Es geht endlich weiter: Der nervenzerreißende neue Krimi der schwedischen Bestseller-Serie
Die Nacht ist klirrend kalt und eine dünne Schneeschicht bedeckt Stockholm. Da zerreißen Schüssen die bisher ruhige Silvesternacht '94. Eine junge Frau flieht nackt durch den Schnee und verschwindet. Zurück bleibt ein Toter, hingerichtet mit einem Kopfschuss. Für Kommissar Tomas Wolf, der von seinem eigenen Trauma schwer gezeichnet ist, beginnt die Jagd nach einem skrupellosen Mörder. Zeitgleich forscht Journalistin Vera Berg in einem Vermisstenfall, dessen Spuren Tomas in ein verdächtiges Licht rücken. Was verbirgt er? Als ein weiterer bestialischer Mord geschieht, müssen die beiden sich zusammenraufen, um den Täter zu stellen. Denn unter einer Decke aus Schnee und Schweigen liegt eine Wahrheit begraben, die alles verändert . . .
Limitierter Farbschnitt nur in der Erstauflage
»Düster. Fesselnd. Unvergesslich. « Johanna Mo
»Nordisches Noir auf höchstem Niveau. « BTJ
»Mankell hätte es nicht besser machen können. « Aachener Zeitung
»Bestechend ausgefeilte Charaktere, jenseits von klischeehaften Gut- und Böse-Kategorien. « Funke Mediengruppe
Besprechung vom 07.10.2024
Straße der Schande
Ein Schwedenkrimi von Engman und Selåker
Das schwedische Autorenduo Pascal Engman und Johannes Selåker, beide mit journalistischem Hintergrund, legt mit "Wintersonnenwende" einen zweiten Band in einer im Original als "Skymningsland" (Dämmerungsland) betitelten Reihe vor, in dem die Ermittler Lars "Zingo" Johansson und Tomas Wolf erneut mit der Boulevard-Journalistin Vera Berg zusammentreffen. Wir sind in der Mitte der Neunzigerjahre, die Schiffskatastrophe der Estonia im Herbst 1994 ist ein erzählerischer Dreh- und Angelpunkt des Falles, in den die Autoren alles gepackt haben, was irgendwie ging.
Prostitution und Menschenhandel nehmen großen Raum ein, die Exposition des Buches bildet der Mord am Silvesterabend 1994 an einem siebzigjährigen Freier einer Prostituierten in Stockholm, Bertil Runström. Johansson und Wolf sind rasch am Tatort, aber dort sind schon mies gelaunte Kollegen der SÄPO, des schwedischen Staatsschutzes, und reklamieren den Fall für sich. Denn wie sich herausstellt, war Runström auch bei der SÄPO. Ein weiterer Mord wird in einem Pornoclub der Hauptstadt begangen, die Fälle hängen auf verschlungenen Wegen zusammen.
Die Prostituierte Lucy, bürgerlich Ellen Alm, wurde von ihrer - vor Kurzem gestorbenen - Mutter vor die Tür gesetzt, rutschte in eine Drogenkarriere, deren finanzielle Grundlage der Verkauf ihres Körpers war. Zu den wirklich eindrücklichen, obzwar schwer erträglichen, aber gelungenen Passagen des Buches gehört die Schilderung der Suche nach Ellen Alm, die als Zeugin aussagen soll, in den Hochburgen der europäischen Prostitution an der tschechisch-deutschen Grenze.
Das unternimmt Tomas Wolf entlang der sogenannten Straße der Schande, die ein paar Kilometer außerhalb Prags einen Teil der Europastraße 55 bildet und einschlägig von der bulgarischen Mafia kontrolliert wird. Hier ist eine Anmerkung zur Titelgebung, vermutlich durch den Verlag, angezeigt: Der Originaltitel lautet "Skammens väg", also "Straße der Schande" und warum die sich hinter "Wintersonnenwende" verbergen soll, versteht man nicht. Der erste Band heißt auf Deutsch "Sommersonnenwende", wie will man nach "Wintersonnenwende" in der Titelei fortsetzen - "Tag- und Nachtgleiche"?
Die Mitnahme Ellens zurück nach Schweden gelingt unter abenteuerlichen Umständen. Dort wird der Fall allmählich gelöst, Vera Berg recherchiert erfolgreich zum zweiten Mord, und zwischendurch kümmern sich alle um ihre Ehen und Kinder, mit denen sie das, was heute "quality time" heißt, erleben und leben wollen.
Was wohl einfach deswegen in den Roman hineingepackt wurde, weil soziale Umstände seit dem legendären Autorenduo Sjöwall/Wahlöö in einen Schwedenkrimi gehören. Das Buch bewegt zu viel Material, um seiner noch Herr werden zu können. Man wird den Eindruck nicht los, die Verfasser hätten Leif G. W. Persson und Sjöwall/Wahlöö persönlich um Ergänzungen gebeten, um einen idealtypischen Schwedenkrimi vorlegen zu können. Was nicht durchgehend geglückt ist. Dennoch muss man einräumen, dass viele Passagen des Buches auch hohes erzählerisches Können offenbaren. Und es gilt insgesamt für die handwerklich sauber gearbeiteten Spannungsbögen des im Übrigen von Ulla Ackermann erstklassig übersetzten Buchs.
Die Innenansichten der Prostitution und des mit ihr eng verbundenen Menschenhandels in Stockholm in den Jahren, bevor 1998 die Verfolgung von Freiern strafrechtlich verankert wurde, sind offenkundig auf der Grundlage genauer journalistischer und archivalischer Recherche geschildert. Das gilt genauso für die posttraumatischen Belastungen aus dem Balkankrieg des Polizisten Tomas, die in einen versuchten Suizid münden, dessen eigentlich zu erwartende Vollendung der Alarmruf zum zweiten Mordfall-Tatort verhindert.
Im Finale geht es auf die Ostsee-Insel Öland, mitten hinein in einen Weltuntergangs-Schneesturm. Endlich wird aufgeklärt, was das alles mit dem Untergang der Estonia zu tun hat, und am Ende taucht auch der russische Geheimdienst in Gestalt des bis dato unbekannten Vaters von Ellen auf. STEPHAN OPITZ
Pascal Engman und Johannes Selåker: "Wintersonnenwende". Kriminalroman.
Aus dem Schwedischen von Ulla Ackermann. Ullstein Verlag, Berlin 2024.
384 S., br.
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