Naomi hat Schlimmes erlebt und auch nach ihrer Flucht aus dem Frankfurt des zweiten Weltkrieges nach New York wird sie ihr Trauma nicht los. Alan, der im selben Mietshaus wohnt, soll sich ein wenig um die Zwölfjährige kümmern. Das gefällt ihm gar nicht, denn in seinem Alter ist es peinlich, sich mit Mädchen abzugeben. Noch dazu ist Naomi in seinen Augen doch nicht ganz normal. Andererseits er weiß, dass sie gesehen hat, wie ihr Vater getötet worden ist und kann verstehen, dass das nicht ohne Folgen sein kann.
Das Buch ist bereits 1977 erschienen und in dieser Zeit muss ich es auch zum ersten Mal gelesen haben. Ich liebte damals die Taschenbuchreihe des dtv Verlages (dtv junior pocket), die Jugendbücher mit schwergewichtigen Themen herausbrachte. Gut 45 Jahre später finde ich die Geschichte noch immer bewegend und obwohl es sich um Geschehnisse aus der Zeit des zweiten Weltkrieges handelt, ist alles nach wie vor einfach nur top-aktuell.
Die Geschichte ist in der Ich-Form aus Sicht von Alan geschrieben. Er erzählt davon, wie er seine Kindheit empfindet und wie ungerecht er es fand, dass er sich um Naomi kümmern sollte, aber auch davon, dass er irgendwann sogar gern dieser Aufgabe nachging. Seine Gefühle sind ehrlich und rein, aber er ist eben ein Junge in dem Alter, in dem Mädchen doof sind und es zu Sticheleien kommt, wenn man sich da mit ihnen abgibt. Also hält er es geheim. Dass genau das im Grunde den Anstoß zu einem Drama gibt, hätte vermutlich nicht mal ein Erwachsener erahnen können.
Das einander Annähern ist sehr schön beschrieben, man kann sich sehr gut hineinversetzen und die Entwicklung nachvollziehen. Auch das Einstürzen des zarten Glashauses, die Folgen, die Machtlosigkeit, das Verlustgefühl, für mich alles nachvollziehbar. Und nach wie vor gültig, nicht angestaubt, nicht veraltet, immer noch gültig. Genau das macht Angst.
Jeremias Koschorz hat das Hörbuch mit ganz viel Gefühl für die Situationen eingesprochen und die Figuren lebendig werden lassen. Fünf Sterne!