Besprechung vom 06.02.2020
Einmal Nilquellen und zurück
Was uns heute alltäglich erscheint, war Mitte des neunzehnten Jahrhunderts ein Ereignis, das die Öffentlichkeit elektrisierte und für eine Weile sogar die Schlagzeilen über weltpolitische Bewegungen von den Titelseiten der Zeitungen verdrängte: der Brite John Hanning Speke hatte 1859 die Quellen des Nils erreicht - und war damit einem Mysterium, das schon Alexander den Großen erfolglos beschäftigt hatte, auf die Spur gekommen. Mindestens ebenso aufregend allerdings war, dass diese Sensation mit einem bizarren Streit zwischen Speke und Richard F. Burton garniert wurde. Die beiden waren zunächst gemeinsam in Ostafrika auf Entdeckungsreise gegangen, wurden dann aber zu erbitterten Feinden, als Burton die Berichte Spekes in Zweifel zog. Im Vorwort zu dem Buch "Die Entdeckung der Nilquellen" ist dieser Hintergrund ausführlich dargestellt. Wichtig für das Verständnis von Spekes Tagebuch sind aber auch die editorischen Anmerkungen: Speke selbst sagte: "Die Preisgabe unerwünschter Wahrheiten bereitet nur Ärger." Prompt ließ sein Verleger in der Erstausgabe allerlei Korrekturen anbringen, vor allem was die Beziehung des Forschers zu einer jungen dunkelhäutigen Frau anging - höchst "shocking" in der viktorianischen Ära -, und der Übersetzer dieser Ausgabe hat wohl die schlimmsten rassistischen Entgleisungen geglättet. Den Wert dieses Buches schmälert das keineswegs, und wenngleich sich Speke nicht als begnadeter Schreiber hervortut, sind seine Schilderungen unglaublich spannend zu lesen. Im Mittelpunkt steht sein langer Aufenthalt am Hof Mutesas I. von Buganda, einem einst mächtigen Reich in den Grenzen des heutigen Ugandas. Dieser König wird von Speke zwar nicht freundlich charakterisiert, muss aber, wenn man Legenden und Wahrheit säuberlich voneinander trennt, eine bedeutende Persönlichkeit gewesen sein, prägend für Ostafrika am Beginn einer Zeit, in der weiße Herren sich den Kontinent untertan machten. Das ist denn nicht zuletzt das Faszinierende an dem Bericht: Über das Abenteuerliche der Reise bietet er einen tiefen Einblick in die indigenen Kulturen Afrikas, und er ist Zeugnis für eine Epoche, in der die Erde noch voller Geheimnisse war.
tg
"Die Entdeckung der Nilquellen" von John Hanning Speke. Edition Erdmann im Verlagshaus Römerweg, Wiesbaden 2019. 368 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Gebunden
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