Zeruya Shalevs Spezialität ist es, das unangenehme Gefühlsleben ihrer Protagonist*innen auszuloten - und die Leser*innen damit zu konfrontieren. "Schmerz" ist ihr fünfter Roman. Er kreist um die verschiedenen Auswirkungen physischen und psychischen Schmerzes auf das Alltagsleben die Flucht davor und den Widerstand dagegen. Die mittelglücklich verheiratete Schulleiterin Iris, Mutter zweier Kinder, wurde vor 10 Jahren bei einem Terroranschlag schwer verletzt. Als die Schmerzen wiederkommen, begibt sie sich zu einem Schmerzspezialisten. Dabei trifft sie auf ihre Jugendliebe Eitan, der sie damals heiraten wollte, sie stattdessen aber überraschend verlassen hat. Die Begegnung erschüttert sie, denn nicht nur, dass die Trennung sie emotional lange belastet hat - noch immer fühlt sie sich zu ihm hingezogen.Es folgt eine schmerzhafte Auseinandersetzung der Protagonistin mit ihrem Begehren, ihren Bedürfnissen, ihrer Verantwortung für Familie und Beruf, es dringen Erinnerungen an den Anschlag hervor und daran, wie dieser ihre Familie geprägt hat, wie er die Ehe veränderte und sich auf Iris Verhältnis zu ihren Kindern und nicht zuletzt zu sich selbst auswirkt . Verbissen versucht Iris, mit allem allein fertig zu werden, sich durchzubeißen, nichts nach außen dringen zu lassen. Iris" individuelle Geschichte ist nicht losgelöst von der Umgebung und gleichzeitig für viele Menschen in Israel alltäglich. Nicht nur der Anschlag änderte und prägte ihr Leben. Ihr Vater starb im Jom-Kippur-Krieg und ihr Sohn wird bald den Militärdienst antreten. Als Schulleiterin bemüht sie sich darum, das interkulturelle und interreligiöse Verständnis unter den Schüler*innen zu stärken, während sie selbst am eigenen Leib erfahren hat, wohin Hass und Fundamentalismus führen können. All dies beeinflusst(e) ihre Lebensentscheidungen und ihre Reaktion auf Veränderungen."Schmerz" ist mein zweiter Roman von Shalev. Wie schon bei "Liebesleben" wollte ich die Protagonistin für ihr Handeln verurteilen, hatte Empathie, schwankte zwischen meinen eigenen Moralvorstellungen und der Frage, wie sehr man als Außenstehende*r Einfluss auf einen Kampf nehmen muss, kann, und sollte, den jemand anders vor allem mit sich selbst ausmacht und den man nie ganz nachvollziehen kann. Klug komponiert ist daher, dass Iris bei ihrer Tochter vor genau dem Problem steht, mit dem uns Shalev als Leser*innen konfrontiert. Der Roman entfaltete bei mir eine ähnliche Sogwirkung wie schon "Liebesleben", wirkte auf mich aber sehr viel ernster und tiefgehender.Eine großartige, von Mirjam Pressler toll übersetzte Sprache verbindet sich mit einer eindrücklichen Gesellschafts- und Charakterstudie, einer spannenden Handlung und komplexen Charakteren. Große Leseempfehlung!