"...Cosmas war Cosmas und er würde niemals jemand anders sein. Und er war genau richtig. Für Kai jedenfalls..."
Kai war mit seinem Leben eigentlich zufrieden, liebt seine Ehefrau Jorinde und seinen autistischen Sohn über alles, auch wenn es mit ihm nicht immer einfach ist.
Als Leser lernt man Kai und Cosmas kennen, als die beiden einen schönen Tag am Elbstrand verbringen und man sofort merkt, dass der kleine Junge etwas ganz Besonderes ist. Als ein nicht angeleinter Hund auf Cosmas zugerannt kommt, gerät er jedoch völlig außer Kontrolle. "Cosmas stieß einen schrillen Laut aus, legte die Hände auf die Ohren, obwohl nichts in der Nähe war, das sein Gehör beeinflusst hätte, einzig seine Schreie, die bald in ein Brüllen übergingen, überfluteten den Elbstrand, übertönten den Schiffsverkehr sowie das Knacken der nackten Äste im Wind. Kai überlegte, wie er Cosmas beruhigen könnte. Der Junge schlug um sich. [¿] Er schrie immer lauter, gefangen in seinen Gefühlen, mit verkrampftem Gesicht und fliegenden Fäusten. Kai machte einen Schritt auf ihn zu. Sein Impuls war, sich Cosmas anzunähern, ihm seine Furcht zu nehmen, aber er spürte Widerstand in sich, der wie eine unsichtbare Wand zwischen ihm und seinem Sohn lag."
Der kleine Junge zeigt autistisches Verhalten, was wohl kaum zu leugnen ist, auch wenn die offizielle Diagnose noch auf sich warten lässt. Kai hat das akzeptiert, arrangiert sich damit, ja kann sogar die vielen anderen, schönen Dinge, die ihm sein Sohn geben und zeigen kann, sehen. Ganz anders hingegen geht es seiner Ehefrau Jorinde, die schlicht die Augen davor verschließt. "Wir sind nicht streng genug, das ist alles. Und was sollte an Cosmas anders sein? Er ist wie jedes andere Kind. Er kann laufen, er kann sprechen- gut, nicht ganz so perfekt und gewandt wie andere Sechsjährige, er hat gewisse Defizite, ich weiß das. Aber ansonsten ist er ein kerngesunder Junge, der lernfähig ist. Du tust ja gerade so, als wäre er behindert. Ich weiß es aber besser. Ich werde ihm seine Flausen austreiben, das schwöre ich dir." Ein hoffnungsloses Unterfangen "Er hört nicht auf mich. Niemals. Ich habe versagt, vom ersten Tag an." und je mehr Energie sie trotz allem in dieses Bestreben legt, desto schlechter geht es ihr und genau das ist das, was Kai zunehmend mehr belastet, denn, "Insgeheim wünschte sich Jorinde offensichtlich Dinge, die ihr für immer vorenthalten sein würden. Kai ärgerte sich darüber. Er selbst hatte kein Bedürfnis danach, im Geld zu schwimmen, alles, was er wollte, war, glücklich zu sein. Seiner Familie eine Basis zu bieten, dafür zu sorgen, dass sie zu essen hatten, ein Dach über dem Kopf, dass sich Cosmas gut entwickelte und ein selbständiger junger Mann aus ihm würde, dass Jorinde wieder lachen konnte, ohne angespannt zu sein. Genau das wünschte er sich." Ob Kai eine Jorinde, so wie er sie liebt zurückbekommen wird, gerade, wenn jetzt die Einschulung ansteht, das wird ebenso wenig verraten, wie was aus einer zufälligen Begegnung mit der geheimnisvollen Künstlerin Lilith, die zwar keinesfalls das gängige Schönheitsideal verkörpert, aber trotzdem eine ganz besondere Anziehungskraft versprüht.
