Das abenteuerliche Leben der Sehnsuchtsbilder von Caspar David Friedrich - mitreißend erzählt von Florian Illies
Kein deutscher Maler löst solche Emotionen aus wie Caspar David Friedrich: Seine abendlichen Himmel sind bis heute Ikonen der Sehnsucht, er inspirierte Samuel Beckett zu Warten auf Godot und Walt Disney zu Bambi - Goethe jedoch machte die rätselhafte Melancholie seiner Bilder so wütend, dass er sie auf der Tischkante zerschlagen wollte.
In seiner groß angelegten Reise durch die Zeiten erzählt Florian Illies erstmals die Geschichte der Bilder Friedrichs: Zahllose seiner schönsten Gemälde sind verbrannt, erst in seinem Geburtshaus und dann im Zweiten Weltkrieg, andere, wie der »Kreidefelsen auf Rügen« tauchen hundert Jahre nach Friedrichs Tod aus dem Nebel der Geschichte auf.
Illies erzählt, wie Friedrichs Bilder am russischen Zarenhof landen, zwischen den Winterreifen in einer Autowerkstatt der Mafia und in der Küche einer hessischen Sozialwohnung. Von Hitler so verehrt wie von Heinrich von Kleist, von Stalin so gehasst wie von den 68ern - am Beispiel von Friedrich werden 250 Jahre deutsche Geschichte sichtbar.
Stephan Schad ist Theater- und Filmschauspieler (u. a. Bella Block, Für immer Sommer 90) und ein herausragender Hörbuchinterpret. Mit seiner sonoren Stimme erkundet er Illies' Texte gleichermaßen klug und unterhaltsam.
Besprechung vom 11.11.2023
Ruhige Romantik? Ach was!
Diese Kunstwerke haben auch Walt Disney inspiriert: Florian Illies erzählt die Geschichte wichtiger Bilder von Caspar David Friedrich.
Auf überraschende Weise fängt Florian Illies zu Beginn seines Buchs über Caspar David Friedrich dessen Kernmotiv ein, das Zusammenspiel von Feuer, Wasser, Erde und Luft. Alle vier Elemente umgeben Friedrich in der Ekphrasis von Illies' Einstiegs-Tableau-vivant: Bei einer Bootsfahrt vor Greifswald während der Flitterwochen mit Line, seiner aus Dresden gekommenen Frau, ist der Maler von Wasser umgeben und vom Wind umweht. Er empfindet das für ihn bislang unbekannte Gefühl glühender Liebe und erfährt etwas Neues, das er sogleich malen will.
Friedrich wird durch das geblähte Segel zum Fixieren des in seinem Inneren "Gesehenen" animiert, da das Arbeiten auf einer über einen Holzrahmen gespannten Leinwand tatsächlich an den Eindruck des Segels denken lässt. Friedrich wird somit gerade nicht als der kauzige Außenseiter im Elfenbeinturm seines Ateliers porträtiert, sondern als Mensch aus Fleisch und Blut. Für diese Interpretation benutzt lllies Passagen aus Briefen des Malers, in denen dieser beispielsweise seinem Bruder Christian gegenüber schwärmt, er habe noch nie im Leben so viel geschlafen, gegessen und "gelepscht" - worauf Illies im nächsten Halbsatz dezent die Ankündigung des ersten Kindes der beiden Eheleute folgen lässt.
Auch der folgende harsche Szenenwechsel und Zeitensprung zum 6. Juni 1931 mit dem brennenden Münchner Glaspalast ist wohlbegründet: Dort gingen nicht weniger als neun Gemälde Friedrichs in Flammen auf, darunter "Ostseestrand", Friedrichs Sehnsuchtsbild über seine Heimatstadt, der "Hafen in Greifswald", der Blick aus dem Fenster seiner Atelierwohnung in "Augustusbrücke in Dresden" sowie die innige "Abendstunde" mit seiner Frau und der sie umarmenden Tochter Emma. Der Schriftsteller und Journalist Eugen Roth war von drei Uhr morgens an Augenzeuge für eine Münchner Zeitung, sein Bericht der Brandkatastrophe wimmelt vor in Sprache übersetzten Metaphern von Bildern und Zeichnungen Friedrichs, die Roth auch sammelte.
