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Möge der Tigris um dich weinen

Roman

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Taschenbuch
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Im heutigen ländlichen Irak, an den Ufern des Tigris, überschreitet ein junges Mädchen das absolute Verbot: noch vor der Verlobung lässt sich auf eine Liebesaffäre mit ihrem Geliebten ein. Der junge Mann stirbt unter Bomben, das Mädchen ist schwanger: Damit ist ihr Schicksal besiegelt und lässt sich nicht mehr aufhalten.Während die unerbittliche Mechanik der Konventionen in Gang gesetzt wird, entfalten sich die Familienmitglieder zu einem Reigen stummer Schatten unter dem schützenden Blick von Gilgamesch, dem mesopotamischen Helden, der das Gedächtnis des Landes und der Menschen in sich trägt. Aber niemand gelingt es, sich gegen die Traditionen und das unausweichliche Schicksal zu erheben.Inspiriert von den komplexen Realitäten des Irak, den sie aufgrund ihrer Arbeit als Fotografin sehr gut kennt, lässt Emilienne Malfatto die Leser*innen auf subtile Weise in eine geschlossene Gesellschaft eindringen, die von männlicher Autorität und dem Ehrenkodex regiert wird.

Produktdetails

Erscheinungsdatum
27. Februar 2023
Sprache
deutsch
Seitenanzahl
96
Reihe
frauen bewegt
Autor/Autorin
Emilienne Malfatto
Übersetzung
Astrid Bührle-Gallet
Verlag/Hersteller
Originalsprache
französisch
Produktart
kartoniert
Gewicht
156 g
Größe (L/B/H)
204/131/12 mm
ISBN
9783949545306

Portrait

Emilienne Malfatto

Emilienne Malfatto, geb. 1989, ist eine preisgekrönte Fotografin, Journalistin und Autorin. Sie studierte in Frankreich und Kolumbien und machte ihren Abschluss an der Journalisten- schule von Sciences Po Paris. Anschließend ging sie zur AFP, zunächst in Frankreich, dann im Nahen Osten. Sie arbeitet als freie Journalistin und Fotografin, hauptsächlich im Irak, aber auch in Lateinamerika und Frankreich. Ihre Fotos wurden u. a. in der New York Times, der Washington Post und Le Monde veröffentlicht und international ausgestellt. »Möge der Tigris um dich weinen« ist ihr erster Roman. Er wurde mit dem Prix Goncourt du Premier Roman 2021 ausgezeichnet.

Pressestimmen

»Die Magie der Literatur ermöglicht es, auf knapp 100 Seiten die ganze Komplexität eines Landes zu erzählen, seine patriarchalische Kultur zu beschreiben, acht Personen zu porträtieren und sogar einen Fluss, den Tigris, zu Wort kommen zu lassen. ( ) Emilienne Malfatto gelingt es aufgrund ihrer Erzählkunst und ihres Schreibstils wunderschön, Lyrik und Intensität miteinander zu verbinden.« Le Figaro

Besprechung vom 11.07.2023

Der Fluss als stiller Zeuge der Tragödie
Emilienne Malfattos Irak-Roman "Möge der Tigris um dich weinen"

Auf den ersten Blick ist es direktes Loserzählen in den Untergang: Am Ende des Tages wartet der Tod. Die erhabene Einfachheit eines Westerns oder einer griechischen Tragödie wird allerdings in den Irak der Gegenwart übertragen, und die Todgeweihte ist eine junge Frau, die unehelich schwanger geworden ist. So verschiebt Emilienne Malfatto in "Möge der Tigris um dich weinen" die Gewichte hin zum Familienroman - zwangsweise, denn die Einzelne existiert in dieser Gesellschaft nur als Teil des Kollektivs.

Die 1989 Geborene baut ihren Kurzroman um die verzweifelte Ich-Erzählung der namenlosen Schwangeren auf, deren Leben seit Langem ein Gefängnis ist. In Einschüben kommen Mitglieder ihrer Familie zu Wort, die aus Bagdads Vororten in die ländliche Misere geflüchtet ist: Amir, der Bruder, der seinen verstorbenen Vater als Familienoberhaupt autoritär, ja gewalttätig vertritt; Baneen, Amirs unterwürfige Frau; Mohammed, der mittlerweile durch eine Bombe getötete Geliebte, der den Liebesbeweis mehr genommen als erhalten hat; Ali, der tolerante zweite Bruder, feiger Vertreter einer schweigenden Mehrheit; die verwitwete und erloschene Mutter; schließlich die kleine Schwester Layla, die den Namen der Verfemten nie wieder wird aussprechen dürfen.

Malfatto weitet die Perspektive geographisch und historisch: Sie schaltet kurze Passagen dazwischen, Auszüge aus dem Gilgamesch-Epos beziehungsweise Wortmeldungen des Stromes Tigris ("der stille Zeuge der Schwüre und der Tragödien, die sich an meinen Ufern abspielen"). Sein Fließen durchs Land wird ebenso evoziert wie die Entwicklung des Iraks seit Beginn der Geschichtsschreibung. So gelingt es Malfatto, auf knapp neunzig Seiten ein sowohl erzählerisch wuchtiges als auch vielstimmiges Werk zu schaffen, das geschickt zwischen Nahsicht und Panoramablick changiert.

Die Komplexität des Aufbaus dient einer entschiedenen Sicht der Dinge. Die Erzählinstanz blickt von übergeordneter Warte auf die Figuren, kündigt an, was sie sogleich tun werden, was sie in Wahrheit denken und fühlen, wie sie zu bewerten sind. So sagt die brave Baneen von sich: "Ich bin sanft und unterwürfig, ich behalte im Haus vor meinen Schwägern den Schleier an, bin eine Ehefrau, wie es sich gehört. Ich lache nicht zu laut und spreche nicht zu viel. Eine achtbare Frau." Konklusion: "Ich bin vielleicht die Glücklichste von allen." Zum feigen Bruder heißt es unumwunden: "Ich bin farblos, in Regeln gefangen, die ich verurteile, und zutiefst betrübt, ein Dreckskerl zu sein."