Die Autorin erzählt ihre Geschichte aus Kais Sicht und ich habe sie mit ihm gelebt. Emotional hat sie mich mit ihren Beschreibungen, die sich so vieler treffender und besonderer Bilder bedienen, sofort gefangen genommen. Ganz oft konnte sie mich so z.B. tief schockieren. Wenn lesen musste, "Sie verhielt sich, als wäre Cosmas¿ Behinderung nichts weiter als ein hässlicher Fleck auf ihrer Lieblingsbluse, der sich mit den geeigneten Chemikalien entfernen ließe.", hat mir das im Herzen wehgetan. Kais Liebe zu seinem Sohn ist in jeder Zeile zu spüren, ebenso aber auch die unsichtbare Wand, die sich zwischen ihm und Jorinde und die Gefühle des Alleinseins, die sich bei ihm aufbauen. Sehr authentisch schildert sie die Erlebnisse mit Cosmas. Hier fehlen die tollen, kreativen und zu Herzen gehenden Momente wie "Denkenlampe. Cosmas erdachte sich allerlei seltsame Wortschöpfungen, diesen Begriff kannte Kai aber noch nicht. Er hatte Cosmas gefragt, was genau eine Denkenlampe sei."Leuchtender Mensch!", hatte Cosmas daraufhin gesagt."Du auch! Bist auch Denkenlampe, Papa!" ebenso wenig, wie solche, der Art, "Zu Hause war Cosmas¿ Lärmempfindlichkeit zu bewältigen gewesen, Kai vergaß sie schlichtweg an den meisten Tagen. Zu Hause hing Cosmas wieder an der Tür, drückte die Klinke hoch und runter und gab seltsame kreischende Laute von sich. Kai beobachtete ihn, unternahm aber nichts. Er ließ Cosmas in Ruhe, weil er wusste, wie wichtig diese mechanischen Bewegungen für ihn waren, um sich zu beruhigen und zu verkraften, was ihm die Außenwelt aufbürdete.", die Einblick in das Krankheitsbild Autismus geben, was mir unheimlich gut gefallen hat. Mit Lilith bringt Heidi Lehman eine weitere Person ins Geschehen, die dem Ganzen zusätzliche berührende, rätselhafte und auch spannende Elemente verleiht. Nicht ganz so glücklich war ich mit dem sich zuerst sehr zuspitzenden und dann offenen Ende. Das ist aber auch generell so gut wie nie meines, auch wenn die Autorin damit bestimmt noch einmal wachrütteln und zum Nachdenken anregen wollte.
"...Regeln waren wichtig für Cosmas, aber er empfand es als dringlicher, im jeweiligen Moment zu schauen, was genau der Junge benötigte..." Kai habe ich sofort in mein Herz geschlossen. Er ist mehr als einfühlsam, rücksichtsvoll und einen besseren Ehemann und Vater kann man sich eigentlich nicht wünschen. Er ist mit seinen Ängsten, seinen Wünschen, seinen warmherzigen Gefühlen, und auch seinem Verhalten, das immer das Beste will, auch wenn es das vielleicht nicht immer auch unbedingt ist, äußerst echt dargestellt. Auf Lilith blickt man nur aus seinen Augen. Sie blieb mir dadurch klar etwas fremder und mit ihrer ablehnenden Art Cosmas und auch Kai gegenüber, hat sie es mir zunehmend schwerer gemacht, mit ihr Mitleid aufgrund ihrer völligen psychischen Überforderung zu haben. Cosmas mit seinen Stärken und Schwächen ist etwas ganz Besonderes und ich fand es unheimlich spannend ihn hier ein bisschen kennenlernen zu dürfen. Lilith bereichert die Geschichte in meinen Augen. Die Verbindung, die über die Kunst, er als Autor, sie als Malerin gezeichnet wird, war für mich hier nicht das Entscheidende, sondern eher das Miteinander zweier empfindsamer Seelen, die sich beide so alleine fühlen und sich mit gegenseitigem Respekt und wahrem Interesse am anderen begegnen, das toll dargestellt wird.
"Cosmas kann sich nicht verbiegen. Vielleicht sollten wir versuchen, uns ihm anzupassen, anstatt ihn der Welt." Ein richtig toller Gedanke und etwas, das ich mir nicht nur für Cosmas, sondern ganz generell für alle Menschen mit Handicap in unserer Gesellschaft wünsche. Ich denke schon allein die Tatsache, dass dieser Roman Einblick in das Leben einer betroffenen Familien gewährt, darauf aufmerksam macht, welche Hürden eigentlich längst schon abgebaut sein sollten und welche Hilfen dringend nötig wären, ist schon Grund genug, dieses Buch zu empfehlen. Auch wenn mich der offene Schluss am Ende etwas ernüchtert zurückgelassen hat, konnte mich die Autorin mit ihrem berührenden Bienenjungen so gefangen nehmen, dass ich gerne noch fünf Sterne vergebe.