Der Kriminalroman "Schwanensterben" von Liliane Skalecki und Biggi Rist ist im Jahre
2012 im Gmeiner-Verlag erschienen. Er trägt den Untertitel "Ein Bremen-Krimi"
und kann aufgrund der realen Gemeinplätze, an denen die Handlung sich vollzieht,
in die Regionalliteratur eingeordnet werden.
Erzählt wird auf drei Zeitebenen. Es gibt zudem mehrere Handlungsstränge, die
teilweise zeitversetzt, teilweise aber auch zeitgleich, also parallel verlaufen. So gibt
es auch verschiedene Hauptfiguren, die auf der jeweiligen Ebene eine zentrale Rolle
spielen.
Am längsten liegt die Geschichte von Olga zurück, die der Leserschaft als junges
Mädchen vorgestellt wird, das gemeinsam mit ihrer jüngeren Cousine aus seiner
Heimat in Russland als Zwangsarbeiterin nach Deutschland gelangt. Man schreibt
das Jahr 1943, die Befreiung von Smolensk und des dortigen Kriegsgefangenenlagers
durch die Rote Armee aus den Händen der Deutschen steht kurz bevor.
Daneben steht die Handlung um Sonja Achmatova, ebenfalls eine junge Russin, Anfang
20, die im Jahre 2006 in Bremen spielt. Ihre Ankunft in Deutschland ist noch
nicht lange her und so begleitet der/die Lesende das Einleben der jungen Frau in
die ihr noch recht neue Umgebung. Die Entscheidung, hierher zu kommen, hängt
nicht zuletzt mit ihrer vor kurzem verstorbenen Großmutter zusammen, in deren
Habseligkeiten Sonja einige Dinge findet, denen sie näher auf den Grund gehen
will. Außerdem liegt ihr daran, ein möglichst gutes Auskommen zu finden. Sie ist
deshalb auf der Suche nach lukrativen Jobs. Geld scheint ihr wichtig zu sein; ihm
schreibt sie insbesondere einen Status fördernden Charakter zu.
Die dritte Zeitebene konstituiert die Gegenwart. Im späten Herbst des Jahres 2008
steht unter anderem Heiner Hölzle im Mittelpunkt der Handlung. Als Kriminalhauptkommissar
hat er einen Mordfall aufzuklären. Bei dem Opfer handelt es sich um Sonja
Achmatova. Der Fundort der Leiche, ein Reiterhof am Rande der Stadt, ist zugleich
zentraler Plot eines weiteren Handlungsstranges. Während die Ermittlungspersonen
zwischen Präsidium, forensischen Labors, Vernehmungsräumen u.ä. unterwegs
sind, wird auch der Alltag der Reitanlage geschildert. Hier gewähren die
Beschreibungen einer illustren Frauengruppe Einblicke in die Geschehnisse.
Insgesamt ist die inhaltliche Gestaltung des Romans schlüssig und nachvollziehbar.
Dank der überschaubaren Anzahl an Protagonisten kann die Leserschaft auch
den parallel laufenden Handlungssträngen folgen. Die Charaktere der jeweiligen
Hauptfiguren der unterschiedlichen Erzähl- und Handlungsebenen sind deutlicher
gezeichnet als jene der weniger bedeutenden Personen und geben somit dem/der
Lesenden eine recht klare Orientierung.Die vorkommenden Personen erscheinen zwar durchweg stabil in ihren Merkmalen,
bleiben jedoch weitestgehend skizzenhaft. Anstatt sie mithilfe innerer Monologe
oder tiefgreifender Reflexionen über intellektuelle Themen etwa auszuschmücken,
legen die Autorinnen das Augenmerk eindeutig mehr auf die tätliche Handlung ihrer
Figuren. Die Authentizität der näher beschriebenen HauptprotagonistInnen, zu denen
allen voran der Kriminalhauptkommissar Heiner Hölzle und das Mordopfer Sonja
Achmatova, daneben aber auch Hölzles Freundin und Geliebte Christiane zählen,
entsteht vor allem durch die Schilderung ihrer Gedankengänge und Handlungsmotive
bzw. -motivationen. Sie alle erlebt die Leserschaft zwischenzeitlich allein und wird
in diesen Situationen den besagten Informationen habhaft.
Während also die Charaktere der handelnden Personen zwar konsistent, jedoch sehr
moderat ausgestaltet sind, entspinnt sich die Handlung auf eine interessante, ja regelrecht
fesselnde Weise. Die Bearbeitung und Aufklärung des Mordfalls entpuppt
sich als weniger routinemäßig als gedacht. Nicht nur die Tatsache, dass im Laufe der
Ermittlungen diverse verdächtige, mutmaßliche TäterInnen infrage kommen, sondern
auch dass immer wieder unverhoffte Gegenstände, vermeintlich unbeteiligte
Personen und deren zunächst unverfänglich anmutenden Tätigkeiten plötzlich in einen
potenziellen Zusammenhang mit dem Fall geraten, machen die Lektüre spannend.
Darüber hinaus bringen die Recherchen und Ideen von Laien die Professionellen
in Verlegenheit, weil sie sich einem Konflikt gegenübersehen. Die scheinbar unvereinbare
Diskrepanz zwischen seriösen Methoden, Berufsethos einerseits und der
Neugier und leisen Ahnung alternativer, wenn auch mitunter zweifelhafter Indizien(
suche) andererseits verleiht der Handlung Brisanz.