Grenzen der Metaphernverliebtheit des Autors zeigen sich dort, wo die Bilder loriothaft leicht schief hängen. Zu erwähnen, das Hitlers Nichte Geli Raubal kurze Zeit nach der Brandkatastrophe "das Feuer gegen sich eröffnen", sich also entleiben wird, fügt der Causa Friedrich nichts hinzu. Ebenso wenig zielführend erscheint der etwas zu phantasievolle biographische Bogen der permanent verbrannten Finger des jungen Friedrich beim Kerzenziehen in der väterlichen Werkstatt, weshalb er lieber Künstler geworden sei. Als solcher aber versage er lebenslang beim Zeichnen von Menschen, weil er sie "in unentrinnbarer Familientradition" wie Kerzen in die Länge ziehe.
Dagegen sind bildliche Wendungen wie "Sein Charme wedelt welpenhaft in alle Richtungen" über das Liebesleben des schillernden Kunsthändlers und Friedrich-Vermittlers Wolfgang Gurlitt rilkehaft treffend. Sie werden auch nicht getrübt von dem vielleicht persönlich gefärbten Kommentar: "Muss man erst mal hinbekommen."
Die Wiederholung dieses anfangs bewundernden Seufzers ist beim zweiten Mal bloße Ironie, obgleich historisch gedeckt, wenn der Autor Gurlitts "tollkühnsten Coup" beschreibt: Der gewiefte Händler, der seine Kunstsammlung während des Zweiten Weltkriegs in einem Bergstollen neben jenem einlagerte, in dem sich die Rembrandts, Michelangelos und übrigen Schätze für Hitlers geplantes "Führermuseum Linz" befanden, kaufte die eigene Kollektion in der Nachkriegszeit als Linzer Museumsdirektor für den nicht nur damals sagenhaften Betrag von 1,6 Millionen Mark für "sein" Museum an. Unter anderem veräußerte Gurlitt damals sein halb verbranntes, übel "restauriertes" und deshalb nahezu unverkäufliches Friedrich-Gemälde "Uttewalder Grund" an sich selbst - und zwar in seiner Eigenschaft als Direktor.
Bei weiteren Unglücken wie dem Abbrennen der elterlichen Kerzenzieherei im Jahr 1901 gingen nochmals neun bedeutende Gemälde zugrunde, beim Feuer im Dresdner Taschenberg-Palais mindestens zwei und ungezählte weitere im Flakbunker Friedrichshain 1945 und bei den Bombardierungen Deutschlands. Und so wird klar: Friedrich ist nach seinem Tod und dem Zweiten Weltkrieg auch deshalb in Vergessenheit geraten, weil sein meist unsigniertes OEuvre stark dezimiert wurde - seine von vielen unverstandene Avantgarde-Haltung tat ein Übriges.
Was aber hat das Disney-Filmkitz Bambi mit Feuer und Friedrich zu schaffen? In einer Filmszene erahnt es witternd den durch das Lagerfeuer der Jäger verursachten Waldbrand. Und Disney kaufte 1935, als er auf Deutschlandreise - Hitler ist bekanntlich ein erklärter Freund von dessen Produktionen - in München die Reaktion auf sein Werk "Die lustige Palette - Im Reiche der Micky Maus" mit eigenen Augen in den bayrischen Kinos sehen wollte, 149 Bücher. Darunter befanden sich etliche mit Friedrich-Abbildungen. Illies geht so weit zu mutmaßen, dass Disney von Thomas Mann auf Felix Saltens Buch mit dem Rehkitz Bambi als potentiellem Stoff für einen Zeichentrickfilm aufmerksam gemacht wurde. Nachweisbar ist zumindest, dass Disney und Mann im Sommer 1938 gleichzeitig von der Harvard-Universität die Ehrendoktorwürde verliehen wurde und beide beim festlichen Dinner danach Tischnachbarn waren. Und Fakt ist, dass Disney von seinen Zeichnern für die Hintergründe des Films Friedrich-Bilder wie "Morgennebel im Gebirge" oder die "Felsenschlucht" getreu zitieren ließ, weil ihn deren schwer zu beschreibende mysteriöse Grundstimmung begeisterte.
