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Die Tagesordnung

MP3 Format, Lesung. Ungekürzte Ausgabe

(1 Bewertung)15
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Hörbuch CD
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20. Februar 1933: Auf Einladung des Reichstagspräsidenten Hermann Göring finden sich 24 hochrangige Vertreter der Industrie zu einem Treffen mit Adolf Hitler ein, um über mögliche Unterstützungen für die nationalsozialistische Politik zu beraten: Krupp, Opel, BASF, Bayer, Siemens, Allianz - kaum ein Name von Rang und Würden fehlt an den glamourösen runden Tischen der Vermählung von Geld und Politik. So beginnt der Lauf einer Geschichte, die Vuillard fünf Jahre später in die Annexion Österreichs münden lässt. Bild- und wortgewaltig führt er den Leser in die Hinterzimmern der Macht, wo in erschreckender Beiläufigkeit Geschichte geschrieben wird. Dabei erzählt er eine andere Geschichte als die uns bekannte, er zeigt den Panzerstau an der deutschen Grenze zu Österreich, er entlarvt Schuschniggs kleinliches Festhalten an der Macht, Hitlers abgründige Unberechenbarkeit und Chamberlains gleichgültige Schwäche. Mit der ihm eigenen virtuosen Eindringlichkeit und satirischem Biss seziert Vuillard die Mechanismen des Aufstiegs der Nationalsozialisten und macht deutlich: Die Deals, die an den runden Tischen der Welt geschlossen werden, sind faul, unser Verständnis von Geschichte beruht auf Propagandabildern. Indem Éric Vuillard diese Bilder zerlegt und neu zusammenfügt, erzählt er eine überfällige Geschichte, für die er den wichtigsten französischen Literaturpreis erhielt.

Produktdetails

Erscheinungsdatum
07. April 2018
Sprache
deutsch
Laufzeit
177 Minuten
Autor/Autorin
Éric Vuillard, Michael Rotschopf
Übersetzung
Nicola Denis
Sprecher/Sprecherin
Michael Rotschopf
Verlag/Hersteller
Produktart
MP3
Audioinhalt
Hörbuch
Gewicht
70 g
Größe (L/B/H)
144/143/7 mm
GTIN
9783940018502

Portrait

Éric Vuillard

Vuillard, Éric

Éric Vuillard, 1968 in Lyon geboren, ist Schriftsteller und Regisseur. Für seine Bücher, in denen er große Momente der Geschichte neu erzählt und damit ein eigenes Genre begründet, wurde er u. a. mit dem Prix de l'Inaperçu und dem Franz-Hessel-Preis ausgezeichnet. 2017 bekam er für Die Tagesordnung den renommierten Prix Goncourt.

Denis, Nicola

Nicola Denis, 1972 geboren, arbeitet als freie Übersetzerin im Westen Frankreichs. Sie wurde mit einer Arbeit zur Übersetzungsgeschichte promoviert. Von Éric Vuillard übersetzte sie bereits Die Traurigkeit der Erde, Kongo und Ballade vom Abendland.

Rotschopf, Michael

Michael Rotschopf, 1969 in der österreichischen Stadt Lienz geboren, studierte Schauspiel am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Bereits während seiner Ausbildung begann er am Wiener Burgtheater zu spielen und gehörte dem Ensemble fünf Jahre an. Zuletzt stand er beim Berliner Ensemble, den Salzburger Festspielen und der Berliner Staatsoper auf der Bühne. Neben seinen Theaterengagements spielt er in vielen Film- und Fernsehproduktionen. Als Schauspieler wirkt er in vielen Hörbuch- und Hörspielproduktionen mit.

Pressestimmen

Besprechung vom 22.04.2018

Der große Bluff
Der französische Schriftsteller Éric Vuillard fragt in der "Tagesordnung", wie die Nationalsozialisten so schnell so groß werden konnten: mit ungeheurer Frechheit und mit denen, die diese Frechheit billigten

Am 6. November 2017 gewann der französische Schriftsteller Éric Vuillard für seinen Roman "Die Tagesordnung" den in Frankreich wichtigsten Literaturpreis: den Prix Goncourt. Der Roman, so konnte man es in der französischen Presse lesen, handele vom "Anschluss" Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland und vom Aufstieg Hitlers. Man erfuhr auch, dass der andere wichtige Literaturpreis, der Prix Renaudot, an den Autor Olivier Guez für "La disparition de Josef Mengele" ging, ein Buch über das Abtauchen des SS-Arztes in Südamerika. Und das kam einem erst mal komisch vor. Was war da in Frankreich los? Gleich zwei Bücher über die Nazis räumten die wichtigsten Preise ab? War das ein Zufall oder ein Sujet, das gerade besonders gut ankam?

