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Postheroische Demokratiegeschichte

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Ute Daniel erzählt eine faszinierende Geschichte vom Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit der parlamentarischen Demokratie und fragt, wie diese Regierungsform so umgestaltet werden kann, dass ihr Ziel nicht vor allem darin besteht, handlungsfähige Regierungen zu bilden.

Die heroische Version zur Geschichte der parlamentarischen Demokratie hält sich hartnäckig: Diese Regierungsform habe sich durchgesetzt, weil unsere Vorfahren für ihre Rechte gekämpft haben. Unter dem Druck von Wahlrechts- und Protestbewegungen sei den Herrschenden abgezwungen worden, der breiten Bevölkerung Mitspracherechte einzuräumen.

Tatsächlich gab es diese mutigen Männer und Frauen, diese Protestbewegungen und Wahlrechtskämpfe; ihnen allen jedoch ist gemein, dass ihr Einfluss auf die real existierende Politik des 19. Jahrhunderts marginal war. Die parlamentarische Regierungsform ging aus gänzlich anders gelagerten Gründen hervor. Ihnen geht die Historikerin in ihrer postheroischen Politikgeschichte nach.

Produktdetails

Erscheinungsdatum
06. April 2020
Sprache
deutsch
Seitenanzahl
168
Reihe
kleine reihe
Autor/Autorin
Ute Daniel
Verlag/Hersteller
Produktart
gebunden
Gewicht
182 g
Größe (L/B/H)
180/115/15 mm
ISBN
9783868543452

Portrait

Ute Daniel

Ute Daniel, Prof. Dr., Historikerin, Professorin für Neuere Geschichte an der TU Braunschweig, von 2016 bis 2018 Fellow am Max-Weber-Kolleg in Erfurt.

Pressestimmen

Besprechung vom 15.07.2020

Parlamente haben ihren Eigensinn
Ute Daniels Binnensicht auf Prozesse der Demokratisierung lässt einige Wünsche offen

Nun also eine "Postheroische Demokratiegeschichte", eine, die nicht in einem "infantilisierenden Modus der Verehrung" verharren und nur retrospektive Heldengeschichten erzählen will von jenen mutigen Männern und Frauen, die uns unsere heutigen politischen Freiheiten erkämpft haben. Was uns Ute Daniel in ihrem neuen Buch stattdessen anbieten möchte, ist eine Geschichte der Demokratie, die in Rechnung stellt, dass sie das Resultat von sich jeweils immer in vergangenen Gegenwarten abspielenden politischen Konflikten gewesen ist, die diesen Endpunkt - unser demokratisches Heute - ja gar nicht im Blick haben konnten. "Geschichte vorwärts statt rückwärts", lautet also Daniels Motto. Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden - ganz im Gegenteil. Man fragt sich eher: Wie denn, bitte, sonst? Ist dies nicht ein basaler methodischer Imperativ, den überhaupt jede Geschichtsschreibung, die als solche ernst genommen werden will, zu beherzigen hat?

Es stellt sich aber auch die Frage, ob die Autorin mit "postheroisch" den Kern ihres Anliegens überhaupt angemessen trifft. Denn was in dem schmalen Buch in der Spiegelung der britischen und der deutschen Demokratieentwicklung seit Anfang des neunzehnten Jahrhunderts dem Leser präsentiert wird, ist mit der Unterscheidung nach heroisch versus postheroisch gar nicht sonderlich aufschlussreich gekennzeichnet. Entscheidender scheint eine Differenz nach innen und außen. Die Demokratiegeschichte, wie sie hier entworfen wird, ist nämlich eine, in der demokratische Teilhabe nicht von außen, mal mit mehr, mal mit weniger revolutionärem Nachdruck, als politische Forderung an die Herrschenden herangetragen und dann in einem langen historischen Prozess schrittweiser Konzessionen gewährt wird. Sondern es ist eine, bei der die Teilhabe von innen her als Antwort auf praktische Probleme, die sich einem Regieren mit Parlamenten stellen, sukzessive ausgeweitet wird. Also eine Geschichte der Demokratisierung westlicher Gesellschaften als Geschichte ihrer Parlamentarisierung, ohne dass die eine Entwicklung in der anderen vollständig aufgehen würde. Die großen Wahlrechtsausweitungen, in Großbritannien und in Deutschland in unmittelbarer zeitlicher Nähe vollzogen - 1866 für den Norddeutschen Bund und damit auch 1871 für das Deutsche Reich verbindlich werdend, 1867 durch die Second Reform Bill in Großbritannien -, sind hier Daniels schlagende Beispiele.

