Besprechung vom 25.04.2020
Verstörend und betörend
James Baldwins Roman "Giovannis Zimmer"
Als der junge James Baldwin 1948 aus Brooklyn nach Paris ging, tat er es nicht aus romantischer Nachkriegssehnsucht nach einem Künstlerleben im alten Europa, wie sie exemplarisch drei Jahre später in Vincente Minnellis Filmmusical "Ein Amerikaner in Paris" porträtiert werden sollte. Für Baldwin war es eine existentielle Entscheidung: Er wurde dort überhaupt erst zum Künstler, zu einem Romancier, der alles andere sein wollte als romantisch. Auch in Frankreich blieb er Außenseiter: als Schwarzer und als Schwuler, vor allem aber als einer, der sich den diesen Gruppen entgegengebrachten Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft nicht beugte.
1956, drei Jahre nach dem vielbeachteten Debüt "Go Tell It to the Mountains", das in Miriam Mandelkows kürzlich erschienener Neuübersetzung "Von dieser Welt" heißt (F.A.Z. vom 21. Februar 2019), erschien Baldwins zweiter Roman: "Giovannis Zimmer", den Mandelkow fast sechzig Jahre nach der ersten deutschen Ausgabe nun ebenfalls neu übersetzt hat. Bei Erscheinen machte das Buch in Amerika anders Skandal, als Baldwin es erwartet hatte: Man verübelte ihm, dass er einen weißen Ich-Erzähler unter anderen Weißen in Paris auftreten ließ und somit das eigene schwarze amerikanische Milieu verließ. In Europa dagegen eckte "Giovannis Zimmer" wie vom Autor befürchtet durch die homosexuellen Liebesszenen an. Der Ich-Erzähler David, ein junger Amerikaner in Paris, eigentlich liiert mit seiner Landsmännin Hella, verliebt sich in den Barkeeper Giovanni, kann sich aber nicht für ihn entscheiden. Giovanni wird er damit zu einem Mord und in den Tod unterm Fallbeil treiben, sich und Hella ins private Unglück.
Was die Lektüre heute noch brisant macht, ist weniger die sexuelle Neigung von David als die Intensität seiner unentschiedenen Verzweiflung. Baldwin hat damit auch ein exemplarisches Beispiel für den das intellektuelle Paris jener Jahre dominierenden Existentialismus gegeben. Aber Mandelkows Sprache wird dem nicht gerecht. Nur ein Beispiel: Aus dem ziemlich zu Beginn stehenden Satz "This is the lie which I told to Giovanni, but never succeeded in making him believe, that I had never slept with a boy before" macht sie "Die Lüge - die ich Giovanni erzählt, doch nie habe glauben machen können -, ich hätte noch nie zuvor mit einem Mann geschlafen". Warum der Verzicht aufs verstärkende this, warum die ausgestellte Apposition, warum "Mann" für boy? Baldwins Prosarhythmus und Wortwahl werden verfälscht.
Dem Rang des Romans nimmt das nichts. Hella kommentiert Davids Zerrissenheit so: "Was nützt ein Amerikaner, der nicht glücklich ist? Wir haben doch nur das Glück." Wir haben Baldwins Bücher.
ANDREAS PLATTHAUS.
James Baldwin: "Giovannis Zimmer". Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Miriam Mandelkow. Dtv, München 2020. 208 S., geb.
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.