Ich hatte sehr hohe Erwartungen an dieses Buch von Juli Zeh. Wir begegnen Dora, einer Berlinerin, die schon vor den ersten Corona-Monaten aus der Enge der Stadt ausbricht und ein Haus auf dem Land kauft. Als der Lockdown kommt und die Menschen um sie herum, allen voran ihr Freund Robert, immer paranoider werden, verlässt sie Berlin und beginnt ihr neues Leben auf dem Land. Bracken hält für Zugereiste nicht viel bereit. Der Einkauf mit dem Bus wird zur Tagestour, die Nachbarn entpuppen sich als Afd-Wähler und schlimmer noch, als waschechte Nazis mit krimineller Vergangenheit und letztlich verliert sie auch noch ihren Agenturjob und die Perspektive. Die Figuren sind gut beschrieben und eingefangen, man fühlt sich als Leser selbst als Besucher Brackens und stiller Beobachter. Doras Nachbar Gote, eigentlich ein hilfsbereiter Kerl, leider auch der Dorf-Nazi zwingt sie dazu, ihre Perspektive und ihren manchmal etwas selbstgefälligen Blick von oben herab zu ändern und weniger zu bewerten als viel mehr genau hinzuschauen. Dass man als Leser an einigen Stellen sogar Sympathie für Gote und auch die anderen Nachbarn empfindet, ist sicher so gewollt. Es gibt eben kein schwarz und weiß, auch bei Themen, bei denen man eigentlich glaubt eine klare Meinung zu haben. Das Buch liest sich gut, oft muss ich schmunzeln oder etwas länger über die Wahrhaftigkeit der Sätze nachgrübeln. Vieles ist punktgenau aus dem Leben und insbesondere dieser zerrissenen Corona-Zeit gegriffen und trifft mitten hinein in das Selbstverständnis von Städtern, die sich oft über die vermeintlich zurückgebliebene Bevölkerung auf dem Land erhebt. Dennoch ist mir manches zu gewollt, zu konstruiert und zu plakativ. Nichtsdestotrotz finde ich den Roman gelungen und rund und das Ende berührt mich und wahrscheinlich die meisten Leser trotz aller vorgefertigten Meinungen.