Anders als frühere Handbücher, die den antiken Mythos primär in der Abfolge seines Geschehens darstellten, geht dieses Buch neue Wege. Aus einem fächerübergreifenden Ansatz (mit mittelalterlichen Sagen und europäischen Märchen im Hintergrund) und der Forderung nach einem praktikablen Definitionssystem (G. S. Kirk) ergibt sich eine weitgehende Systematisierung. Diese beruht auf fünf Grundkategorien, die den frühgriechischen Mythos als archaisches Weltbild und erstes Identifikationsmodell prägten, und auf einigen Zusatzkriterien, die seine weitere Entwicklung wesentlich mitbestimmten. Daneben behandelt dieses Buch die vorwiegend altorientalischen Ursprünge des Mythos und seine Abgrenzung von Religion/Ritual, Literatur/Bildende Kunst und Realhistorie. Ein zentrales Thema ist auch die breite Nachwirkung des Mythos mit dem Grundproblem Aufklärung, späteren Neubildungen wie dem römischen Nationalmythos und hellenistischen Mythennovellen sowie neuen Rezeptionsvarianten (z. B. Allegorisierung). Der abschließende Exkurs weist voraus auf eine zweite Untersuchung zu Mythen, Sagen, Märchen und Verwandtem. So geht diese Publikation, die sowohl für die Praxis von Universität und Fachwissenschaften als auch für ein breiteres Publikum konzipiert ist, als Handbuch und systematischer Überblick auf dem neuesten Stand der Forschung über das Standardwerk von Herbert J. Rose (1. Aufl . 1928) und Vergleichbares z. T. erheblich hinaus.
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1:
Einführung in die Grundbegriffe 13
a. Was ist Mythos? 13
b. Was ist Mythologie? 22
c. Was ist antiker Mythos? 24
d. Was ist griechischer Mythos? 25
e. Was ist römischer Mythos? 26
Kapitel 2:
Zu Ursprüngen und Voraussetzungen des frühgriechischen Mythos 28
a. Das griechische Wunder 28
b. Basisvorstellungen des altorientalischen (und altägyptischen) Erbes 30
c. Ungeheuer und Dämonen 50
d. Geflügelte göttliche Wesen 65
e. Weitere übernatürliche, phantastische und monströse Vorstellungen 68
f. Rudimentäre Relikte eines frühen matriarchalischen Substrats 73
g. Topographisch-genealogische Verbindungen zum Vorderen Orient 80
h. Zum indogermanischen (und helladischen) Erbe 81
i. Zusammenfassender Vergleich 84
Kapitel 3:
Die konstitutiven Grundkategorien des frühgriechischen Mythos 87
a. Die räumliche Fixierung (reale Topographie) 88
b. Die zeitliche Fixierung (fiktive Chronologie und Genealogie) 106
c. Die personale Fixierung (fiktive Individualität der mythischen Einzelgestalten) 114
d. Die grundlegende Bedeutung des Göttlichen 161
e. Die Integration des Geschehens in einen göttlichen Schicksalsplan 207
f. Zusammenfassung: Das mythische Weltbild 237
Kapitel 4:
Wesentliche Zusatzkriterien bei der Realisierung des frühgriechischen Mythos 249
a. Strukturierung als Gesamtsystem/Inkongruenzen 249
b. Vielfalt von Charakteren, Stoffen und Motiven in patriarchalischem Gesamtrahmen 253
c. Sinn für die besondere Konstellation und den entscheidenden Augenblick 272
d. Offenheit und Ambivalenz der Ausdeutung 280
e. Grundsätzlich voraussetzbare Entwicklungsphasen eines Einzelmythos 290
Exkurs I: Zur Abgrenzung von Mythos und Religion/Ritus/Ritual 298
Exkurs II: Zur Abgrenzung von Mythos und Literatur/Bildender Kunst 302
Exkurs III: Zu literarischer Anregung und bildlicher Umsetzung bei Mythenthemen 306
Exkurs IV: Zur Abgrenzung von Mythos und Historie 314
Kapitel 5:
Zur kulturhistorischen Gesamtentwicklung des antiken Mythos 323
a. Die große mythische Epoche (8. -5. /4. Jahrhundert) 323
b. Aufklärung und Mythenkritik (ab 5. /4. Jahrhundert) 330
c. Der römische Nationalmythos 352
d. Mythen und Mythennovellen (speziell aus Ovids Metamorphoses) 364
e. Von der Zweiten Sophistik bis zum christlichen Mittelalter 408
f. Ausblick auf die Neuzeit 414
Exkurs V: Alltagsnovellen (speziell aus Ovids Heroides und Metamorphoses) 416
Exkurs VI: Zur Abgrenzung von Mythos, Sage und Märchen 420
Anhänge:
1. Ergänzende Verweise auf Bildmaterial (Auswahl) 426
2. Ergänzende Schemata 448
3. Einführende Literatur (Auswahl) 464
4. Register zur Erschließung des Gesamtmaterials 483