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Landkrank

Ein mitreißender Essay über die Conditio humana in Zeiten des Klimawandels | Mit einem Vorwort von Luisa Neubauer

150 Lesepunkte
Buch (kartoniert)
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15,00 €inkl. Mwst.
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»Bruno Latour riet mir: Es ist wichtig, Nikolaj Schultz zu lesen. Er hatte recht. « Hans Ulrich Obrist

Hitzewelle in Paris. Nachts liegen die Menschen schlaflos in verschwitzten T-Shirts unter ihren Zinkdächern. Soll man nicht besser die Klimaanlage anschalten? Oder macht das alles noch schlimmer? Und was ist eigentlich mit dem billigen T-Shirt, das über Tausende Kilometer nach Europa geschafft wurde? Der Autor bekommt Panik, will den Temperaturen und seinem schlechten Gewissen entfliehen. Er macht sich auf nach Porquerolles. Doch auch die Insel ist nicht länger unberührt, sondern ein überlaufenes Touristenziel. Im Sommer ist das Wasser knapp. Die ikonische Plage d'Argent wird von den Einheimischen nur noch »Bakterienstrand« genannt - wie in einem Prozess der umgekehrten Alchemie wird aus Schönheit Schmutz, aus Silber Dreck.

Nikolaj Schultz' Erlebnisse und Begegnungen werfen existenzielle Fragen auf: nach der Verantwortung jeder und jedes Einzelnen, nach ethischer und ökologischer Orientierung im Anthropozän. Seine Antworten sind nicht immer tröstend, aber er findet Einsichten und einen Ton, der ihn zur Stimme einer Generation machen könnte.

Produktdetails

Erscheinungsdatum
12. Februar 2024
Sprache
deutsch
Auflage
Deutsche Erstausgabe
Seitenanzahl
122
Reihe
edition suhrkamp
Autor/Autorin
Nikolaj Schultz
Übersetzung
Michael Bischoff
Vorwort
Luisa Neubauer
Nachwort
Dipesh Chakrabarty
Weitere Beteiligte
Dipesh Chakrabarty, Luisa Neubauer
Verlag/Hersteller
Originaltitel
Originalsprache
französisch
Produktart
kartoniert
Gewicht
144 g
Größe (L/B/H)
205/129/16 mm
Sonstiges
Großformatiges Paperback. Klappenbroschur
ISBN
9783518029886

Portrait

Nikolaj Schultz

Nikolaj Schultz, geboren 1990 in Aarhus, ist Soziologe. Er forscht an der Universität Kopenhagen und war bis zu dessen Tod einer der engsten Mitarbeiter Bruno Latours. Gemeinsam publizierten sie in der edition suhrkamp Zur Entstehung einer ökologischen Klasse. Ein Memorandum (2022).

Michael Bischoff, geboren 1949, studierte Mathematik und Soziologie und war Wissenschaftslektor im Suhrkamp Verlag. Seit 1977 übersetzt er Literatur aus dem Französischen und Englischen, u. a. von Émile Durkheim, Michel Foucault, Isaiah Berlin und Richard Sennett.

Dipesh Chakrabarty, geboren 1948 in Kolkata, ist Lawrence A. Kimpton Distinguished Service Professor für Geschichte an der University of Chicago und Gründungsmitglied des berühmten Subaltern-Studies-Kollektivs. Mit seiner These von der »Provinzialisierung Europas« hat er die Geschichtswissenschaft der letzten Jahrzehnte maßgeblich geprägt. Chakrabarty ist Mitglied der American Academy of Arts and Sciences und der Australian Academy of the Humanities. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u. a. 2014 den Toynbee-Preis, der an einen herausragenden Vertreter der Globalgeschichte verliehen wird, und 2019 den Tagore Memorial Prize.

Luisa Neubauer, geboren 1996, ist Klimaschutz-Aktivistin und Publizistin. Sie ist eine der Hauptorganisatorinnen von Fridays for Future in Deutschland.

Pressestimmen

»Die Verletzlichkeit des Individuums und seine unvermeidbare Verstrickung in diese Katastrophe steht einem nach der Lektüre schmerzhaft klar vor Augen. Was dieses schmale Büchlein aber vor allem bemerkenswert macht, ist, dass es eine Sprache findet für die seltsamen . . . und manchmal widersprüchlichen emotionalen Zustände, die diese planetare Krise auslöst. « Julia Allison Simmons, DIE ZEIT

»Der Nachwuchsstar der Soziologie« Elisabeth von Thadden, DIE ZEIT

». . . ein theorielastiger, reflexiver Text, der zentrale Gegensätze auf den Punkt bringt: etwa den zwischen der Welt, in der wir leben und der Welt, von der wir leben. Lohnenswert und hochaktuell! « Sophie Weigand, Buchkultur

»Schultz baut . . . auf eine erzählerische Herangehensweise, welche das Buch zu einem absoluten Lesegenuss und seinen Urheber unlängst zum Shooting-Star der neueren Soziologie macht. « Harper's Bazaar

Besprechung vom 03.04.2024

Es schwankt der Boden
Nikolaj Schultz leidet an der Verstrickung in den Klimawandel