Friedrich stammte aus Greifswald und hielt sich gerne in der Nähe des Wassers auf, das ebenso grenzenlose Freiheit jenseits jeder Alltagslimitierung verheißt, wie es große Gefahren birgt. Bei der Rettung des ins eiskalte Wasser gefallenen kleinen Friedrich kam der Bruder Johann Christoffer ums Leben. In keinem Bild wird diese Ambiguität des flüssigen Elements deutlicher als in "Gescheiterte Hoffnung" von 1824, dem kleinen Schiff der Sehnsüchte, das von den Eisschollen zermalmt wird. Illies deutet das Bild zu Recht als persönlich gehaltenen Mahlstrom der eigenen gescheiterten Hoffnung auf einen dauerhaften Professorenposten an der Dresdner Akademie, der dem Künstler unter anderem dabei geholfen hätte, die Schulden beispielsweise für die 300 Taler teure antinapoleonische Kriegsausrüstung inklusive Pferd für seinen Freund Kersting zu refinanzieren.
Die Offenheit der weit zu deutenden Form der alles vernichtenden Eisberge hat dafür gesorgt, dass das Bild bis heute das meistadaptierte und -zitierte Gemälde der deutschen Kunst bleibt, bis hin zum Film "Titanic" und dem 1922 vom Bauhaus-Direktor Walter Gropius errichteten Denkmal für die Opfer des Kapp-Putsches. Selbst die Verschmutzung der Eisschollen mit Erde erkennt Illies, mit der Friedrich für dieses Grab in eisiger See Teile seines eigenen gemalten Epitaphs "Mein Begräbnis" von 1804 volle 36 Jahre vor dem tatsächlichen Ableben ausformulierte; hervorzuheben ist auch der heute so gerühmte "Tetschener Altar" als Grabbild für die früh verstorbene Schwester Dorothea, der einst von Carl Friedrich von Rumohr als unerhörtes Einschleichen eines erdigen Landschaftsbildes in die religiöse Malerei scharf kritisiert wurde.
Die gültige Synthese aus Himmel, Meer und Land, mithin aus den Elementen Luft, Wasser und Erde, bildet für Illies der "Mönch am Meer". Zu Recht beschreibt er den verschwindend kleinen Menschen angesichts der überwältigenden Natur als Auflösung des Subjekts in ebenderen Elementen, sieht nur die 13 Möwen des Bildes als bleibend an. Das im Gemälde fehlende Feuer kommt durch die Ergänzung des berühmten Kleist-Zitats hinein, der nicht nur konstatierte, dass es vor diesem Bild sei, als würden einem die Augenlider weggeschnitten, sondern der auch vom Erlöschen jedes Lebensfunkens in ihm schrieb - und der sich kurz nach Abfassung dieser Zeilen und dem Verlust von Vater und Schwester erschoss. Noch weniger bekannt ist - und das spricht für die zu ziehenden Wissensgewinne aus Illies' Zeitsprüngen - dass Samuel Beckett den "Mönch am Meer" am 31. Januar 1937 in Berlins Alter Nationalgalerie sah und zur Blaupause seines "Warten auf Godot" machte.
Es gilt somit auch nach Lektüre dieser durchgängig fesselnden Wanderungen durch Zeit und Raum mit Friedrichs Bildern unverändert, was Alexandr Turgenew im Angesicht des "Tetschener Altars" schrieb: "Vor seinen Bildern kann man träumen, aber man kann sie nicht klar verstehen. Denn auch in seiner Seele sind sie nicht eindeutig." STEFAN TRINKS
Florian Illies: "Zauber der Stille". Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2023. 256 S., Abb., geb.
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