Anna Enquist schreibt über Musik, mit Musik und um Musik herum . Sie setzt Musik und Leben gleich. Sie betreit Trauerverarbeitung mit Musik.Die Protagonistin, einfach nur "Frau" genannt, ist Pianistin und wagt sich an das Bachsche Wahnsinnswerk "Die Goldberg-Vatiationen". Eine Aria, einfach in Gestalt, dreißig Variationen, und anschließend noch einmal die Aria. Sie versucht auf diese Weise die Erinnerung an ihre verstorbene Tochter zu erhalten. Es ist schlimm, einen geliebten Menschen zu verlieren, noch schlimmer ist die immer weiter verblassende Erinnerung. Jeder verstreichende Tag führt sie weiter weg von ihrem Kind. Anhand der 30 Variationen, die in ihrem Auftreten und ihrer Wesensart alle unterschiedlich sind, erarbeitet sie sich eine Collage an Erinnerungen an ihre Tochter. Das Baby, das kleine Mädchen, der Teenager und die junge Erwachsene - bis zu ihrem Unfalltod. Eine Beziehung von ganz eng und ganz nah über das schrittweise Loslassen hin zu der erwachsenen Tochter, die ihr eigenes Leben lebt. Und trotzdem immer liebende Nähe.Das Licht der Klavierlampe bildete ein schützendes Rund, das Partitur, Klaviatur und Hände umschloss ...Hier vergräbt sich die Frau, studiert die technisch immens schweren Variationen und erinnert sich. Die Welt außerhalb ihres schützenden Runds ist für sie voll Angst, voll von HEUTE, das ihr die Erinnerungen zu nehmen versucht.Der Leser bekommt nicht nur diese wunderbaren literarischen Zeichnungen dieses Kindes, die Frau beschäftigt sich außerdem mit Bach und seinem Leben sowie musiktheoretischen und klaviertechnischen Fragestellungen. Nicht aber in unverständlichem Kauderwelsch, sondern in schönen verständlichen Sätzen, die die Neugierde auf die Musik erwecken. Man beschäftigt sich mit Bachs Komposition aus einem völlig anderen Blickwinkel heraus, so subjektiv und doch so allumfassend.Jedes Kapitel beignnt mit ein paar Takten Notenzeilen, jede Variation wird so skizziert. Und wenn man sich zum Lesen noch die Musik anhört, dann hat man ein ganz wundervolles Gesamtkunstwerk von Musik und Literatur. Ein zutiefst berührendes Buch.Als ich über die Autorin nachlas, habe ich herausgefunden, dass sie mit diesem Buch wirklich den Unfalltod ihrer Tochter verarbeitet hat. Ich kann es kaum mehr zur Hand nehmen, ohne dass mir die Tränen kommen. Geschweige denn Bach hören.