Klarsichtige feministische Analyse der Ehe, berührendes Leid einer Ungeliebten - eingebettet in zähflüssige Handlung und schwache Dialoge
Alessandra wird um 1920 geboren und wächst im faschistischen Rom auf. Ihre Mutter ist Klavierlehrerin, die Großmutter, eine Österreicherin, war gefeierte Theaterschauspielerin und hat ihre Karriere für Mann und Kinder aufgegeben. Väterlicherseits stammt die Familie aus den Abruzzen, wo die Verwandtschaft noch von der Landwirtschaft lebt.Alessandra erlebt in ihrer Kindheit und Jugend die unglückliche Ehe ihrer Mutter. Diese gibt Klavierstunden, auch in besseren Kreisen, so bei der englischen Familie Pierce, wo sie in dem mysteriösen Wunderwuzzi Hervey einen Seelenverwandten findet, mit dem durchzubrennen sie sich ausmalt. Der Vater, ein kleiner bornierter Regierungsbeamter, unterbindet das rigoros - und in unerfüllter Liebe geht die Mutter in den Tiber. Alessandra ist da siebzehn und steht kurz vor der Matura. Sie wird zu den Verwandten aufs Land geschickt, erlebt dort eine archaische Welt, in der Männer und Frauen in getrennten Sphären existieren, die sich nur in Balz und Ehe punktuell verbinden. Aber auch hier gilt - wie in Rom: Während die Frauen kochen, putzen, nähen, beten und flicken, spielen die Männer nach Feierabend Karten und geben sich der Muße hin. Alessandra erkämpft sich das Recht, die Abschlussprüfung der Schule abzulegen, besteht sie glänzend und kehrt - trotz des Angebots der Großmutter, quasi als Matriarchin den Hof zu übernehmen - nach Rom zurück, zum erblindeten Vater, der kaum genug zum Leben hat. Vormittags arbeitet sie fortan als Sekretärin, nachmittags macht sie den Haushalt und beginnt zu studieren. 1941 lernt sie Francesco kennen und lieben. Er ist deutlich älter als sie, Dozent an der Uni und im antifaschistischen Widerstand aktiv. Sie heiraten schnell, und der Ehemann Francesco enttäuscht die Erwartungen Alessandras an den Gefährten und Partner Francesco bitter. Ihrem enormen Bedürfnis nach Emotionen und Austausch steht seine unempathisch-distanzierte Art entgegen. Er wird von den regierenden Faschisten mit einem Lehrverbot belegt und stürzt sich voll und ganz in den heroischen Widerstandskampf. Sein Rivale Tomaso ist weniger brillant und heldenhaft, aber er ist in Alessandra verliebt, und er versteht sie. Als Francesco verhaftet wird und im Gefängnis verschwindet, muss Alessandra all ihre Kraft aufbringen, um ihrem geliebten und doch in jeder Hinsicht so fernen Ehemann treu zu bleiben. Mit der Einnahme Roms durch die Alliierten kommt Francesco frei, eigentlich sind alle Wünsche erfüllt, aber die Probleme in der Ehe bleiben bestehen. Francesco ist ein Held, er wird als neuer Staatssekretär gehandelt, und Alessandra vereinsamt und verzweifelt immer mehr.Ich will das Ende nicht spoilern, das mich überrascht hat und gut in die existenzialistische Mode der Zeit passt (der Roman ist 1949 erschienen). Die Geschichte der heranwachsenden Alessandra ist mir immer wieder beim Lesen so vorgekommen, als sei sie der römische Prolog zu Elena Ferrantes Neapolitanischer Saga - was auch daran liegen mag, dass Karin Krieger beide übersetzt hat und sie deshalb irgendwie verdammt ähnlich klingen.Das Gute zuerst: "Aus ihrer Sicht" ist ein frühes Meisterwerk des Feminismus: Eine klarsichtige und messerscharfe Analyse der Ehe als patriarchalisches Herrschaftsinstrument. Ohne Larmoyanz, aber mit der unerbittlich geäußerten Erkenntnis, dass der traditionelle Ehestand den Männern für das Versprechen der Versorgung allzeit verfügbare Haushaltskräfte mit Sexkomponente beschert. Das auszusprechen war für 1949 schon ein ziemlicher Hammer. Gelungen fand ich auch die Schilderung des Lebens der kleinen Leute im Rom der 1930-er und 1940-er, da ist der großbürgerlichen Salonkommunistin Céspedes ebenfalls ein großer Wurf geglückt. Und geradezu herzzerreißend sind die Schilderungen des Leids der Heldin Alessandra gelungen, ihr vergebliches Werben um Francescos Aufmerksamkeit und Zuwendung, die freundlich-herablassenden Zurückweisungen, diese emotionale Hölle einer oberflächlich musterhaften Beziehung. Das ist ganz große Kunst in meinen Augen.Negativ fällt die Länge des Romans ins Gewicht, das Ganze zieht sich doch sehr bräsig und zähflüssig dahin, ganz zum Ende gibt es die Berichterstatterin selbst zu: Man hätte die Geschichte und auch die Atmosphäre locker in der Hälfte des Umfangs rüberbringen können. Fürs heutige Leseerlebnis stört auch, dass Céspedes den Lauf der äußeren Geschehnisse, den 1949 natürlich jede_r italienische Leser_in präsent hatte, einfach voraussetzt und uns Nachgeborene zwingt, erstmal nachzuschlagen, was sich eigentlich in Rom zwischen 1939 und 1946 so zugetragen hat (dass die "arrogante Stimme" im Radio Mussolini sein sollte, habe ich auch erst mit den Nachwort entschlüsselt) Und: So geglückt der innere Monolog der Hauptfigur ist, so unglaubwürdig finde ich viele der Dialoge, die mit künstlichem deklamatorischem Pathos daherkommen, so, wie in den Theaterstücken dieser Zeit auch, wo man sich heute kopfschüttelnd sagt: So redet doch niemand wirklich!Am Ende wird keine eindimensionale Sternebewertung dem Roman gerecht: Ein bedeutendes, ein wichtiges, ein gutes Buch, das an manchen Stellen erschreckend aktuell ist und an anderen schlecht gealtert zu sein scheint und das man heute so sicher nicht mehr schreiben würde.