Besprechung vom 13.03.2022
Am Spielfeldrand der Liebe
Katja Kullmann hat sich verliebt - ins Alleinsein. Ihr Buch "Die Singuläre Frau" feiert die Frau ohne Mann.
Erst in der Mitte ihres Buchs findet Katja Kullmann zu ihrem Titel. Und will man es kitschig ausdrücken, findet sie da auch ganz zu sich. Nachdem sie in der ersten Buchhälfte meist von der "Frau ohne Begleitung", der "Single-in" oder der "alleinstehenden Frau" geschrieben und andere Bezeichnungen oder Beschimpfungen zitiert hat - "spätes Mädchen", "Katzenlady", "Frigider Freak" -, kommt es zu einem Mini-Showdown. Im Partystreitgespräch mit einer (nicht alleinstehenden) Frau fällt ihr der Begriff ein, mit dem sie fortan benennen wird, worum es ihr geht: die "Singuläre Frau".
Mit Frauen meint Kullmann "alle Menschen und Maschinen, die sich als Frau verstehen", mit singulär meint sie: ohne Zweierliebesbeziehung. Und weil ihr Buch ein Ich-Sachbuch ist und sie sein Thema ausgehend von der eigenen Person - weiß / westdeutsch / hetero / cis - erkundet, meint sie mit den Zweierliebesbeziehungen solche zu Männern (die sie nicht weiter definiert) oder, so heißt es an einer Stelle, "das Hetero-Drama", wie es sich in der sogenannten westlichen Kultur seit Erfindung der romantischen Liebe seriell abspielt.
Heteronormativität kritisiert Kullmann nur beiläufig, sie kritisiert vor allem das, was "Amatonormativität" genannt wird: die Vorstellung, Zweck und Glück eines Lebens lägen in der monogamen, möglichst ewigen Paarbeziehung. Dies gilt in besonderem Maße für Frauen, deren Dasein ohne Ausrichtung auf einen Mann auch von ihnen selbst oft für mangelhaft befunden werde, ja, für gar kein echtes Dasein. Die "Singuläre Frau" stelle diese Annahmen schon durch ihre Lebensweise infrage, die "eine Variante des angewandten Feminismus" sei. "Singulär" rufe Bedeutungen zwischen "einzigartig" und "vereinzelt" auf; doch der neue Begriff erlaubt es Kullmann auch, die jüngste Auflage der Frau ohne Mann (im Leben) in ihren Eigenheiten zu erfassen und zu würdigen. Nicht als Frau, der etwas fehlt, sondern als eine, die sich allein mehr denn je genügt.
Alles - das Buch auch - beginnt mit dem "mittelschweren Selbsterkenntnisschock", den die Journalistin und Autorin Kullmann mit Ende 40 erlebt, als ihr bewusst wird, dass sie seit 14 Jahren ohne Beziehung ist, während sie ihr erwachsenes Leben zuvor weitgehend in a relationship verbracht hatte. "Das Alleinsein ist mir unterlaufen." Kein Ziel sei es gewesen, aber eine Konsequenz, der folgerichtige, zumindest unbewusste Plan, keine künftige Bindung mehr zu planen. Als Kullmann begreift, dass ihr Nichtbeziehungsstatus längst keine Übergangsphase mehr ist, fängt sie an, ihn zu bedenken, wobei trotz Schock gleich klar ist: Kullmann mag diesen Status, ihr Leben und die unbegleitete Frau - als Sozialtyp und Einzelfall. Sie folgt dieser Frau, diesen Frauen, vom "Spielfeldrand der Liebe" aus, um sich selbst und ihre Desertion vom Feld aufzuspüren. Sie verwebt Schilderungen, Gedanken und Argumente häufig alleinstehender Autorinnen aus literarischen, autobiographischen oder theoretischen Texten mit persönlichen Erlebnissen und denen von Bekannten und Freunden. Es geht um Dating-Dilemmata und ums Schlussmachen, um Kinderwünsche, die Lust auf Sex und das Älterwerden, um Einsamkeit der verträglichen oder fiesen Sorte und die "Monsterfrage" danach, wieso man noch Single sei. (Auf die antwortet man übrigens, wenn es irgend möglich ist, am besten mit: "Wieso bist du nicht schlank?") Dabei macht Kullmann sich und ihre Geschichte zum wichtigsten Fall ihrer Studie, so ehrlich und schonungslos, selbstironisch und witzig, dass sogar Kapiteltitel wie "Warum ich ein guter Mensch bin" und die Rede vom eigenen "wunderbaren" Leben verkraftbar sind. Es tun sich früh genug Zweifel und Ambivalenzen auf, wenn sie - "eine längst schon leicht verknitterte Person" - sich durch das "leicht neurotische, viertel- bis halbintellektuelle Mittelklassemilieu" in Berlin laviert.