Auf Grundlage klarer Wertvorstellungen werden im Roman ebenso klare Urteile über die Protagonisten einer traditionalistisch-patriarchalen Gesellschaft gefällt, die Frauen gering schätzt. Was auf den ersten Blick etwas simpel und plakativ wirkt, entwickelt durch die Hineinnahme des Kontextes - eines vom Krieg zerrütteten Iraks - tiefere Plausibilität: "Wir töten, wir werden getötet. Wir sind ein Land von Opfern und Mördern." Auch gewinnt der Roman durch das Wechselspiel der Stimmen sowie die Ausrichtung auf den drohenden Lynchmord hin einen unbestreitbaren Sog. Das Ende wiederum bewahrt einen ebenso unerwarteten wie reizvollen Rest Offenheit.

Die Verfasserin dieses Werks ist von Beruf Journalistin und Fotografin - eine hervorragende, wenn man das Umschlagfoto betrachtet; sie veröffentlicht in der internationalen Tagespresse, von "Le Monde" bis zur "New York Times". Ihr nun übersetzter Romanerstling, der 2021 den Prix Goncourt du premier roman erhalten hat, basiert auf Recherchen: Seit 2014 war Emilienne Malfatto immer wieder im Irak, ob für die Nachrichtenagentur AFP oder als unabhängige Journalistin. Das Gerüst an Fakten und Erfahrung, das sie sich dort erworben hat, ahnt der Leser im Hintergrund: Es sorgt dafür, dass "Möge der Tigris um dich weinen" seine Balance erfolgreich hält. NIKLAS BENDER

Emilienne Malfatto: "Möge der Tigris um dich weinen". Roman.

Aus dem

Französischen von

Astrid Bührle-Gallet. Orlanda, Berlin 2023. 92 S., br.

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.

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LovelyBooks-BewertungVon Claudia92 am 19.07.2024
Dieses sehr kurze Büchlein hat die emotionale Gewalt und den Ausdruck eines 500 Seiten Buches. Die Autorin beschriebt hier die letzten Stunden einer jungen Frau, die im Irak lebt. Sie hat den Fehler begangen, sich auf einen Mann einzulassen ohne mit ihm verheiratet zu sein. Er hatte es ihr versprochen, sobald er aus dem Krieg wiederkommt, wollen sie heiraten. Doch er stirbt und nun ist sie unverheiratet und schwanger, was in dieser Kultur die größte Schande der Familie darstellt. Der große Bruder, der die Rolle des Vaters eingenommen hat, nach dem dieser verstarb, hat nun die Aufgabe die Ehre der Familie zu retten. Dies endet also im Tot für die junge Frau und ihrem ungeborenen Kind. Die Autorin lässt die einzelnen Familienmitglieder sprechen und berichten, wie sie die Sache wahrnehmen und wie sie dazustehen, dass die Ehre gerettet wird. Auch der Fluss Tigris kommt zu Wort und berichtet von einem einst fruchtbaren und schönen Land, welches jetzt voll Blut ist. Die Geschichte ist sehr lyrisch geschrieben und intensiv. Uns wird gezeigt, dass die Frauen, wenn sie verheiratet sind nur im Haus sein dürfen, die Aufgaben dort erledigen, immer mit einem Schleier sich verdecken müssen und nie laut lachen und nur wenig reden dürfen. Sie soll für den Mann da sein und ihm gehorchen und Kinder bekommen, mehr braucht sie nicht im Leben. Und die Familienehre geht hier über alles. Es ist also besser eine tote Tochter zu haben, deren Erinnerungen ausgelöscht werden, als eine Tochter, die lebt und ein Kind zur Welt bringt, obwohl sie unverheiratet ist. 
Von LeserinLu am 09.06.2024

Eindringlich

Emilienne Malfattos Roman Möge der Tigris um dich weinen handelt von den tief verwurzelten patriarchalischen Strukturen des ländlichen Iraks. Auf wenigen Seiten werden sehr eindringlich und intensiv nicht nur die Tragik einer jungen Frau erzählt, sondern auch die stumme Resignation und das unbarmherzige Schicksal, dem sich alle Figuren in dieser abgeschlossenen, vom Krieg gezeichneten Gesellschaft beugen müssen. Ein junges Mädchen wird schwanger von einem Freund ihres älteren Bruders, obwohl sie nicht verheiratet sind. Was in liberalen Gesellschaften kein Problem wäre, bedeutet für sie im Irak den sicheren Tod. In der Zeit, in der sie auf die Ankunft ihres älteren Bruders, ihres Mörders, wartet, kommt nicht nur sie selbst zu Wort, sondern auch alle Familienmitglieder denken über ihre Rolle in diesem grausamen System nach. Daneben berichtet auch der Tigris vom Glanz vergangener Zeiten und vom Leid, das der Fluss nun mitansehen muss. Malfattos Schreibstil ist lyrisch und kraftvoll. Die Autorin und auch die deutsche Übersetzerin schaffen es schonungslos und doch voller Poesie hinter die Fassade der Familie zu schauen. Besonders beeindruckend fand ich dabei die Art und Weise, wie Malfatto es schafft, die stumme Resignation der Figuren und die unerbittliche Mechanik der Konventionen darzustellen. Damit ist der kurze Roman sicherlich keine leichte Lektüre, sondern emotional mitnehmend, aufgrund von Inhalt und Sprache aber eine absolute Empfehlung.