Besprechung vom 06.11.2023
Getäuschte Täuscher
Krimis in Kürze: Brunow, Pflüger und Juretzka
Es wird wohl niemand behaupten wollen, man könne sich auf dem Markt für neue Kriminalromane vor Qualität kaum retten. Hier dominiert unangefochten das Mittelmaß, da sind viel zu viele, zu lang geratene und zu wenig lektorierte Titel. Umso erstaunlicher ist es deshalb, dass ein renommierter Drehbuchautor für Film und Fernsehen nur Absagen erhält und sein Krimidebüt als Book-on-Demand publiziert, weil er keine Lust hat, weiter Klinken zu putzen.
Jochen Brunows "Verdeckte Spuren" (BoD, 330 S., br., 15,90 Euro) ist der Auftakt einer Trilogie, die zwischen Berlin und Sardinien pendelt. Verstecken muss der Roman sich nicht vor der Konkurrenz. Im Gegenteil. Das Genre neu erfunden hat Brunow natürlich nicht, aber die Erfahrung des Drehbuchautors ist jederzeit zu spüren: in der Struktur des Buches, in der Abfolge der Szenen, die ökonomisch geschrieben und gut verfugt sind.
Auch die Hauptfigur, der pensionierte und verwitwete Kriminalrat Beckmann, der sich in sein Haus auf Sardinien zurückgezogen hat, ist plausibel gezeichnet und nicht einer dieser Ermittler, denen Spleens und irre Hobbys angedichtet werden, um sie halbwegs interessant erscheinen zu lassen. Als ein junger, ehrgeiziger und vielleicht etwas zu überspannter Journalist Beckmann aufsucht wegen eines alten Falls, wird es dann gefährlich. Viel mehr soll an dieser Stelle gar nicht verraten sein über den Plot - außer dass er präzise konstruiert ist und funktioniert wie ein Uhrwerk.
Auch Andreas Pflüger ist ein erfahrener Drehbuchautor, der allerdings schon einige Romane veröffentlicht hat. Er weiß, wie man Szenen entwickelt und dass im Kino wie im Roman die Auflösung und die Übergänge stimmen müssen, weil sonst weder Fluss noch Rhythmus entstehen. Pflüger hat in "Richie Girl" bewiesen, dass er das sehr gut beherrscht. "Wie Sterben geht" (Suhrkamp, 448 S., geb., 25,- Euro) hält dieses Niveau. Der Spionagethriller aus dem Kalten Krieg verschränkt geschickt Fakten und Fiktion, er ist, wenn man so will, in seiner ganzen Erzählweise eher Kino als braves Fernsehspiel.
Die Protagonistin Nina Winter wird Ende der Siebzigerjahre aus Pullach nach Moskau entsandt, um eine wichtige Quelle namens "Pilger" aus dem Innern des KGB zu führen. Für die junge BND-Agentin und studierte Slawistin ist dieser Auftrag so etwas wie ein lebensgefährlicher Bildungsroman. Die Geschichte ist gut recherchiert, es wirkt, als sei Pflüger im Moskau jener Jahre ein- und ausgegangen wie seine Hauptfigur, so anschaulich schildert er die traditionsreiche und dann doch so graue, aufs Monumentale fixierte Sowjethauptstadt, leuchtet in deren verschiedene Milieus und lässt auf diese Weise immer wieder auch die Risse und die Sklerose des Systems sichtbar werden.
Der Plot ist komplex, wie es der Welt der Dienste angemessen ist: ein fintenreiches Spiel der getäuschten Täuscher, in dem es überlebenswichtig ist, die nächsten zwei, drei Züge des Gegners zu antizipieren, wie beim Schach, aber auch beim Boxen. Weil Pflüger bildhaft und pointiert schreiben kann und sich auf Dramatik versteht, darf es auch eine große Liebesgeschichte geben wie in dem Film "Das Rußland-Haus", und es ist bei diesem Format sehr einleuchtend, dass gleich zu Beginn die Glienicker Brücke in die Luft gesprengt wird. Man liest das atemlos und bedauert es, wenn das Buch zu Ende ist. Mehr kann man nicht erwarten von einem Thriller.
Jörg Juretzka hat auch ein paar Drehbücher geschrieben. Aber vor allem ist er gelernter Tischler und Zimmermann. Er weiß, wie man baut. Und er hat Kristof Kryszinski erfunden, der uns nun schon zum fünfzehnten Mal begegnet. In "Nomade 2. Der weiße Vogel" (Rotbuch, 304 S., geb., 22,- Euro) hat er ihn in die Wüste geschickt. Das ist kein Schaden. Für trockene Sprüche ist die Sahara ein idealer Ort. Und natürlich wird Kryszinski widerwillig auch jetzt wieder eingreifen, wenn die weibliche Punkband Las Surfsistadoras auf den verrückten Gedanken kommt, in einem nuklear verstrahlten Geisterdorf ein Musikvideo zu drehen, und dann plötzlich verschwunden ist. Auch dieser Roman hat den Hang zum leicht durchgeknallten Plot, den man an Juretzka seit Jahren schätzt, und überzeugt durch seine Lakonie. PETER KÖRTE
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