Auf die Rückseite von Büchern gedruckte Zitate loben diese oder ihre Autoren üblicherweise über den grünen Klee. Das stimmt auch für fast alle, die auf dem Umschlag von Nikolaj Schultz' Bändchen "Landkrank" zu finden sind. Doch eines sticht durch Nüchternheit hervor. "Spätere Diagnostiker", so lautet die Zitatspende Peter Sloterdijks, "werden den Autor einen Geopathen nennen." Das gewählte Etikett ist überaus treffend. Nikolaj Schultz' Buch - Soziologe, Jahrgang 1990 und durch ein gemeinsam mit dem späten Bruno Latour geschriebenes "Memorandum" (F.A.Z. vom 29. Oktober 2022) einem breiteren Publikum bekannt geworden - handelt von unentrinnbaren Wirkungen individueller Lebensführung: kaum eine Entscheidung alltäglicher, mit genutzten Produkten oder Dienstleistungen zusammenhängender Art, die nicht letztlich auch zu fatalen Effekten beiträgt - für Klima, Böden, Lebewesen, Biodiversität, Gesellschaftsentwicklungen.

Von diesen Wirkungen, von denen er nun einmal weiß, nicht absehen zu können und seinen ökologischen "Fußabdruck" als beständigen Albtraum zu erleben, davon nicht zuletzt erzählt Schultz. Die dabei fälligen Hinweise auf die Verflochtenheit selbst einer bescheidenen westlichen Lebensführung in lokale wie globale Effekte bedrohlicher Art mögen für sich genommen wenig hermachen. Aber auf ihre entschieden persönliche, das eigene Befinden ins Spiel bringende Einbettung kommt es hier an, durch einen Autor, der überall "die verstörenden Spuren meines Seins und Tuns" erkennt und selbst dem Gedanken nicht zu widerstehen vermag, dass ihn jede Seite, ja jedes Wort seines Essays - durch das aufgewendete Papier, die von weither geholte Druckerschwärze . . . - tiefer in die Verstrickung als Mitakteur der planetarischen Notlage treibt. Symptome eben des "Mal de terre", wie der französische Originaltitel lautet, was eigentlich die körperliche Unsicherheit meint, die befällt, wer nach einiger Zeit auf einem von Wind und Wellen bewegten Boot zurück auf festen Boden kommt.

Auf ein Boot flüchtet sich der Erzähler tatsächlich, nachdem er den Leser eingangs am Leiden an einer tropischen Pariser Sommernacht teilnehmen ließ. Da geht es nicht nur um die Hitze der Hundstage - "Das Anthropozän ist offenbar kein guter Ort zum Schlafen" -, sondern um eine körperliches Empfinden gewordene Verstörung angesichts all der Probleme, die er nicht loswird. Wo doch selbst der Kaffee, den er morgens braucht, "für eine Verschlechterung der Böden und für Wasserknappheit" sorgt und das Duschen CO2 in die Atmosphäre bläst.

Also erst einmal weg aus Paris und auf die kleine Insel Porquerolles vor der französischen Mittelmeerküste, wo Bekannte ein hübsches Boot unterhalten. Wobei den Problemen freilich so nicht zu entkommen ist, denn sie haben sich, das will damit bedeutet sein, überall eingestellt, nunmehr unter den Bedingungen einer Insel, die Naturschutzgebiet und touristischer Anziehungspunkt ist. Der Erzähler sieht aufs Meer, und er weiß, dass unter seiner Oberfläche die Zerstörungen fortschreiten und die Küsten erodieren. Der Aufenthalt gibt ihm Gelegenheit, auf diese Entwicklungen einzugehen, schon bestehende Konflikte zu benennen, deren Verschärfung in den nächsten Jahrzehnten unabwendbar scheint.

Auch der Yachttourismus vor der Mittelmeerküste hat daran seinen Anteil, samt den Superyachten, die in den Sommermonaten dort zahlreich unterwegs sind. Man kann diese maritimen Luxusmobilien auch als Boot gewordene Wunschvorstellung ansehen, sich von allen terrestrischen Verbindungen zu befreien, so wie schon Inseln etwas von solcher Autarkie versprechen. Für Schultz ist das Anknüpfungspunkt, einem Begriff von Freiheit als Abstreifen möglichst vieler Abhängigkeiten einen anderen Begriff entgegenzusetzen, der sich in der "Nutzung und Pflege von Verbindungen und Beziehungen zu allen menschlichen und nichtmenschlichen Wesen" erfüllt.

Womit sich auf triftige Weise zeigt, wie didaktisch umsichtig der Ausflug auf Boot und Insel gewählt war. Ob der Autor der "Nachwuchsstar der Soziologie" ist, wie ein anderes Zitat auf der Umschlagrückseite behauptet, darüber lässt dieses Bändchen keinen Schluss zu. Oder doch nur dann, wenn das weniger auf Inhalte zielte als auf eine Weise der erzählenden, im Erleben verankerten Darstellung. Die aufwendige Rahmung mit Vor- und Nachwort ist vielleicht als Beleg für die Attraktivität dieses "geopathischen" Genres anzusehen. HELMUT MAYER

Nikolaj Schultz: "Landkrank". Ein Essay.

Vorwort v. Luisa Neubauer, Nachwort v. Dipesh Chakrabarty. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023.

122 S., br.

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.

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