Intro:
Die Veröffentlichung von Der Tränenjäger ist noch nicht lange her, genauer gesagt sind gerade einmal knapp 5 Monate vergangen, da kommt Chris Karlden schon mit der Fortsetzung Zu tief gefallen daher.
Diese kurze Zeitspanne ist bemerkenswert, denn wer sich etwas näher mit der Erschaffung einer Geschichte auskennt, weiß in etwa, wie viel Arbeit dahinter steckt. Nun bin ich selbst ja kein Autor und kenne mich deshalb sicher auch nur grob aus, weshalb man mir verzeihen möge, sollte ich hier irgendetwas unerwähnt gelassen haben. Aber mir als Buchliebhaber, der sich viel mit Büchern und den Autoren dahinter beschäftigt, ist klar, dass es nicht mit der Entwicklung einer Grundhandlung zu einem Thriller, sprich dem Ausdenken eines Verbrechens, getan ist. Da müssen zum Beispiel Settings und Figuren geschaffen und ausgearbeitet werden. Besonders die Figur des Täters bedarf einer gründlichen Reifung, denn sein sozialer Hintergrund, die Verbindung zu den Opfern, seine Intensionen zu den Taten, die körperliche, psychische und mentale Verfassung sind, neben der Erschaffung des Gegenparts in Form eines charismatischen Ermittlers bzw. eines ganzen Teams, ausschlaggebend für die Gesamthandlung und Atmosphäre der Story. Doch reine Pro- und Antagonisten reichen nicht aus, um eine Handlung mit Leben zu füllen, da müssen auch Randfiguren her, soziale Umfelder geschaffen werden.
Desweiteren gilt es Spannungsbögen zu kreieren und den Täter bis zu einen bestimmten Punkt im Verborgenen zu halten. Dies alles sollte dann auch noch möglichst in einem für die Leserschaft gut verständlichen und leicht zu lesenden Schreibstil formuliert sein.
Hat man das Buch schließlich irgendwann fertig geschrieben, folgen noch Lektorat, Korrektorat, Covergestaltung und Buchsatz.
Man sieht also, dass dies alles nicht in kürzester Zeit gelingt. Für die Entwicklung eines solchen Konstrukts benötigt man Raum für Kreativität, Zeit zum Schreiben, schriftstellerisches Talent und Erfahrung.
Dies alles kann Chris Karlden unter sich vereinen. Er widmet sich beruflich mittlerweile nur noch dem Schreiben, welches ihm definitiv im Blut liegt, und kann aus einem stetig wachsenden Erfahrungsschatz schöpfen.
In Zu tief gefallen stößt er den/die LeserIn, wie mit der sprichwörtlichen Tür ins Haus, direkt vor die Füße des Täters und lässt uns eine grausige Tat miterleben. Hier gibt es kein Herantasten, kein vorsichtiges Hallo?, nein, wir sind sofort mittendrin und lernen den Verbrecher gleich richtig kennen, mit all seinem Hass! Es gibt kein Entkommen! Nicht für das Opfer! Und auch nicht für uns!
Zur Handlung:
Der bekannte Thriller-Autor Ole Sturm wird auf offener Straße bestialisch hingerichtet. Dessen extra angeheuerter Begleitschutz hat den Täter keineswegs beeindrucken oder gar abschrecken können, er zwang das Opfer in kürzester Zeit auf die Knie und enthauptete es mit einem Catana-Schwert.
Den Ermittlern Adrian Speer und Robert Bogner von der Mordkommission für besonders grausame Verbrechen wird schnell klar, dass sie es hier nicht mit einem bloßen Zufallsopfer zu tun haben. Allein die Art der Attacke zeugt von der persönlichen Note, trieft vor tiefsitzender Rache und wurde akribisch geplant. Hinzu kommt als erster Anhaltspunkt, dass eines der fiktiven Opfer des Autors mit einem solchen Samurai-Schwert geköpft wurde.
Als kurz darauf eine Autorin während ihrer Lesung angegriffen wird, vermuten die Kommissare die Tathintergründe deshalb zwischen dieser Berufsgruppe und deren erschaffenen Welten.
Doch den Täter treibt etwas ganz anderes an, dessen sich Speer und Bogner nur langsam bewusst werden. Eines ist aber von Beginn an sicher: Sie müssen sich beeilen, denn wer so selbstbewusst in der Öffentlichkeit agiert und so kaltblütig vorgeht, ist noch lange nicht fertig und hat auch nichts zu verlieren.
Hinweis:
Grundsätzlich ist jeder Band bzw. Fall der Speer- und Bogner-Reihe in sich abgeschlossen und könnte eigenständig gelesen werden, zumal Chris Karlden in jedem Buch relevante Informationen aus den vorherigen Bänden punktgenau und wohldosiert zusammenfasst, so dass ein schlüssiges und klares Bild für neue Leser bzw. Quereinsteiger gegeben wird.
Allerdings würde ich persönlich dazu raten, die Reihenfolge einzuhalten, um die Figurenreifungen und das Voranschreiten der Teambildung in vollen Zügen genießen zu können. Außerdem hat der Autor im Finale dieses Band eine kleine Brotkrume ausgelegt, die im weiteren Verlauf der Reihe noch für spannende Wendungen sorgen könnte
Die Figuren:
Seine Figuren arbeitet Chris Karlden immer liebevoll aus. Ob es nun die stetig weiter reifenden Hauptakteure sind, die ihm zu engen Vertrauten zu werden scheinen und deren Weiterentwicklung man als Leser sehr schön begleiten kann, oder neue Charaktere betrifft, welche erst in späteren Bänden hinzukommen bzw. nur in dem jeweiligen Buch auftreten. Er schafft es durchweg, sie klar und auf den Punkt genau zu beschreiben, ohne sie zu überzeichnen, dabei sind sie gleichzeitig stets voller Seele, wirken lebendig und authentisch.