Immer wieder nimmt Kullmann von ihrer Selbsterzählung Abstand, kehrt zu ihr zurück. Sie kontextualisiert sich. Damit erhält Form, was dann kaum noch gesagt werden muss: Gelebte Beziehungen sind wie die Phantasien davon kulturell programmiert und bedingt durch äußere - politische, wirtschaftliche, soziale - Umstände. Ausreichend ungewohnt gelebte Beziehungen können die Umstände aber auch verändern. Indem Kullmann individuelle Erfahrungen in einer Gesellschaftsgeschichte der letzten 250 Jahre verortet, ergeben sich ein kulturhistorisches Panorama und eine Typologie der weiblichen Existenz ohne männliche Begleitung. Es zeigt sich, dass die bevorzugte Orte hatte und hat - Kinosäle etwa und vor allem: Großstädte. Und ihre Zeiten. Kullmann erzählt von unverheirateten Arbeiterinnen, die um 1900 in die Städte zogen, von den "Girls" im Berlin der Zwanzigerjahre, von Frauen, die nach 1960, im Schwung der zweiten Feminismus-Welle, auf Männer lieber verzichteten. Sie erzählt von Aufbrüchen und Brüchen.
In Momenten der Krise und der sozialen Verschiebungen tauche die alleinstehende Frau verstärkt auf. Kullmann ist sich sicher: Aktuell ist es wieder so weit, und zwar im großen Stil. Ihre Krisenstichworte sind: "das Klima", "das Virus", "die Fake News" und "die Fluchtbewegungen". Zugleich seien die Chancen von Frauen auf politische und ökonomische Autonomie nie besser gewesen. Damit wachse ihre "affektive Souveränität" - die Überzeugung, auch innerlich keinen Mann an seiner Seite zu brauchen. Dies äußere sich statistisch, etwa in der Mehrheit von Singlefrauenhaushalten in westlichen Großstädten oder in Umfragen, denen zufolge ungebundene Frauen "die gesündeste und glücklichste Bevölkerungsgruppe überhaupt" darstellten. Diese Frauen beschrieben sich zunehmend selbst so; sogar junge mit vergleichsweise wenigen Erfahrungen innerhalb von Zweierbeziehungen wollten diese nicht mehr. Und neben dem Umstand, dass sie zur sozialen und wirtschaftlichen Absicherung oder zur Fortpflanzung nicht mehr nötig sind, gibt es in der Tat viele gute Gründe, sich gegen einen Mann zu entscheiden und damit für eine Menge anderes.
Denn das mit der Liebe für immer klappt erwiesenermaßen eher selten. Und es liegt wohl im Wissen darum wie ja sowieso im Wesen der romantischen Liebe, sich dermaßen in sie oder in die Hoffnung auf sie zu verstricken, dass die übrige Welt bedrückend klein geraten kann. Da sie sich nicht ständig auf ein männliches Gegenüber und die gelingend-misslingende Zweisamkeit mit ihm fixiere, könne die alleinstehende Frau ihre Aufmerksamkeit und Zuneigung weiter und großzügiger streuen, mehr wahrnehmen als die "quiekende Warum-ruft-er-nicht-an-Nudel", findet Kullmann. Sie verweist aber auch auf "die atemberaubende Illoyalität" der Männer, von der so viele Frauen berichteten. Dazu zählt sie die unbestreitbare physische Gewalt in Beziehungen. Sie erwähnt aber auch Betrug, "Eifersucht", "Kontrolle" oder sonstige "Psychospielchen" - und hier stellt sich die Frage, ob "Spielchen" dieser Art wirklich vor allem Männer treiben oder sie nicht vielmehr im Spiel der romantischen Zweierbeziehung angelegt sind und häufig beidseitig brillant beherrscht werden.
Klarer geschlechtsspezifisch ist die nachhaltig ungerechte Verteilung dessen, was auch Kullmann als "Sorge-" oder "Emotionsarbeit" bezeichnet. Sie schreibt von einer in ihren Beziehungen erlebten alleinigen kommunikativen Zuständigkeit: "Den Kehricht" - von Konflikten - "zusammenfegen, Aussprachen anregen, wieder alles in Ordnung bringen". Und sie macht etwas geltend, was wohl auch ohne Statistik weithin glaubhaft ist: wie verschlingend die Einsamkeit zu zweit sein kann. Der triftigste Satz ihres Buchs ist vielleicht: "Erst seit ich nicht mehr Teil eines Paares bin, gab es kaum noch einen Tag, an dem ich mich alleingelassen fühlte."
Kullmann schildert ihr Leben als ein erfülltes, ohne Vokabeln zu beschwören wie "Selbstliebe" und "Selbstfürsorge" oder das, was damit eben unentwegt beschworen wird. Sie schließt trotzdem nicht vollkommen aus, noch einmal mit jemandem zusammenzukommen. Was sie aber ausschließt, ist, das in den Mittelpunkt ihres Daseins zu stellen. Ihr Schritt von "den" konkreten Männern - die anscheinend alle nicht jünger sind als sie; man kann hoffen, die nächste Männergeneration ist affektiv umsichtiger - zu "dem" Patriarchat (und umgekehrt) fällt mitunter zu kurz aus. Doch ihr feiner Blick auf die Singuläre Frau als "entscheidende Pionierin des 20. und vielversprechende Protagonistin des 21. Jahrhunderts" ist unbedingt hilfreich. Auch dafür, dass womöglich alle am "Hetero-Drama" Beteiligten die alleinstehende Frau in sich entdecken, was entdramatisierend wirken könnte, selbst wenn das Spiel noch läuft. Und um zu begreifen, dass die Zweierliebe - egal, ob von innen oder außen betrachtet - weder das Einzige sein muss, was zählt, noch das Wichtigste. Sie ist in jedem Fall weniger singulär, als man lange dachte.
NOVINA GÖHLSDORF
Katja Kullmann: "Die Singuläre Frau". Hanser Berlin, 336 Seiten
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