Mit dem Erscheinen der Blechtrommel 1959 gewann der deutsche Nachkriegsroman Anschluß an die Weltliteratur und Oskar der Trommler seinen festen Platz in der modernen Mythologie.
Vom Beginn des Jahrhunderts bis zu Adenauer
Mit dem Erscheinen der 'Blechtrommel' 1959 gewann der deutsche Nachkriegsroman Anschluß an die Weltliteratur und Oskar der Trommler seinen festen Platz in der modernen Mythologie.
Anfang der 50er Jahre trommelt und schreibt in einer Heil- und Pflegeanstalt ein Buckliger des Jahrgangs 1924 die Geschichte seines Lebens und seiner Familie vom Begin des Jahrhunderts bis in das Deutschland Adenauers. Oskar Matzerath hat alles gesehen und gehört, nichts ist ihm entgangen, denn er war ein hellhöriger Säugling, dessen geistige Entwicklung bereits bei der Geburt abgeschlossen war. Der Außenseiter, der Wirklichkeit ertrommeln und Glas zersingen kann, erweist sich dabei als der einzige Gesunde in einer Welt des Scheins, der Lüge und des Verbrechens.
Am Ende seiner phantastischen Autobiographie, die Oskar vom Vorkriegs-Danzig bis ins Düsseldorf der Nachkriegszeit führt, »entdeckt man, daß man über Deutschland und Mitteleuropa - sowohl in der Zeit des Völkermordes als auch im Biedermeier der Restauration - mehr weiß als je zuvor«. Lars Gustafsson
Besprechung vom 21.02.2021
Das lesen doch nur die Streber
Sie freue sich auf die zwei Jahre Leistungskurs, sagte unsere Deutschlehrerin, und dass sie auch gern mit uns das Programm diskutieren würde, "aber damit das von vornherein klar ist: Wir lesen auf keinen Fall die ,Blechtrommel'! Die ist mir zu unappetitlich."
Normalerweise sind es ja die Schülerinnen und Schüler, die von Schullektüre traumatisiert sind. Aber eine von Schullektüre traumatisierte Lehrerin: Das war interessant. Und sie war sogar Direktorin unseres Gymnasiums: eine unzeremonielle Katholikin mit liberalem Humor trotz emsländischen Migrationshintergrunds. Anderseits, wer würde schon darauf pochen, die "Blechtrommel" zu lesen, wenn die Lehrerin selbst es nicht ausgehalten hatte? Doch nur Streber.
Genau. Also las ich die "Blechtrommel", freiwillig, allein und zu Hause. Genau wie die "Deutschstunde" von Lenz, ein Roman, der so sagenhaft horrorlangweilig sein sollte, dass sich Gerüchte darüber auf den Fluren unserer Schule wie Gespenster hielten. Mir aber gefiel er. "Die Blechtrommel" dagegen - "unappetitlich" trifft es schon, weil es ja oft um fieses Essen geht, Aale im Pferdekopf, immer wieder aufgekochtes Nudelwasser, Zwiebeln. Wie das nun mit dem Romanthema zusammenhing, ja was das Thema eigentlich sein soll, weiß ich nicht: Ich habe den Roman ja nicht in der Schule gelesen, und es ist auch nicht vorstellbar, dass "In der ,Blechtrommel' geht es um fieses Essen" eine erfolgversprechende Antwort im Deutsch-LK gewesen wäre.
Eine preiswürdige Interpretation der "Blechtrommel" aus einem Deutsch-Abitur ein paar Jahre zuvor war mal in unserem Schuljahrbuch abgedruckt gewesen (anderer Lehrer, stärkerer Magen). Ich wäre froh zu behaupten, dass es die Mechanik der Schullektüre war, die alles, was man nicht in der Schule lesen muss, interessant wirken lässt und umgekehrt alles stigmatisiert: Aber am Ende war es nur rasender Ehrgeiz, was mich die "Blechtrommel" aushalten ließ. Wie sehr das zum Aufsteiger Grass gepasst hat, habe ich damals nicht gewusst.
Tobias Rüther
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