Das erste, was mir in den Augen sprang, war das geheimnisvolle, aber wunderschöne Cover dieses Buches. Gestaltet wurde es von Thomas Manegold. Es strahlt etwas düsteres aus, was vor allem durch die Blautöne, die verwendet werden, hervorgerufen wird. Im Hintergrund sieht man unscharf die Konturen eines Grenzturmes, was einen Hinweis darauf ist, dass dieses Buch in Ostberlin, sogar direkt an der Mauer, spielt. Im Vordergrund sieht man gigantische Einweckgläser, die mit verschiedenen Gegenstände, zum Beispiel Früchte, aber auch einen Zettel, gefüllt sind. Dies ist ein Motiv, das in der Geschichte von Simone eine Wichtige Rolle spielt.
Aber auch der Titel Mädchen zwischen den Zeilen hat mir außerordentlich gut gefallen. Es macht neugierig und verrät noch nicht zu viel. Erst während des Lesens wird klar, was es damit auf sich hat. Das Mädchen ist auf jeden Fall Simone. Sie ist die Hauptprotagonistin, lebt in Ostberlin in der Nähe der Berliner Mauer und ist erst 12 Jahre alt. Die Art und Weise aber, wie sie im Buch über sich und ihre Gedanken erzählt, lässt sie viel älter wirken.
Am Anfang der Geschichte lernt man sie als glückliches Kind kennen, dass gerade Schmetterlinge im Bauch hat, sehr pflichtbewusst ist, immer schön mit im Haushalt hilft und auf ihren Bruder aufpasst, gute Noten hat und so weiter. Als man sie aber besser kennenlernt, wird klar, dass all dies nur Fassade ist. Simone hat Probleme mit ihren Eltern. Ihre Mutter scheint kein großes Interesse an sie zu haben und ihr Vater benimmt sich komisch. Er tut so, als sei er der typische Familienoberhaupt. Er geht arbeiten, fährt mit seiner Familie in Urlaub und tut so als ob alles auf zufriedenstellender Weise abläuft. Von Anfang an hat er mir schon nicht gefallen. Man merkt einfach, dass irgendetwas faul ist. Sehr deutlich wird das, in dem Augenblick als man merkt, dass er so darauf bedacht ist, dass alles, was in der Familie passiert auch in der Familie bleibt.
Dieses Buch zählt nur 143 Seiten und gibt uns einen tieferen Einblick in Simones Welt. Es ist grauenhaft, weil sie dringend Hilfe braucht, sie es aber nicht schafft es genau unter Worten zu bringen, was los ist und ihr immer wieder Steine im Weg gelegt werden, die richtige Hilfe bekommen zu können. Nie wird explizit erklärt, was mit ihr passiert ist. Wenn man diese Geschichte aber aufmerksam liest, ist so viel zwischen den Zeilen herauszubekommen. Es ist die Art und Weise, wie sich die Mutter benimmt, wie sie sich von ihrer Tochter abwendet. Oder, wie der Vater versucht Simone von jeder einzelnen Person, die es gut mit ihr meint, abzuschotten. Und dann gibt es noch Simone und ihre Träume, die schon ziemlich klar zeigen, was in dieser Familie los ist.
Ich habe dieses Buch unglaublich gerne gelesen, weil die Schriftstellerin es schafft, ein auf dem ersten Blick ganz normales Leben zu beschreiben, trotzdem zwischen den Zeilen zeigt, was für Schreckliches da los sei. Die Tiefe und Härte der Geschichte besteht auch darin, dass es nicht wirklich ein abgeschlossenes Ende hat. Das Leben geht einfach weiter und es ist Simone, die entscheiden soll, wie sie in Zukunft mit dem was ihr passiert ist, umgehen und, ob sie bestimmte Schritte unternehmen möchte. Wir, die Leser, werden das nie erfahren. Wir haben nur einen Einblick bekommen in dem Leben dieses unglaublich starkes Mädchens. Währenddessen ist sie mir ans Herz gewachsen und am liebsten hätte ich sie weiterhelfen wollen.
Insgesamt ein tiefgehendes, spannendes und wunderschön geschriebenes Buch, das ich gerne gelesen habe. Mir gefiel es sehr, wie die Autorin es schafft, den Leser mitzuteilen, was los ist, ohne es auch nur einmal explizit zu benennen. Lesenswert!