingspferd als ebenso maßlos wie Caligulas Pläne, sein Pferd zum Konsul zu machen. Zu Hadrians Glück folgte auf ihn sein Adoptivsohn Antoninus Pius.
So ist auch beim eingangs erwähnten Elagabal nicht letztgültig zu entscheiden, ob er umgebracht wurde, weil er seine Gäste auf Furzkissen sitzen ließ, oder ob die Geschichte mit den Furzkissen in Umlauf gebracht wurde, weil er umgebracht wurde (und seine Ermordung im Nachhinein gerechtfertigt werden sollte). Ein anderer Aspekt der Szene ist für Beard fast noch wichtiger: die Verwirrung von Schein und Sein, wenn sich scheinbar erlesene Speisen als Wachsobjekte entpuppen und duftende Blütenblätter den Tod bringen. Die Autokratie, so deutet sie es im Nachwort, stelle die natürliche Ordnung der Dinge auf den Kopf und untergrabe die Realität durch Trugbilder. Hier hätte Beard vielleicht doch etwas genauer auf die spezifische Zwitternatur der römischen Autokratie eingehen können, die zwar faktisch eine Alleinherrschaft war, sich aber als Fortsetzung der Republik ausgab. Hat nicht vor allem das die Wahrheit verwirrt? Theoretische Betrachtungen scheut Beard eher.
Ihr Buch zieht die Synthese aus Jahrzehnten kulturwissenschaftlich inspirierter Forschung zur Kaiserzeit, ohne die Forschung selbst zu revolutionieren oder die Auseinandersetzung mit ihr in den Vordergrund zu stellen. Während der Fachmann bedauern mag, dass Millars Standardwerk dadurch nicht gänzlich ersetzt wird, freuen sich Laien über eine leichtgängige, unterhaltsame und zugleich lehrreiche Reise durch die Welt der Kaiser.
Mary Beard: "Die Kaiser von Rom".
Herrscher über Volk und Reich.
Aus dem Englischen von Ursula Blank-Sangmeister. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2024. 544 S., Abb., geb.
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.Es wurden noch keine Bewertungen abgegeben. Schreiben Sie die erste Bewertung zu "Die Kaiser von Rom" und helfen Sie damit anderen bei der Kaufentscheidung.