Besprechung vom 05.05.2022
Petereske Prosa
Hornissenmörtel: Peter Handkes "Zwiegespräch"
Das neue Buch von Peter Handke kommt ohne Pilze aus. Den obligatorischen Seitenhieb gegen das kleine Volk der Kritiker aber setzt es. Und auch die geliebten Äpfel werden aufgetischt. Allerdings nicht zu feinen Schnitzen bereitet und kunstvoll drapiert, sondern als grober Butzen, halb gegessen nur, weil das alte Gebiss, die alten Hände zu mehr nicht in der Lage sind.
Der Großvater Handke hat ein Buch über Großväter geschrieben, ein Zweipersonenstück, das man sich mit den beiden verstorbenen Widmungsträgern Otto Sander und Bruno Ganz auf der Bühne vorstellen kann. Der eine erzählt von seinem Großvater und von all den "Großväterverklärungsgeschichten" des zwanzigsten Jahrhunderts, der andere von der Liebe zum Theater und der Magie, die es auf das kleine Kind ausübte.
Mit der Zeit aber nehmen die Großväter überhand, das Theater rückt in den Hintergrund, und einer der beiden Gesprächspartner wird mehr und mehr zum Stichwortgeber dieser "Zwiesprache". Der schmale Band entwickelt sich schnell zu einer handketypischen Selbsthinterfragung samt ständigem Sich-selbst-ins Wort-Fallen, einer peteresken Wortklauberei und "Wortklaubkrankheit", mit der der Erzähler wider besseres Wissen verspricht, Schluss zu machen: "Kein Ende je abzusehen von der Großväterverklärungsgeschichte, oder auch bloß story? - Und was heißt da ,bloß'? - Und -" Wenn auch nicht alle Handkes Werke goutieren - zumal seine auch im Alter immense Produktivität den Eindruck der Beliebigkeit hervorrufen mag -, ist seine Prosa doch eine einzigartige Schule des Sprechens und Schreibens. Mit Handke lässt sich lernen, wie sehr Schludrigkeit in der Sprache auch Schludrigkeit im Denken mit sich bringt und welche Lust es zugleich bereitet, nach dem richtigen Wort, nach der präzisen Formulierung zu suchen.
Vieles ist freilich auch Geschmacksache, etwa Handkes Vorliebe, den Superlativ mit "wie" zu bilden: "stumm, wie ein Mensch nur stumm sein kann", "allein, wie ein Mensch nur allein sein kann", "mutterseelenallein, wie nur ein Kind allein sein kann", "eine Frau, die eine Art hatte, wie nur eine Frau, und besonders eine Frau auf dem Land, eine Art haben kann". Oder doch nicht nur Geschmacksache? Denn schließlich bringt die Tautologie dieser Formulierungen keinerlei Anschaulichkeit hervor. So ist manches in "Zwiesprache" mehr Behauptung als nachvollziehbare Erzählung. Ja, die Großväter wurden und werden immer wieder verklärt, auch wenn sie im Krieg töteten oder den "Anschluss" Österreichs ans Deutsche Reich bejubelten. Aber lebendig, menschlich, entzaubert werden sie bei Handke nur dort, wo er konkrete Bilder und Geschichten findet, und das ist auf den sechzig Seiten von "Zwiesprache" lediglich - oder immerhin? - zweimal der Fall.
Beide Geschichten handeln von Tieren, und beide erzählen von einer als normal empfundenen Brutalität: Einmal geht es um ein Hornissennest in einem hohlen Baum. Der Großvater rührt Mörtel an, wartet einen ruhigen Moment im Leben der Hornissen ab und betoniert das Loch des hohlen Baumes zu. Die Hornissen, die vorher noch gegen die Fensterscheiben "gebumsknallt" sind, dröhnen und donnern nun in dem Stamm, aus dem sie nicht mehr herauskommen.
Das andere Mal sieht der Großvater beim Grasmähen mit der Sense im Obstgarten eine Schlange. Er hebt sie auf und spießt sie auf die Zinken eines in den Boden gerammten Rechens: "Bis nach Sonnenuntergang hat die Schlange dort oben hoch überm Grasland noch gelebt."
Ob sich in der Grausamkeit gegenüber Tieren auch diejenige gegenüber Menschen spiegelt, ob das Tieretöten ein Echo des kriegerischen Menschentötens darstellt, bleibt offen. Wie der Wortsucher Handke auch niemals ein Wort oder eine Formulierung als ehern-endgültig ausstellt. So fügt sich "Zwiesprache" nicht in Form eines abgenagten Apfelbutzens, sondern als fein geschnittene Arabeske nahtlos in sein Lebenswerk. TOBIAS LEHMKUHL.
Peter Handke: "Zwiegespräch".
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 72 S., geb.
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