Familienromane sind ein ganz besonderes Genre. Sie sind vielschichtig und fangen menschliche Beziehungen oft sehr gut ein. Neben familiären Dynamiken erfährt man auch viel Geschichtliches. Denn meistens erstrecken sich Familiensagas über mehrere Generationen. So begleiten wir in Isabel Allendes "Geisterhaus" die Familie del Valle über vier Generationen und erfahren einiges über die Geschichte Chiles. In unserer Auswahl haben wir Ihnen unsere liebsten Familienromane zusammengetragen: von zeitlosen Klassikern bis hin zu zeitgenössischen Werken, die auch Einblicke in andere Länder und Kulturen geben.
1. Nino Haratischwili: Das achte Leben (Für Brilka)
(247Bewertungen)15
Taschenbuch
Darum geht es: Dieser Roman ist über die Literaturwelt gekommen wie ein Naturereignis: ein wuchtiges Familienepos, das am Beispiel von sechs Generationen außergewöhnlicher Frauen das ganze pralle 20. Jahrhundert mit all seinen Umbrüchen und Dramen, Katastrophen und Wundern erzählt. Vom Georgien am Vorabend des Ersten Weltkriegs bis ins Deutschland zu Anfang des neuen Millenniums spannt Nino Haratischwili den Bogen. Alles beginnt mit Stasia, Tochter eines angesehenen Schokoladenfabrikanten. Mit ihrer Geburt setzt die Geschichte ein, die fortan wie ein gewaltiger Strom mit unzähligen Nebenarmen und Verwirbelungen durch Europa zieht und den Leser bis zur letzten Seite in ihrem Sog gefangen hält.

Darum lieben wir dieses Buch: Mit über 1000 Seiten ist dieser Familienroman ohne Frage ein ziemlich dicker Wälzer. Aber: es lohnt sich, denn Nino Haratischwili erzählt diese Gechichte so packend, dass Sie nur so durch die Seiten fliegen werden - versprochen. Und: Sie werden die gesamte Lektüre über den Geschmack von Schokolade auf der Zunge spüren.
2. Edmund de Waal: Der Hase mit den Bernsteinaugen
(70Bewertungen)15
Taschenbuch
Darum geht es: 264 Netsuke, japanische Miniatur-Schnitzereien aus Holz und Elfenbein, liegen in der Vitrine des britischen Töpfers Edmund de Waal, Nachkomme der jüdischen Familie Ephrussi aus Odessa. Wie sie dorthin kamen, erzählt dieses Erinnerungsbuch. Vom Paris der Belle Époque gelangte die Sammlung ins Wien des Fin de Siècle, aus Tokio in den 1950er-Jahren schließlich nach London. Die Ephrussis, einst an Einfluss und Reichtum den Rothschilds ebenbürtig, erlebten mit dem "Anschluss" 1938 den Niedergang - ihr gesamtes Vermögen fiel der "Arisierung" zum Opfer. Nur die Netsuke wurden - jede einzeln - in der Schürze des Dienstmädchens Anna gerettet.

Darum lieben wir dieses Buch: Das ist eine brillant geschriebene und faszinierende Erinnerung über Aufstieg und Fall einer bedeutenden Bankiersfamilie, zutiefst bewegend, unterhaltsam und nicht nur für historisch Interessierte hoch spannend. Diese großartige und dramatische Reise durch 150 Jahre europäische (Kunst-)Geschichte wird unfassbar klug, berührend, lebendig und humorvoll erzählt - ein großes Vergnügen!
3. Fatma Aydemir: Dschinns
(342Bewertungen)15
Taschenbuch
Darum geht es: Dreißig Jahre hat Hüseyin in Deutschland gearbeitet, nun erfüllt er sich endlich seinen Traum: eine Eigentumswohnung in Istanbul. Nur um am Tag des Einzugs an einem Herzinfarkt zu sterben. Zur Beerdigung reist ihm seine Familie aus Deutschland nach. Fatma Aydemirs großer Gesellschaftsroman erzählt von sechs grundverschiedenen Menschen, die zufällig miteinander verwandt sind. Alle haben sie ihr eigenes Gepäck dabei: Geheimnisse, Wünsche, Wunden. Was sie jedoch vereint: das Gefühl, dass sie in Hüseyins Wohnung jemand beobachtet. Voller Wucht und Schönheit fragt 'Dschinns' nach dem Gebilde Familie, den Blick tief hineingerichtet in die Geschichte der vergangenen Jahrzehnte und weit voraus.

