Besprechung vom 26.08.2022
Wegweiser in die urbane Zukunft
Von wegen Provinz: Klaus Englert zeichnet in seinem kundigen Architekturführer ein Porträt Düsseldorfs als moderner und weltoffener Stadt.
Der "Architekturführer Köln", der vor einem Jahr in derselben Reihe herauskam (F.A.Z. vom 13. Juli 2021), bringt es auf vierhundert Seiten. Der "Architekturführer Düsseldorf" beansprucht achtzehn Seiten mehr und das, obwohl Düsseldorf nur etwas mehr als halb so groß und weniger als halb so alt ist. Und da soll die heutige Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen architektonisch mehr zu bieten haben als die stolze Colonia?
Die Frage ist dem leidigen Vergleichszwang geschuldet, in dem die ungleichen Rhein-Schwestern ihre Rivalität ritualisiert haben. Doch schon die Auswahl schafft eine Schieflage. Denn während sich der Kölner Autor Anselm Weyer nicht über die Stadtgrenze traut, schweift der Düsseldorfer Klaus Englert auch nach Neuss, Mettmann oder Velbert aus, wo er Gottfried Böhms Mariendom in Neviges (1968), aber auch dessen frühe Kirche St. Paulus (1955) besichtigt.
Beide Publikationen lassen den herkömmlichen Architekturführer, der sehenswerte Gebäude enzyklopädisch auflistet, hinter sich. Dabei sind sie konzeptionell grundverschieden: Weyer erzählt die Baugeschichte seit der römischen Gründung, Englert widmet sich "bestimmten charakteristischen Strängen (...), die das Unverwechselbare der Landeshauptstadt ausmachen" und sich seit der frühen Moderne, als Joseph Maria Olbrich, Peter Behrens und Wilhelm Kreis hier wirkten, abzeichnen. Was älter ist, fehlt: keine (barocke) Andreaskirche und keine Basilika St. Margareta in Gerresheim, nur eine Innenaufnahme von Schloss Benrath, kein Ratinger Tor oder Palais Wittgenstein. Architekturgeschichte schreibt die Stadt, und das entspricht ihrem Selbstverständnis, erst seit 1900.
Die Zukunft von Düsseldorf aber beginnt früher: mit dem 1769 angelegten Hofgarten und seiner Umgestaltung durch Maximilian Wilhelm Weyhe Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. An dessen grünes Band für eine offene Gartenstadt, das immer weiter beschnitten wurde, knüpft Englert den Diskurs über einen ökologischen Stadtumbau, der den Hofgarten als Herz einer "Green City" definiert. Mit Vorschlägen dazu ist seit dreißig Jahren Christoph Ingenhoven zur Stelle. Der Architekt, geboren 1960, ist der herausragende Kopf seiner Zunft in der Stadt, mit der er, ingeniös und diskursstark, emotional verbunden ist. Englert, der ihn auch im Interview zu Wort kommen lässt ("Eine Million Bäume für Düsseldorf"), macht ihn zum Gewährsmann seiner Erörterung und belässt es nicht dabei, die bisher realisierten Phasen, mit dem Kö-Bogen I von Daniel Libeskind und dem Kö-Bogen II von Ingenhoven, nachzuzeichnen: Der "Architekturführer" wird zum Wegweiser in die Zukunft der Stadt, in der das Gewässer, nach dem sie benannt ist, wieder sichtbar wird.
Die folgenden Kapitel sind historisch und thematisch geordnet: "Frühe Moderne", die sich - zwischen Mannesmann-Hauptverwaltung und Ehrenhof - am Rhein entlang zieht, "Neues Bauen" mit vom Bauhaus inspirierten Siedlungen und Projekten, "Kulturlandschaft", die nach Neuss (Insel Hombroich) und Mettmann (Neanderthal-Museum) ausgreift, sowie "Quartiersentwicklung", die mehrere Vorzeigeprojekte und die mit Solitären von Stararchitekten gestylte Transformation des Industriehafens zum Medienhafen vorstellt. Ähnlich ausführlich fällt "Sakralarchitektur der Moderne" aus, wo neben Böhm vor allem Josef Lehmbrock, Emil Steffann und Hans Schwippert die Experimentierfreude des Erzbistums Köln bezeugen, mit der die evangelische Konkurrenz mit Werken von Hans Junghanns oder Hentrich Petschnigg & Partner (HHP) - doch ohne die Matthäikirche von Wach + Rosskotten - nicht mithalten kann. "Kirchliche Einrichtungen" ziehen die Linie in die Gegenwart fort.
Nur wenige Einfamilienhäuser werden berücksichtigt, darunter jene, die Architekten wie Schwippert oder Bernhard Pfau für sich selbst gebaut haben. Auch das Kapitel "Moderner Schulbau" könnte mehr hergeben, "Verkehrsbauten" reicht von Paul Schneider-Eslebens ikonischer Haniel-Garage (1951) bis zu den U-Bahn-Stationen der Wehrhahn-Linie von netzwerkarchitekten (2016). Das Amerikanische Generalkonsulat von Skidmore, Owings & Merrill (SOM) markiert den Beginn der Nachkriegsmoderne, das Dreischeibenhaus von HPP (1960) setzt das Ausrufezeichen des Wirtschaftswunders, der NRW-Landtag von Eller Moser Walter + Partner (1988) symbolisiert die bürgernahe Demokratie. Dass Düsseldorf in seiner Affinität zur Moderne immer wieder eingeknickt ist, prägende Bauten vernachlässigt und entstellt sowie Ensembles vom Verkehr zerschnitten wurden, wird kritisch vermerkt. Das 1997 abgerissene Studienhaus von Bernhard Pfau ist das prominenteste, "die in die Jahre gekommene Oper" wohl das nächste Opfer.
Über die Auswahl und manche Einschätzung lässt sich streiten. Die Galerie Schmela von Aldo van Eyck, sein einziger Bau in Deutschland, fehlt, und ob der vielgescholtene Friedrich Tamms mit der Nord-Süd-Achse und der "Brückenfamilie" die Stadt nicht erst aus ihren engen Strukturen befreit hat, erscheint ebenso diskutabel wie die Bedeutung der (unerwähnten) Einkaufspassagen, zumal deren mondänste, die Kö-Galerie (1986), die Talmi-Seite der Düsseldorfer Moderne repräsentiert. Das Lektorat hat nicht nur Redundanzen durchgehen lassen: Der zweite Vorname von Oswald Mathias Ungers ist nicht Maria, und Dani Karavan hat am Duisburger Innenhafen neben dem "Garten der Erinnerung" nicht auch die (von Zvi Hecker entworfene) Synagoge gestaltet.
Doch das sind Nachlässigkeiten. Die belesene und engagierte Darstellung zeichnet das Porträt einer modernen, weltoffenen Stadt. Wer seine Vorurteile über Düsseldorf, provinziell und protzig, ablegen möchte, ist mit diesem vielfältig bebilderten Architekturführer gut bedient. ANDREAS ROSSMANN
Klaus Englert: "Architekturführer Düsseldorf".
DOM publishers, Berlin 2022, 418 S., Abb., br.
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