Stellt man Éric Vuillard, der in diesen Wochen in Deutschland auf Lesereise ist, diese Frage, sagt er: "Ich habe kein Buch über die Nazis geschrieben." Er habe ein Buch über das Aufkeimen der Katastrophe geschrieben, über die ersten Anzeichen dessen, was in den Zweiten Weltkrieg münden sollte und in die Schoa. Das sei etwas völlig anderes. Es ginge nicht um das Sujet, sondern um das Aufspüren von Momenten, die auf den ersten Blick unerheblich scheinen, alles andere als besonders; Augenblicke, die weit davon entfernt seien, als Momente großer Geschichte wahrgenommen zu werden, an denen sich aber so viel ablesen lasse. Vor allem auch deshalb, weil es Momente seien, die Spuren in der Welt hinterlassen haben, in der wir heute leben.

Das klingt nach einem großen Geschichtsbuch, überhaupt klingt es zunächst gar nicht so sehr nach Literatur, sondern nach einem Projekt, das, sagen wir, mit 900 Seiten Herfried Münkler konkurrieren könnte. "Die Tagesordnung" aber hat 118 Seiten, mehr nicht. Und das Unglaubliche an diesem Buch, das auf den ersten Blick klein erscheint, angenehm klein sogar, wer will schon immer Tausendseiter lesen, ist, dass es uns das verhängnisvolle Versagen Einzelner so scharfsinnig und poetisch vor Augen führt, dass es einen nicht nur trifft, sondern die Politik einer Schwellensituation begreifen lässt.

Vuillard beginnt am 20. Februar 1933. Auf Einladung des Reichstagspräsidenten Hermann Göring finden sich 24 Großindustrielle zu einem Treffen mit Adolf Hitler ein, der gerade Kanzler geworden ist, darunter Gustav Krupp, Albert Vögler, Günther Quandt, Friedrich Flick, Ernst Tengelmann. Alles Männer, die, wie Vuillard es beschreibt, erleichtert sind, als Hitler zur Tür hereinkommt, lächelt und "viel liebenswürdiger wirkt als gedacht". Eine halbe Stunde lang hält er eine Rede. Es gelte, mit einem schwachen Regime Schluss zu machen, die kommunistische Bedrohung abzuwehren, die Gewerkschaften abzuschaffen und jedem Chef zu erlauben, in seinem Unternehmen ein Führer zu sein. Dann ist er beim Wahlkampf, für den Geld benötigt werde; ein Stichwort, bei dem der zukünftige Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht "Und nun, meine Herren, an die Kasse!" ruft. Woraufhin die Mehrheit der Gäste umgehend etliche hunderttausend Reichsmark zahlt, Krupp sogar eine Million, Georg von Schnitzler vierhunderttausend, "ein hübsches Sümmchen kommt zusammen".

Zahlungsaufforderungen sind für diese Männer, die mit Bestechungs- und Schmiergeldern bestens vertraut sind, nichts Neues. Und so könnte man, schreibt Vuillard, dieses Treffen vom 20. Februar als eine "alltägliche Episode des Geschäftslebens" betrachten, als ein "banales Fundraising". Doch ist es sehr viel mehr als das. Vuillard sieht in dem ungeheueren Zugeständnis an die Nazis einen einmaligen Moment der Arbeitgebergeschichte mit "Ewigkeitsgehalt": Die Männer, die hier tief in die Tasche greifen, werden das im Entstehen begriffene Regime alle überleben und in Zukunft mit ihren Erträgen noch weitere Parteien finanzieren. Und sie sind bis heute unter uns: "Sie sind unsere Autos, unsere Waschmaschinen, unser Reinigungsmittel, unsere Radiowecker, unsere Hausversicherung und die Batterie in unserer Uhr. Sie sind überall, in Gestalt von Dingen."

Was Éric Vuillard an der Zusammenkunft der Industriebosse mit Hitler interessiert, ist eine "politique de complaisance", eine "Politik der Gefälligkeit" und der Billigung, die die Macht der Nationalsozialisten zementiert. In der "Tagesordnung" hat er sich auf die Suche nach strukturell ähnlichen Momenten gemacht, die er aus historischen Quellen, überlieferten Texten, Filmen und Fotografien rekonstruiert und neu erzählt. An vielen Stellen blitzt dabei Humor auf, und natürlich spielt auch das Anekdotische eine Rolle. Es wäre jedoch falsch, die Anekdote bei Vuillard insgesamt zu überschätzen. Denn wenn man genau hinsieht, erzählt er an der Anekdote vorbei, um unsere Aufmerksamkeit auf Ähnlichkeiten von Konstellationen und Machtmechanismen zu lenken und uns anzuhalten, uns mit diesen in Beziehung zu setzen: "La méthode Vuillard" wird diese Erzähltechnik bereits in Frankreich genannt. Man stellt sich den Autor in unendlichen Stunden in der Bibliothèque Nationale vor, sieht ihn vor sich, wie er immer neue Bücher und Quellen bestellt - um schließlich mit einer ganz kleinen, präzise ausgewählten Menge an Material zum Schreiben nach Hause zu gehen. Darin besteht seine Kunst.