Diese Binnensicht auf die Demokratisierung bietet eine hochplausible und viele wichtige Einsichten eröffnende Perspektive. Ihre Berechtigung und Bedeutung ist nicht geringzuschätzen angesichts der anhaltenden Attraktivität des alternativen Ansatzes, der die Demokratie aus dem Wechselspiel von drohender oder tatsächlicher revolutionärer Gewalt von unten und deren reformerischer Einhegung von oben resultieren sieht - zu denken nur an Daron Acemoglus und James Robinsons überaus einflussreiche Studie zu den Ursprüngen demokratischer Herrschaft.

Die Binnenperspektive ist nun aber wiederum auch nicht ganz so neuartig, wie sie hier vielleicht erscheinen möchte. Gary Cox hatte schließlich schon 1987 in seinem Klassiker "The efficient secret" die Herausbildung einer demokratisch verantwortlichen Regierung allein aus den Zeiterfordernissen der Agenda des House of Commons heraus erklärt. Und sie ist bei Daniel auch nicht so systematisch entwickelt, wie man es sich vielleicht hätte wünschen können. Es macht sich bemerkbar, dass die Autorin es versäumt, die neuere politikwissenschaftliche Literatur zum Thema zur Kenntnis zu nehmen. Mit deren Hilfe hätte man zum Beispiel sehen können, dass nicht nur Wahlrechtsausweitungen per se, sondern vor allem der Modus der Wahl selber - britisches relatives Mehrheitswahlrecht oder ab 1918 in Deutschland das Verhältniswahlrecht - in fundamental unterschiedlicher Weise entscheidend dafür wurden, ob und wie die frontbencher und Parteieliten das zum Funktionieren bringen konnten, was wir dann parlamentarische oder repräsentative Demokratie zu nennen uns angewöhnt haben.

Diese Vernachlässigung führt - mit einer gewissen Ironie - dazu, dass die "postheroische" Geschichtsschreibung der Autorin zuweilen doch wie eine ganz konventionelle ereignisgeschichtliche Darstellung aussieht, mit unvermeidlicher Tendenz zur Heroisierung des handelnden Personals: Und dann tat Bismarck dies, und dann tat Disraeli das. Zum Eindruck des Konventionellen trägt bei, dass die historische Kontextualisierung dieses Geschehens nichts anderes bietet als das, was in gängigen Überblicksdarstellungen der deutschen und britischen Politikgeschichte des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts nicht auch nachzulesen gewesen wäre. So erscheint Daniels Rekonstruktion insgesamt ein wenig wie ein Gelegenheits-Spin-off aus ihrer sehr material- und aufschlussreichen Studie zum Verhältnis von Politik und Medien im zwanzigsten Jahrhundert, die sie vor zwei Jahren unter dem Titel "Beziehungsgeschichten" vorlegte (F.A.Z. vom 13. April 2018). Dort war sie ebenfalls mit Hilfe der britisch-deutschen Vergleichskonstellation den Wandlungsprozessen politischer Öffentlichkeit äußerst gewinnbringend nachgegangen.

Ganz zum Schluss des Bandes und recht unvermittelt bricht aus der Autorin schließlich noch eine seitenlange Empörung über den Brexit heraus, der mit dem Mangel eines "demokratiekompatiblen mentalen Zuschnitts der politischen Klasse Westminsters" zu erklären versucht wird. Das führt den Lesern allerdings eher einen Erklärungsnotstand vor, und der Ad-hoc-Versuch seiner Behebung macht die Sache nicht besser. Zu ihm kommt es mit einer gewissen Zwangsläufigkeit in einer solchen Demokratiegeschichte, welche die Demokratie nur als Resultat einer Sequenz von spezifischen und oft personenbezogenen Ereignissen verstehen kann.

PHILIP MANOW

Ute Daniel: "Postheroische

Demokratiegeschichte".

Verlag Hamburger

Edition, Hamburg 2020. 168 S., geb.

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.

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