Darum lieben wir dieses Buch: "Dschinns" gehört definitiv zu unseren Lieblingsbüchern und war zu Recht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2022. Ein sehr einfühlsamer Familien- und Gesellschaftsroman, der interessante Einblicke in die muslimische Kultur und in die Lebenswelt von Menschen mit Migrationshintergrund gewährt. Außerdem: Fans von magischem Realismus kommen hier auch auf ihre Kosten. Ganz klar: Lesen!
4. Mirrianne Mahn: Issa
(171Bewertungen)15
Buch (gebunden)
Darum geht es: Eigentlich will Issa diese Reise gar nicht antreten. Schwanger sitzt sie im Flugzeug nach Douala, angetrieben von ihrer Mutter, die bei der bevorstehenden Geburt um das Leben ihrer Tochter fürchtet. In Kamerun, dem Land ihrer Kindheit, soll sie den heilsamen Weg der Rituale gehen, unter den Adleraugen ihrer Omas. Doch so einfach ist das alles gar nicht, wenn man in Frankfurt zu schwarz und in Buea zu deutsch ist. Der Besuch wird für Issa eine Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte und der Gewissheit, dass sowohl Traumata als auch der unbedingte Liebes- und Lebenswille vererbbar sind.

Darum lieben wir dieses Buch: "Issa" gibt tiefe Einblicke in die deutsch-kamerunische Geschichte und Kultur. Wir lernen fünf verschiedene Frauen kennen, die über mehrere Generationen miteinander verbunden sind. Angefangen von ihrer Ur-ur-Großmutter, Enanga, die zur Kolonialzeit lebte, und von den deutschen Besatzern berichtet, bis hin zu Issa selbst. Eine berührende Familiensaga über Identität und das Streben nach Selbstbestimmung.
5. Joachim Meyerhoff: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war
(363Bewertungen)15
Taschenbuch
Darum geht es: Ist das normal? Zwischen Hunderten von körperlich und geistig Behinderten als jüngster Sohn des Direktors einer Kinder- und Jugendpsychiatrie aufzuwachsen? Der junge Held in Joachim Meyerhoffs Roman kennt es nicht anders - und mag es sogar sehr. Sein Vater leitet eine Anstalt mit über 1.200 Patienten, verschwindet zu Hause aber in seinem Lesesessel. Seine Mutter organisiert den Alltag, hadert aber mit ihrer Rolle. Seine Brüder widmen sich hingebungsvoll ihren Hobbys, haben für ihn aber nur Häme übrig. Und er selbst tut sich schwer mit den Buchstaben und wird immer wieder von diesem großen Zorn gepackt. Glücklich ist er, wenn er auf den Schultern eines glockenschwingenden, riesenhaften Insassen übers Anstaltsgelände reitet.

Darum lieben wir dieses Buch: Kein Buch ist so ein Wechselbad der Gefühle wie dieses. Wir haben gelacht, geweint, gelacht, geweint. Joachim Meyerhoffs Humor bewegt sich auf einem konstant hohen Niveau, an das nur sehr wenige herankommen. Seine melancholischen Erzählungen zwischen all den skurrilen Anekdoten verleihen der Geschichte eine gewisse Tiefe. Eine tolle Familiensaga, die wir nicht müde werden zu empfehlen.
6. Romy Fölck: Die Rückkehr der Kraniche
(160Bewertungen)15
Taschenbuch
Darum geht es: Bei Wind und Wetter setzt Grete Hansen mit ihrem Boot über auf die Elbinsel, wo sie als Vogelwartin arbeitet. Die Natur ist ihr Zufluchtsort, in der Marsch kennt sie jeden Vogel, jede Pflanze. Sie ist nie fortgegangen, doch jetzt, kurz vor ihrem fünfzigsten Geburtstag, wird dieser Wunsch in ihr immer lauter. Als ihre Mutter stürzt, gerät ihr Plan ins Wanken. Wilhelmines Zustand ist kritisch. Gretes jüngere Schwester Freya reist überraschend aus Berlin an, und auch ihre Tochter Anne kommt in die Elbmarsch. Das Verhältnis ist angespannt - Grete schweigt beharrlich darüber, wer Annes Vater ist. Und auch Wilhelmine wahrt ein Geheimnis, das sie nicht mit ins Grab nehmen möchte. Dieses Mal können sich die Hansen-Frauen nicht aus dem Weg gehen, und sie erfahren, dass ein Ende auch immer einen Anfang bedeuten kann.

Darum lieben wir dieses Buch: Ein toller Familienroman, der direkt die Bestsellerlisten stürmte. Es ist der erste Roman von Romy Fölck, die sich mit Mitte 30 entschied, ihren Job als Anwältin an den Nagel zu hängen und Schriftstellerin zu werden. Hier spielt neben der Familie auch die Natur und Landschaftsbeschreibungen eine große Rolle. Eine leise Familiensaga, die berührt.
7. Isabel Allende: Das Geisterhaus
(836Bewertungen)15
Taschenbuch
Darum geht es: Eine Familiensage des 20. Jahrhunderts, in der die wechselhafte Geschichte des chilenischen Patriarchen Esteban Trueba und der Frauen seines Hauses erzählt wird. Der Erfolg dieses Buches ist dem hinreißenden Erzähltemperament Isabel Allendes zu verdanken: Souverän, mit Phantasie und Witz, mit Zärtlichkeit und Ironie malt die Autorin das große, bunte Tableau einer Familie über vier Generationen hinweg. Die Geschichte der alteingesessenen Familie del Valle setzt zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Chiles scheinbar wohlgeordneter Welt ein und reißt uns mit in einem Strudel politischer Umbrüche und Gewalt, der die persönlichen Schicksale unaufhaltsam bestimmen wird.