Nicht zuletzt die Sprünge zwischen den verschiedenen Zeitebenen erhalten eine
gewisse Spannung und Wissbegier.
Bremen als Ort des Geschehens wird immer wieder aufgegriffen und spielt vor
allem im Kontext der historischen Hintergrundgeschichte eine Rolle.
Die Beschreibungen aller Handlungsorte, insbesondere der einzelnen Stadtteile
(Gröpelingen, Viertel, Oberneuland, Innenstadt, etc.) sind sehr anschaulich. Wer
Bremen kennt, sieht alles vor sich. Für Lesenden, denen die Stadt unbekannt ist, haben
die Darstellungen beinahe das Zeug zum Touristenführer.
Besonders gelungen sind die detailreichen Schilderungen der Witterungsverhältnisse.
Sprachlich kann der Roman "Schwanensterben" als gelungenes Gesamtwerk angesehen
werden, was vor dem Hintergrund einer doppelten Autorenschaft durchaus
bemerkenswert ist. Ein konsistenter Erzählstil ist von der ersten bis zur letzten Seite
zu erkennen. Persönliche Vorlieben für häufiger einfließende Formulierungen sind
ebenfalls zu entdecken, was die Autorinnen zu menschlichen Erzählenden macht.
Überwiegend ist das Buch in hochdeutscher, leicht verständlicher Sprache verfasst;
stellenweise kommen typisch norddeutsche Redensarten vor, die dezent auf den Ortder Handlung hinweisen. Besonders auffällig ist der Einsatz des schwäbischen Dialekts
als sprachliches Stilmittel. So sind alle Gedanken Hölzles in diesem Duktus verfasst
und obendrein kursiv gedruckt. Die auf diese Weise verdeutlichte Herkunft des
Kriminalhauptkommissars wird im Dialog mit den zuvor erwähnten bremischen Ausdrücken
seiner Kollegen forciert. Situationsbeschreibungen oder Schilderungen, die
Hölzles kulinarische Präferenzen zum Gegenstand haben, setzen jene sprachliche
Differenzierung inhaltlich fort.
Formal und inhaltlich genügt das Werk insgesamt allen Anforderungen der Sorgfalt
und Logik. Die nicht bis ins Letzte ausgestalteten Charaktere der handelnden
Personen lassen womöglich zwar eine gewisse Tiefe vermissen. Jedoch entschädigt
die realitätsgetreue und überaus anschauliche Beschreibung der Örtlichkeiten dieses
Manko. Während die Auftretenden zwar hin und wieder etwas lapidar anmutende
Lebensweisheiten von sich geben, bleibt an anderen Stellen ein unterhaltsamer Humor
nicht auf der Strecke.
Die kriminologischen und historischen Hintergründe sind ausnehmend professionell;
Recherche stellt zweifelsohne eine der größten Stärken des Romans dar.
Der Titel des Werkes kommt als solcher nicht ein einziges Mal vor. "Schwanensterben"
behält somit bis zum Ende einen geheimnisvollen, da nicht eindeutigen
Charakter. Das Motiv des Schwans wird immer wieder aufgegriffen. Zum Beispiel
wird am Fundort der Leiche eine Boa aus Schwanenfedern sichergestellt, die als
Requisit genauso auf einem Gemälde einer längst Verstorbenen zu identifizieren ist.
Außerdem befindet sich ein von einer Schwanenfigur verzierter Brunnen auf dem
Privatgrundstück einer Person, die sich als bedeutsame Informationsquelle für die
Aufklärung des Mordfalles entpuppt. Das Sterben entspricht dem Titel nicht nur im
Hinblick auf kriminelle Delikte, sondern findet auch in Form natürlich versterbender
Figuren Eingang in den erzählten Stoff.
Nicht zuletzt birgt der Titel eine gewisse Verbindung mit dem Russischen. Sonja
Achmatova und ihre Großmutter Olga sowie weitere Nebenfiguren stammen ja aus
Russland und vor dem Hintergrund, dass erst genannter wiederholt eine besondere
Schönheit zugeschrieben wird, wäre nicht nur eine Assoziation mit dem Motiv des
Schwans naheliegend, sondern womöglich gar zum Russischen Ballett "Schwanensee",
in dem Gut und Böse sich in einem zwischen diesen Polen changierenden
Schwan verbinden bzw. gegenüberstehen. Die Unvereinbarkeit von Gut und Böse
führt letztendlich zum Tod; das Eine zu sein und das Andere sein zu wollen, muss
heißen, zu sterben.
Vielleicht ist diese Erkenntnis das Fazit aus dem Roman.
Alles in allem hat es die geneigte Leserschaft bei "Schwanensterben - Ein Bremen-
Krimi" von Liliane Skalecki und Biggi Rist mit einem gelungenen Erstlingswerk desAutorinnenduos zu tun, das nicht nur eine vielschichtige und kurzweilig erzählte
Handlung zu bieten hat, sondern auch Regionalkultur in ihrer reinsten Form zu vermitteln
vermag. Sicherlich steckt hinter den angeführten vereinzelten Schwächen vor
allem Potenzial, was neugierig auf den nächsten Roman (mit "Rotglut" ist Hölzles
zweiter Fall erschienen; inzwischen gibt es noch zwei weitere) und obendrein wünschen
macht, dass die beiden Schriftstellerinnen noch viele Stoffe an Leserinnen und
Leser bringen mögen.