Und so befinden wir uns ein paar Seiten weiter, am 12. März 1938, bei einem Empfang in London in der Downing Street. Der britische Premierminister Chamberlain hat Ribbentrop, den Botschafter des Deutschen Reichs, zu einem Abschiedsessen eingeladen, da Ribbentrop soeben zum Außenminister befördert worden ist. Als das Essen in vollem Gang ist, lässt sich, wie Chamberlain in seinen Memoiren schreibt, ein Gesandter des Foreign Office melden, der ihm eine Mitteilung überbringt. Chamberlain sieht sich diese mit besorgter Miene an, Churchill, der bei dem Essen dabei ist, registriert dies. Ribbentrop aber plaudert immer weiter.

Der britische Staatschef hat die Nachricht erhalten, dass die deutschen Truppen in Österreich einmarschiert sind, aber er unternimmt nichts. Keiner handelt. Sie stehen nicht einmal auf, ganz so, als könnte man den Ehrengast nicht einfach vor die Tür setzen, als müsse er schon selbst begreifen, dass es an der Zeit sei, den Salon zu verlassen und in seinen großen Hakenkreuz-Mercedes zu steigen. Er tut das aber nicht. Er weiß sehr wohl, was vor sich geht, hat aber nichts dagegen, dass Chamberlain und sein Mitarbeiterstab Zeit verlieren, er denkt gar nicht daran, zu gehen. Eine "noch vor der Staatsräson rangierende Höflichkeit" attestiert Vuillard den Briten hier, einen Verzicht auf Handlung und Gegenwehr aus Gründen der Gefälligkeit. Genau das ist es, was ihn interessiert.

Und es ist, wenn er den Blick auf die Nationalsozialisten richtet, darüber hinaus der große "Bluff": "Was an diesem Krieg verblüfft", heißt es an einer Stelle, "ist der ungeheure Erfolg der Frechheit, der uns eines lehren sollte: Die Welt gehorcht dem Bluff. Selbst die seriöseste, steifste Welt, selbst die alte Ordnung, die sich niemals dem Anspruch der Gerechtigkeit beugt oder vor dem aufständischen Volk einknickt: Sie tut es vor dem Bluff." Regisseur des großen Bluffs ist Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels, der ihn in Wochenschauen und Filmen inszeniert und - da wendet sich Vuillard an uns - unsere Vorstellung von den Ereignissen bis heute prägt. "Alles, was wir denken, entspringt diesem homogenen Folienhintergrund", sagt Éric Vuillard. Was, wie sich herausstellt, weder eine leere Behauptung noch übertrieben ist.

Denn wer Bilder etwa vom 15. März 1938 abruft, als Hitler nach dem "Anschluss" Österreichs auf dem Heldenplatz auftritt, ist sofort bei Wochenschaubildern: Die jubelnde Menge, "ausgelassene, blond bezopfte Backfische aus Fleisch und Blut, und das kleine Pärchen, das lächelnd mitbrüllt - ach, all diese lächelnden Gesichter! Diese Gesten! Die Wimpel, die im Zugwind der Wagenkolonne flattern", schreibt Vuillard. Man hat die Szene und die bekannten Bilder gleich vor Augen - und wird sich klar darüber, dass es Wochenschaubilder sind, die man im Gedächtnis abgespeichert hat. Nazi-Bilder. Dass sie es sind, die sich im kollektiven Gedächtnis eingebrannt haben.

Éric Vuillards besondere Lust besteht nun darin, uns klarzumachen, inwiefern genau diese Bilder nur zu kleinen Teilen etwas mit der Realität zu tun haben, die wir zu kennen glauben: Der "Anschluss" erscheint in ihnen als grandioser Erfolg. Die Nazi-Militanten aber wurden aus ganz Österreich herbeigekarrt, Gegner und Juden inhaftiert. Eine bereinigte Menge, deren Jubel den Bildern nachträglich mit Hilfe der sogenannten Overdub-Technik unterlegt wurde. Und da ist noch etwas anderes. Die deutsche Armee hatte sich gerade als ein Konglomerat aus hohlem Blech erwiesen: Der "Hindenburg" getaufte Zeppelin war vor seiner Landung in New Jersey explodiert; Hitler hatte ohne jede Erfahrung die Macht über das Oberste Heereskommando übernommen, und beim "Einmarsch in Österreich" hatte es eine gigantische Motorenpanne auf den österreichischen Bundesstraßen gegeben (eine komplette Riege von Panzern war am Straßenrand liegengeblieben). Die Bilder der Wochenschauen aber vermitteln den Eindruck einer unbarmherzigen Maschine.

So ist es das Spannungsfeld zwischen einer Politik der Billigung und dem großen inszenierten Bluff, mit der Vuillard es schafft, Geschichte neu zu erzählen und zugleich zu analysieren. Für unsere Gegenwart hält er am Ende noch eine bittere Pointe bereit in diesem klein daherkommenden Buch, das tatsächlich groß ist und in dem man, während man es liest, nicht aufhört zu staunen.

JULIA ENCKE

Éric Vuillard: "Die Tagesordnung". Aus dem Französischen von Nicola Denis. Verlag Matthes & Seitz, 120 Seiten

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.

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