Für Freunde der Kurzgeschichte!
In Brasilien erlangte Clarice Lispector schon zu Lebzeiten Kultstatus als Schriftstellerin und feministische Ikone, während sie in hiesigen Gewässern bislang nicht über den Status als Geheimtipp hinauskommt. Kann die Kurzgeschichtensammlung Ich und Jimmy daran etwas ändern? Best-Of-Clarice-LispectorClarice Lispector schrieb in ihrem kurzen Leben neben zahlreichen Romanen 84 Kurzgeschichten, von denen dreißig in dem hier vorliegenden Band versammelt sind. Diese umfassen dabei den gesamten Zeitraum ihres erzählerischen Schaffens, sowohl Erzählungen aus ihrem Frühwerk (etwa Ich und Jimmy) als auch aus ihrem Spätwerk (Tag um Tag) und sogar Geschichten aus ihrem Nachlass (Ein Tag weniger) sind hier vertreten.Ihr Werk dabei in irgendeiner Art und Weise zu charakterisieren oder einzuordnen, stellt sich dabei als nicht zu bewältigende Aufgabe heraus. Im Gegensatz zu meinem üblichen Vorgehen verzichte ich dieses Mal auch darauf, zumindest einige Geschichten zusammenzufassen: Die Wege, die sie mit ihren Erzählungen beschreitet, sind einfach zu vielfältig und unkonventionell, als dass einige wenige Worte meinerseits ihnen auch nur ansatzweise gerecht werden könnten.Allen Geschichten gemein ist jedoch die unglaubliche schöpferische Kraft, die Lispector im Umgang mit der Sprache hat. Wir tauchen mit ihrer Hilfe tief in die Wahrnehmung ihrer Figuren hinab und es ist immer wieder von Neuem erstaunlich, was für Bilder sie für Gedanken und Gefühle findet. Noch für den unaussprechlichsten Gedanken findet sie ein (ungewöhnliches) Bild, das gleichermaßen klar und präzise und doch verworren und unverständlich ist. Das hört sich auf den ersten Blick widersprüchlich an, entspricht jedoch bei genauerer Betrachtung der Wirklichkeit eines inneren Gedankens.Das bedeutet allerdings auch, dass das Lesen ihrer Geschichten die beständige Aufmerksamkeit des Lesers fordert. Vollzieht man ihre Bilder nicht in Gänze nach, besteht die reale Gefahr, sich in den Geschichten zu verlieren und keinen Anschluss mehr an ihre weiteren Gedankenverästelungen zu finden. Darum eignet sich dieser Band auch nur bedingt als Nachtlektüre. Wer diesen Erzählungen allerdings die nötige Aufmerksamkeit widmet, wird mit einem umso ergiebigeren Leseerlebnis belohnt, dass noch lange in Erinnerung bleiben wird.Ein bewegtes Leben, spannend wie ihre Geschichten selbstGenauso faszinierend wie ihre Geschichten ist Clarice Lispectors Leben selbst. Sie wurde 1920 als Chaja Pinkussowna Lispektor in der heutigen Ukraine geboren. Schon kurz nach ihrer Geburt entfloh ihre Familie dem Hass, der der jüdischen Bevölkerung entgegenschlug und landete über Umwege in Brasilien, wo sie ihren heutigen Vornamen annahm. Nach einem erfolgreich absolvierten Jura Studium heiratete sie einen Diplomaten, den sie auf seinen Stationen in Europa und Amerika begleitete. Während dieser Zeit begann sie auch erste Erfolge als Schriftstellerin zu erzielen. 1959 ließ sie sich schließlich nach sechzehn Jahren Ehe von ihrem Mann scheiden und erlangte in den folgenden Jahren als Schriftstellerin und Journalistin endgültig Kultstatus, bevor sie 1977 an Krebs verstarb.Fazit:Mit Ich und Jimmy liegt eine Sammlung vielfältiger und unkonventioneller Geschichten einer großartigen Schriftstellerin vor. Wer Freude an Sprache und Kurzgeschichten hat, wird um dieses Buch nicht herumkommen!