Besprechung vom 06.03.2020
Denken als Gefahr
Alarmismus war Umberto Eco fremd, auch in Sachen faschistischer Gefahr. Bei ihm steht zu lesen: "Der Ur-Faschismus kann in den unschuldigsten Gewändern daherkommen. Es ist unsere Pflicht, ihn zu entlarven." Ein Appell, dem alles Schrille abgeht - weil der Vortrag, dem er entnommen ist, nicht den Schrecken des Totalitarismus beschwört, sondern das Glück der Befreiung von ihm.
Eco hielt den Vortrag mit dem Titel "Der ewige Faschismus" 1995 in New York. Nun liegt er in deutscher Übersetzung vor, zusammen mit vier weiteren Vorträgen und Artikeln zu Migration, Intoleranz, Ethnologie und dem Frieden von Nimwegen. Doch Ecos Beobachtungen zum Faschismus sind die Folie, vor der sich die anderen Beiträge überhaupt erst in den Zusammenhang des schmalen Bands fügen. Anlass der Erörterung war ein Symposion zum fünfzigsten Jahrestag der Befreiung Italiens vom Faschismus. Und dies ist gleichzeitig das Paradoxon, an dem sich Eco abarbeitet, denn die "Befreiung vom Faschismus" ist für ihn kein historisches Ereignis, sondern Rhetorik: Faschismus sei ein Spiel, das auf viele Weisen gespielt werden könne, dabei aber immer unter dem gleichen Begriff subsumiert werde. Das mache diesen so schwammig, "fuzzy", wie Eco sagt, so dass er nie aufhört, nach Interpretation zu verlangen. An einer solchen versucht sich Eco mit Hilfe einer Liste von vierzehn Merkmalen des "Ur-Faschismus", der etwa einem Kult der Überlieferung huldige, die Moderne ablehne, dem Dissens misstraue und Fremdenfeindlichkeit und Verschwörungen schüre. Doch was Faschisten im Kern ausmache sei, dass sie kritisches Denken verhindern wollten: Denken sei für Faschisten eine Form der Kastration.
Die Versuchung ist groß, Ecos Liste als Erkenntnishappen zu schlucken oder ihre Aktualität im Angesicht von Hanau und Halle zu bewundern. Doch das befreit nicht von der Pflicht, sich mit der jeweils aktuellen faschistischen Rhetorik auseinanderzusetzen, die sich für den Literaten und Semiotiker Eco besonders an verarmtem Vokabular und versimpelter Syntax erkennen lässt. Was Eco mit einem Rückblick auf seine eigene Erfahrung mit der "Befreiung" unterstreicht: Damals habe er auch eine Befreiung der Sprache erlebt und "neue, erregende Worte" gelernt. So wie "Freiheit" und "Diktatur".
ANNA-LENA NIEMANN.
Umberto Eco: "Der ewige Faschismus".
Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. Mit einem Vorwort von Roberto Saviano. Hanser Verlag, München 2020. 80 S., geb.
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.