Darum lieben wir dieses Buch: "Das Geisterhaus" von Isabel Allende ist der Klassiker unter den Familienromanen und absolut zeitlos. Es ist auch ein politischer und feministischer Roman, für den man sich allerdings Zeit nehmen sollte. Auch dieser Roman hat Einflüsse des magischen Realismus, der im Setting von Chile eine ganz besondere Strahlkraft hat.
8. Jörg Hartmann: Der Lärm des Lebens
(151Bewertungen)15
Buch (gebunden)
Darum geht es: In "Der Lärm des Lebens" erzählt Jörg Hartmann auf hinreißende Weise seine Geschichte und die seiner Eltern und Großeltern. Es ist eine Liebeserklärung an die Kraft der Familie - und an den Ruhrpott. Ob es um die Situation seiner gehörlosen Großeltern im Nationalsozialismus geht, die Lebensklugheit seiner Mutter, die für kurze Zeit eine Pommesbude betrieb, die Demenzerkrankung seines Vaters, der Dreher und leidenschaftlicher Handballer war, die vielen skurrilen Erlebnisse in der Großfamilie oder um Schlüsselbegegnungen, die er als Schauspieler hatte - immer hält Hartmann die Balance zwischen Tragik und Komik.

Darum lieben wir dieses Buch: Dieser Familien- und Heimatroman wechselt zwischen Melancholie und Humor hin und her. Ein kluges Buch über Anfang und Ende, Ankunft und Aufbruch. Und die Frage, warum wir immer wieder zu unseren Wurzeln zurückkehren. Uns hat vor allem das erzählerische Talent von Jörg Hartmann sehr gut gefallen. Eigentlich kennt man ihn als Schauspieler aus Tatort & Co.
9. Jonathan Franzen: Crossroads
(76Bewertungen)15
Buch (kartoniert)
Darum geht es: 23. Dezember 1971: Familie Hildebrandt steht am Scheideweg. Russ, evangelischer Pastor einer Vorstadtgemeinde in Chicago, ist bereit, sich aus seiner Ehe zu lösen - vorausgesetzt, seine Frau löst sich zuerst. Ihr Sohn Clem kommt mit einer Nachricht nach Hause, die seinen Vater moralisch schwer erschüttert. Clems Schwester Becky, lange Zeit umschwärmtes Zentrum ihres Highschool-Jahrgangs, ist in die Gegenkultur der Ära ausgeschert, während ihr jüngerer Bruder Perry, ein dealender Kiffer, den festen Vorsatz hat, ein besserer Mensch zu werden. Jeder der Hildebrandts sucht eine Freiheit, der die anderen im Wege stehen.

Darum lieben wir dieses Buch: Dieser amerikanische Familienroman ist der erste Teil einer bereits angekündigten Trilogie und wurde direkt zum Bestseller. Und mit "Crossroads" trifft der Autor Jonathan Franzen einen Nerv. Es gelingt ihm, an jedem Mitglied der Pastorenfamilie Hildebrandt ein moralphilosophisches Problem zu diskutieren. Dabei rückt er die Diskurse unserer Zeit wie politische Korrektheit und Woke-Sein in einen geschichtlichen Zusammenhang. Brillant!
10. John Irving: Das Hotel New Hampshire
(3Bewertungen)15
Taschenbuch
Darum geht es: Eine gefühlvolle Familiengeschichte, in der motorradfahrende und feministische Bären, weiße Vergewaltiger und schwarze Rächer, ein Wiener Hotel voller Huren und Anarchisten, ein Familienhund mit Flatulenz im Endstadium, Arthur Schnitzler, Moby Dick, der große Gatsby, Gewichtheber, Geschwisterliebe und Freud vorkommen - nicht "der" Freud, sondern Freud der Bärenführer.

Darum lieben wir dieses Buch: Wer Lust auf einen absolut skurrilen Familienroman hat, sollte "Das Hotel New Hampshire" lesen. Ein wirklich großartiges Buch, das uns nicht nur an einer Stelle zum Lachen gebracht hat. Irvings Erzähltalent ist unangefochten und man möchte bei dieser schrulligen Familie am liebsten einfach nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Absolut liebens- und lesenswert.