Von Rose Tremain hatte ich nur Gutes als Autorin von Historischen Romanen gehört. Nach dem Lesen dieses Buches bin ich aber leider nicht sehr dazu angetan, in das allgemeine Loblied einzustimmen. Ich möchte es einmal so sagen - ich bin "auf hohem Niveau" enttäuscht von diesem Buch. Es ist nicht "schlecht", das will ich nicht gesagt haben. Aber es ging so völlig an dem vorbei, was ich erwartet hatte. Und daran sind der Verlag, die Vermarktung, der Klappentext, nicht ganz unschuldig.Versprochen wird dem Leser eine spannende Episode aus dem Leben eines alternden englischen Arztes und Lebemannes. Er reist nach Frankreich, an den Hof des Sonnenkönigs, und begegnet dort der Liebe seines Lebens. Soweit die Behauptung des Verlags. Zudem hatte ich mich, der Leseprobe entsprechend, auf viel Witz und eine Midlife-Crisis "auf historische Art" gefreut. Doch was ich bekommen habe, wich doch sehr davon ab.Von Witz keine Spur, stattdessen haufenweise Zynismus, zerquälte Rückblicke, und mangelnde Entschlussfreudigkeit. Oder völlig überstürzte Handlungsweisen. Das alles umrahmt von einer derart drastisch-derb-vulgären Handlung, dass es mir die Mittelalter-Romantik für alle Zeiten höchst wirkungsvoll ausgetrieben hat. Streng betrachtet, spielt der Roman natürlich nicht im Mittelalter, sondern im Barock - aber es wird sicherlich verständlich, was ich meine. Es ging mir persönlich einfach eine Spur zu viel um Körper und ihre Flüssigkeiten. Und um höchst fragwürdig ausgeführte medizinische Prozeduren.Ein wenig ärgerlich bin ich auf den Verlag, weil er den Klappentext "ins Spannende hinein" manipuliert hat. Die Episode am Hof des Sonnenkönigs nimmt nicht einmal ein Viertel des Buches ein! Und Louise de Flamanville ist mitnichten die "große Liebe" von Sir Merivel. Im Gegenteil, auch mit ihr vergnügt er sich wie mit vielen anderen. Und scheut ausdrücklich davor zurück, sie zu heiraten!Überhaupt - was nicht alles schief geht in diesem Buch...! Die Kutsche auf dem Weg nach Frankreich wird ausgeraubt. König Ludwig bekommt Sir Merivel nie persönlich zu sehen. Louise ist verheiratet, ihr Gatte wirft Merivel hinaus. Merivels Tochter erkrankt lebensbedrohlich. Briefe kommen nicht an. Es gibt Missverständnisse und finanzielle Engpässe. Merivel landet beinahe fälschlich im Armenhaus. Und den Tod der Menschen, die ihm am liebsten waren, verpasst er samt und sonders. Sogar eine alte Freundin stirbt ihm unter den Händen weg. Meine Güte, da wird man ja trübsinnig...!Das ganze Buch strahlte für mich eine extrem hohe "Rückwärtsgewandtheit" aus. Und erst nach Beendigung der Lektüre fand ich einen Grund dafür heraus. Der Verlag verschweigt uns Lesern nämlich auch noch, dass dieser Band eine Fortsetzung ist... Mit Verlaub, das hätte ich gerne vorher gewusst. Zumal der erste Band ja sogar schon verfilmt wurde! (Unter dem Titel "Zeit der Sinnlichkeit".)Warum es bei mir dann doch drei Sterne werden? Nun, ich gestehe dem Buch zu, dass es eigentlich weniger um Sir Merivel geht, sondern um das Ende einer ganzen Epoche. Worauf auch die abblätternde Tapete auf dem Cover hinweist. Denn nahezu zeitgleich mit Merivel stirbt König Charles, und allerorten ergeht sich das Volk in trüben Vermutungen über Englands Zukunft. Nun wird der Herzog von York König. Ich müsste nachlesen, bin historisch nicht allzu bewandert. Aber das müsste in etwa mit den Religionskriegen in England zusammenfallen.Zudem war zumindest die schriftstellerische Technik auf erkennbar höherem Niveau angesiedelt. Die Sprache fand einen ganz eigenen Rhythmus aus Lesbarkeit und historischer Echtheit; das war insofern schon ansprechend zu lesen. Auch die Charakterisierungen waren glaubwürdig, alle Figuren mit zahlreichen Details erdacht. Nur schade, dass mir keine einzige davon wirkllich sympathisch wurde.Ich empfehle das Buch letzten Endes doch zähneknirschend weiter. Vielleicht habe ich es einfach auf falschem Fuß erwischt. Oder sollte noch einmal meine Kenntnisse in englischer Geschichte auffrischen. Wie dem auch sei, ich möchte das Buch so bald nicht wieder zur Hand nehmen.