Adrian Speer war, ist und bleibt für mich der ruhige und besonnene Fels in der Brandung. Was nicht heißt, dass er sich alles gefallen lässt oder gar brenzlige Situationen verkennt. Aber er ist ein sehr guter Beobachter und Analyst, handelt zumeist sehr überlegt und bezieht alle Möglichkeiten mit ein, um den Täter dingfest zu machen.
Robert Bogner ist da deutlich der cholerischere Typ, wobei man deutlich merkt, dass er sich zunehmend von Adrians bedachter Art lenken lässt und auf sein Gespür und seine Meinung großen Wert legt.
Tina Jeschke hat in den beiden Jungs die passenden Teampartner gefunden, die sie so nehmen, wie sie ist und ihre Fähigkeiten sehr zu schätzen wissen. Sie kommt des Öfteren aus ihrer Komfortzone, der eigenen Isolation in ihrem winzigen Kämmerlein, heraus und beteiligt sich am Brainstorming oder gemeinsamen Mittagspausen. Aus der wortkargen IT-Spezialistin, die eher nur im Hintergrund agierte, wird zunehmend ein gleichwertiges Mitglied, das sich selbst auch als solches wahrnimmt.
Das stetig wachsende gegenseitige Vertrauen zueinander und das Sicherheit gebende Gefühl der Verlässlichkeit aufeinander macht das Trio zu einem unschlagbaren Trupp.
Da das Leben im stetigen Wandel ist, bleiben auch die Drei nicht von Veränderungen verschont und so hat ein neu zugeteilter Kollege ein paar kleine Auftritte. Noch erscheint dieser Cornelius Lander, ein Fallanalytiker aus Hamburg, allerdings recht undurchsichtig und seine Absichten nicht eindeutig genug für eine genauere Charakterstudie. Da der gewiefte Autor aber nichts dem Zufall überlässt, kann man nicht nur sicher sein, das dies zum jetzigen Zeitpunkt so gewollt ist, sondern auch davon ausgehen, dass dieser Neue noch seinen großen Auftritt haben wird. Sollte mich aber jemand nach meinem Gefühl fragen, dann würde ich zur Vorsicht raten, denn eine dunkle Aura ist ihm nicht abzusprechen.
Seinen Nebenfiguren widmet Chris Karlden die gleiche Aufmerksamkeit wie seinen Pro- und Antagonisten, selbstverständlich in der Intensität an ihre jeweilige Handlungspräsenz angepasst, so dass sie die gesamte Story abrunden und mit Leben ausfüllen.
Der Schreibstil:
Bekanntlich bin ich ein großer Fan von Chris Karldens Schreibstil. Sein Satz- und Kapitelaufbau sorgen für eine besondere Leichtigkeit beim Lesen und selbst die Gliederung der Handlung in zwei parallel verlaufende Stränge bremsen den Lesefluss zu keiner Zeit, ganz im Gegenteil, denn die Schilderung verschiedener Zeitfenster und Sichtweisen sorgen für das vollkommene Lesevergnügen. Zum einen begleitet man den Werdegang des Mörders vom Auslöser bis zu seiner Eskalation und darüber hinaus, begreift sein Bestreben und seine mentale Verfassung. Zum anderen verfolgt man parallel die schrittweise vorankommenden Ermittlungen der Mordkommission mit und erlebt, wie sich beide immer näher kommen.
Ungewohnt frühzeitig konfrontiert der Autor den/die LeserIn mit dem Mörder, auch wenn die Person anfänglich namenlos bleibt. Wer jetzt glauben mag, damit sei die Spannung aus der Handlung genommen, dem sei gesagt, dass er/sie gänzlich einem Irrtum erlegen ist, denn die Täterlaufbahn ist nicht nur äußerst fesselnd und wendungsreich kreiert worden, sie ist auch dramatisch und spült ordentlich Emotionen frei. Ich habe die gebrochene Seele des Täters mehrfach so sehr fühlen können, dass ich nicht um ein paar Tränchen und eine gewisse Portion Verständnis für die Taten umhin kam.
Das Setting ist wundervoll bildhaft gezeichnet und ich konnte mich sowohl in den Räumen der Mordkommission, als auch auf den Straßen der Großstadt Berlin gut zurechtfinden.
Die Handlung ist wie immer sehr gut durchdacht, stets logisch und schlüssig konstruiert.
Fazit:
Mit Zu tief gefallen setzt Chris Karlden äußerst erfolgreich seine mittlerweile sehr beliebte Reihe um die Sonderermittler Speer und Bogner von der 8. Mordkommission für besonders grausame Gewaltverbrechen fort. Gewohnt spannend, wendungsreich und raffiniert konstruiert, beschert der Autor dem/der LeserIn mit Hilfe sehr liebgewonnener Akteure eine absolut fesselnde und kurzweilige Lesezeit, die keine Wünsche offen lässt.
Mittlerweile ist für mich allein schon der Name Chris Karlden ein Garant für qualitativ gute Thriller-Lektüre. Ob es sich dabei um die Reihenfortsetzung zu Speer und Bogner oder einen Einteiler handelt, spielt dabei keine Rolle! Sie sind alle ausnahmslos gut und seien jedem Interessenten von ganzem Herzen empfohlen!