Besprechung vom 04.03.2024
Berühmter Rückkehrer
Krimis in Kürze: John Grisham und Ulf Kvensler
Es ist nicht bekannt, welche Schuhgröße Mitch McDeere hat; von Tom Cruise, der ihn 1993 in dem Film "Die Firma" gespielt hat, heißt es lediglich, er trage Fahrstuhlschuhe, um größer zu wirken, doch der ökologische Fußabdruck, den McDeere in "Die Entführung" (Heyne, 384 S., geb., 24,- Euro), dem neuen Roman von John Grisham, hinterlässt, ist verheerend. Da wird geflogen, bis das Kerosin raucht, von New York nach Rom, Tripolis, London, per Linie und per Learjet. Wenngleich Romane heute keine Benzin sparenden Helden haben müssen, wäre eine gewisse dramaturgische Plausibilität der zahlreichen Flugbewegungen schon ganz schön.
Grisham ist also schwach geworden, er hat eine Art Sequel zu dem Buch geschrieben, mit dem ihm der Durchbruch gelang. Das Erstaunliche daran ist, dass es sich um einen Anwaltsroman ohne eine einzige Gerichtsszene handelt. Mitch, bei dem man unausweichlich Tom Cruise vor Augen hat, ist damals den mafiösen Aktivitäten der "Firma" in Memphis entkommen und untergetaucht.
Jetzt muss er gleich für die "größte Kanzlei der Welt" arbeiten, für deren Briefkopf eine DIN-A4-Seite kaum reichen dürfte. Eine Partnerin der Kanzlei wird entführt, Anti-Gaddafi-Rebellen halten sie gefangen. Das Lösegeld ist hoch, Mitch und sogar seine Frau Abby werden involviert. Er sammelt eifrig Meilen fürs Vielfliegerprogramm. Nur spannend wird es eigentlich nie.
"Die Entführung" ist eine große Enttäuschung, auch wegen einiger handwerklicher Schwächen. Erst deutet Grisham an, dass dunkle Kräfte aus Mitchs Vergangenheit am Werk sein könnten, als er zur Geldübergabe auf die Cayman Islands fliegt, wo im Film eine großartige Szene mit Cruise und Gene Hackman spielt. Dann kommt dazu gar nichts mehr. Schweigen wir von der Schlampigkeit der Übersetzung, die nicht unterscheiden kann zwischen Konjunktiv I und II. Wenn aus diesem Roman mit seinen lahmen Beschreibungen und seiner spießigen Italophilie ein guter Film werden soll, bräuchte es mindestens einen Regisseur wie den 2008 verstorbenen Sydney Pollack und einen Drehbuchautor wie den nicht mehr aktiven Robert Towne.
Alle paar Jahre darf es mal wieder ein sogenannter Schwedenkrimi sein, obwohl der rechte Glaube fehlt, unter den zahlreichen skandinavischen Neuerscheinungen werde sich eine Überraschung finden lassen. Arne Dahls "Stummer Schrei" mit einer neuen Kommissarin ist es sicher nicht. Den legt man spätestens nach fünfzig Seiten weg, weil er in jeder Hinsicht wie ein Retortenprodukt wirkt. Unbegreiflich, wie es ein derart steriles Produkt auf Platz eins der Krimibestenliste schaffen konnte.
Stattdessen also Ulf Kvensler, als Romancier ein Debütant, als Serienautor erfahren und erfolgreich. "Der Ausflug - Nur einer kehrt zurück" (Penguin, 464 S., br., 17,- Euro) beginnt so, dass die Versuchung groß ist, bald wieder aufzuhören. Aber irgendetwas, was sich erst im Nachhinein erschließt, hält einen davon ab: ein leises Misstrauen, das nichts so bleiben kann, wie es aussieht, eine Erzählinstanz, die Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit weckt.
Ein Vernehmungsprotokoll eröffnet das Buch. Wer vernommen wird, sei nicht verraten, das wäre ein unnötiger Spoiler. Vier Personen sind aufgebrochen zu einem Wanderurlaub in den Sarek, einen Nationalpark im schwedischen Teil Lapplands, ein Paradies für Hardcore-Wanderer. Anna, die ehrgeizige Anwältin, Hendrik, ihr langjähriger Freund, beider alte Freundin Melina, die überraschend ihre neue Internetdating-Bekanntschaft Jacob mitgebracht hat, dem etwas Dubioses anhaftet. Ist der Neue ein Psychopath? Manches spricht dafür. Er überredet die anderen zu einer gefährlicheren Strecke, er baggert Anna an. Hendrik ist früh erschöpft. Die Paare trennen sich. Jedes geht seiner Wege. So scheint es zunächst.
Kvensler lockt einen auf ausgetretene Story-Wege, während seine Protagonisten unwegsame Pfade absolvieren müssen. Er arbeitet mit Rückblenden und immer wieder mit Vernehmungsprotokollen. Er lässt langsam das Bild kippen, wenn es sich gerade zu verfestigen beginnt. Lesererwartungen, die auf eine Routinelösung konditioniert wurden, zerfallen. Am Ende werden die losen Fäden dann auch nicht brav verschnürt. Wir werden mit ein paar gut gesetzten Hinweisen in die Ungewissheit entlassen. Das passt. PETER KÖRTE
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.